Transkript: (Un)abhängig vom Prof?! Sophia Hohmann über Machtmissbrauch in der Wissenschaft

(Intromusik im Hintergrund)

Madeleine: Hi und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Heilwelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Madeleine, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern das bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen.

Stellt euch vor, ihr promoviert und seid dabei nicht mehr von den Launen, Wünschen oder auch eigenen Interessen der Doktormutter oder des Doktorvaters abhängig. Ich denke, alle, die schon mal eine Bachelor-, Master- oder eben eine Doktorarbeit geschrieben haben, wissen, wie nervig, anstrengend und auch zermürbend es sein kann, mit dem eigenen Erfolg und der eigenen Fleißarbeit doch am Ende nicht so selbstbestimmt dazustehen und immer wieder das ‚Okay‘ zu brauchen von den Vorgesetzten und dabei halt auch immer auf deren Goodwill hoffen zu müssen. Ich habe heute jemanden zu Gast, die mit ihrem Engagement dieses Abhängigkeitsverhältnis durchbrechen möchte und frischen Wind in die Forschungsstrukturen bringt.

Sophia Hohmann arbeitet an der Uni Bielefeld am Zentrum ‚Lernen und Lehren‘ und heute spreche ich aber mit ihr, weil sie sich im Netzwerk ‚Machtmissbrauch in der Wissenschaft‘ engagiert. Kurz Netzwerk MaWi. Das engagiert sich dafür, Forschung neutraler, transparenter und vor allem auch weniger abhängig zu machen, damit du als promovierende Person keine Sorgen mehr davor haben musst, ob die investierte Arbeit umsonst war, weil du Klimtsch mit dem Doktorvater hast.

Ich habe in den Gesprächen mit Sophia total häufig gedacht, „ja genau so müsste es laufen“ und gleichzeitig bin ich immer wieder überwältigt von der Vielschichtigkeit der Probleme in der Wissenschaft. Ich fand besonders eindrücklich, dass Sophia das Gefühl hat, dass Machtmissbrauch besonders häufig in der medizinischen Forschung vorkommt und dass es da immer ein bisschen zugespitzter zugeht als in anderen Fachbereichen. Mit ihr dann über konkrete Schritte zu sprechen, was wir dagegen tun können und wo gerade auch schon Dinge passieren, hat mich wieder ein bisschen positiver gestimmt.

 

Hallo liebe Sophia, richtig schön, dass es heute geklappt hat und herzlich willkommen im Heilewelt Podcast.

 

Sophia: Ja, danke, ich freue mich auch total, heute hier zu sein und bin sehr gespannt, was du mir für Fragen stellen wirst.

 

Madeleine: Sehr schön, wir fangen immer diesen Podcast an mit der Einstiegsfrage.

Wie war dein Tag bisher? Hast du schon was erlebt?

 

Sophia: Hm.. So richtig viel habe ich noch nicht erlebt. Also ich habe den ganzen Tag irgendwie im Homeoffice gesessen, Sachen weggearbeitet und dann war ich jetzt gerade noch mal schnell mit dem Hund draußen, damit er jetzt entspannt ist und ich in Ruhe mit dir diese Podcastaufnahme machen kann.

 

Madeleine: Okay, ja so wie das halt ist. Dann wird der Podcast heute zum Highlight hoffentlich (lacht)

Sophia: Das hoffe ich auch. (lacht)

 

Madeleine: Okay, starten wir doch rein ins Thema. Wir sprechen heute über Machtmissbrauch in der Wissenschaft und ich finde, immer wenn man so an Wissenschaft denkt, stellt man sich zumindest als Person, die damit nicht so viel am Hut hat, irgendwie so was Neutrales, was Objektives und am besten auch noch was Unpolitisches vor. Irgendwie so eine Instanz, in der alles richtig läuft. Und genauso denkt man irgendwie auch an ein kollegiales Miteinander und so eine Zusammenarbeit von den verschiedenen Fachdisziplinen. Zumindest habe ich mir das immer so vorgestellt. Jetzt sprechen wir über was ganz anderes heute. Möchtest du für uns am Anfang erst mal Machtmissbrauch in der Wissenschaft einordnen, was das überhaupt bedeutet und uns irgendwie erklären, was man darunter verstehen kann?

 

Sophia: Ja, total gerne. Also ich glaube, du hast gerade schon ein sehr verbreitetes, positives Vorurteil über die Wissenschaft aufgegriffen. Das ist nämlich eine sehr verbreitete Annahme, dass die Wissenschaft neutral ist, dass eben auch sowas wie Diskriminierung zum Beispiel keinen Raum in der Wissenschaft hat, weil man sich um Objektivität bemüht. Und ja, deswegen freue ich mich auch, dass du das nochmal so eingebracht hast, weil gerade Diskriminierung eben auch schon eine Querschnittsdimension von Machtmissbrauch in der Wissenschaft sein kann. Grundsätzlich muss man sagen, als Netzwerk wollen wir nicht an einer Definition von Machtmissbrauch in der Wissenschaft festhalten. Wir sprechen immer mal wieder über unterschiedliche Definitionen, aber wollen gleichzeitig eben auch nicht Potenzial für neuen Machtmissbrauch schaffen, indem wir uns auf eine Definition von Machtmissbrauch festlegen, die dann sozusagen als gesetzt gilt. Und alles, was dann eben nicht darunter fällt, würde dann vielleicht nicht mehr als Machtmissbrauch erkannt werden.

Und deshalb werde ich jetzt sozusagen keine Definition für Machtmissbrauch liefern, aber so ein paar Anhaltspunkte, was Machtmissbrauch eben sein könnte. Grundsätzlich muss man sagen, es ist ein super vielfältiges Phänomen. Das heißt, es kann unterschiedlichste Formen annehmen, hat aber eben auch unterschiedlichste Querschnittsdimensionen.

Einerseits eben unterschiedliche Diskriminierungskategorien, andererseits aber auch allein bedingt durch die verschiedenen Statusgruppen an Universitäten und in der Wissenschaft eben nochmal sehr vielfältige Erscheinungsformen. Ich glaube, worauf man sich einigen kann ist, dass durch Machtmissbrauch enormer Schaden entstehen kann und in der Wissenschaft der Missbrauch der Macht vor allem strukturell ermöglicht wird, indem es halt extreme Abhängigkeiten gibt. Zum einen können Betreuer:innen von Qualifikationsarbeiten ja auch Vorgesetzte sein und eben aber auch diejenigen, die dann letztlich diese Qualifikationsarbeit bewerten.

Und ja, so eine Häufung von bestimmten Machtungleichgewichten gibt es in der Wissenschaft halt vermehrt. Und die sind gleichzeitig wieder Ursache eben oder Ermöglichungen für Machtmissbrauch.

 

Madeleine: Wenn uns jetzt jemand zuhört, der oder die von diesem Netzwerk MaWi - wir kürzen es jetzt immer ab, statt Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft sagen wir einfach Netzwerk MaWi - wenn jemand davon noch nicht gehört hat und sich trotzdem durch diese Minimaldefinition noch nicht so viel vorstellen kann, hast du so ein paar Beispiele parat, die vielleicht in den letzten Monaten an euch herangetragen wurden oder wo du sagst, das passiert besonders häufig oder das ist dir sehr im Kopf geblieben, damit man einfach so mal diese Bandbreite verstehen kann, wie unterschiedlich der Machtmissbrauch in der Wissenschaft sein kann?

 

Sophia: Ja, also erstmal würde ich auf unsere Website verweisen. Da sammeln wir nämlich anonymisierte Fallbeispiele. Es ist zum Beispiel möglich uns anonym Fallbeispiele einzureichen. Wir editieren die dann und anonymisieren die gegebenenfalls noch weiter und laden die dann auf unsere Website hoch und da ist eine ganze Bandbreite eben von verschiedenen Formen des Machtmissbrauchs dann auch sichtbar. Mein sozusagen Lieblingsbeispiel, weil es auch schon einen eigenen Namen hat diese Praxis, ist die Sache mit der Ehrenautor:innenschaft. Das ist eine sehr weitverbreitete Praxis, die eigentlich auch teilweise schon Studierende kennen, aber eben auch studentische Beschäftigte und Promovierende, aber auch Postdocs.

Die Ehrenautor:innenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sich Leute mit auf ein Paper als Autor:innen setzen lassen, die gar nichts zu dem Paper beigetragen haben und ich finde dieses Beispiel einfach so bezeichnend, weil es einen eigenen Namen dafür gibt.

Also für diese schlechte wissenschaftliche Praxis und gleichzeitig auch den damit einhergehenden Machtmissbrauch.

 

Madeleine: Und mit eigenem Namen meinst du die Ehrenautor:innenschaft?

 

Sophia: Genau, also Ehrenautor:innenschaft nennt man das halt. Das hört sich erstmal gar nicht so problematisch an, wie es eigentlich ist. (Madeleine: Stimmt) Es hört sich ja sehr ehrenhaft sozusagen an, aber damit wird eigentlich das Problematische dann eben auch wieder verdeckt und vielleicht ist das auch so ein Indiz dafür, wie sehr das normalisiert ist eigentlich diese Praxis, dass man da halt eben von etwas Ehrenhaften spricht, was aber eigentlich überhaupt nichts mit ehrenhaften Verhalten zu tun hat.

 

Madeleine: Ja, total, klar. Und wenn ich mal hier so durchscrolle durch eure Beispiele und die Dinge, die man quasi auch so schon kennt, verschleppte und ungerechte Bewertungen, sicherlich vielleicht auch nach einem Konflikt, der sich auf, ja zum Beispiel Autorenschaften begründet hat, Ausbeutung im Pflichtpraktikum - das sind auch die strukturellen Probleme, zu denen wir gleich noch kommen, weil es ist ja ein Pflichtpraktikum –

 

Sophia: Ja.

 

Madeleine: Ja, verschiedene Konflikte mit Vorgesetzten aufgrund von Diskriminierung auch, das Arbeitszeugnis, was nicht ausgestellt wurde und bis hin natürlich zu sexualisierter Gewalt.

 

Sophia: Genau, ja. Das können wir verstehen unter Machtmissbrauch in der Wissenschaft.

 

Madeleine: Hast du oder gibt es irgendwelche Forschungen dazu, wie häufig dieser Machtmissbrauch auftritt in der Forschung? Also ist das was, was irgendwie alle erleben können oder doch eher ein seltenes Phänomen?

 

Sophia: Man muss dazu sagen, es ist ein relativ weit verbreitetes Phänomen. Grundsätzlich ist die Studienlage noch nicht so toll. Vielfach werden die Studien glücklicherweise von zum Beispiel promovierenden Initiativen angeregt oder aber studentischen Beschäftigten, die jetzt gerade eine große Studie zu ihren Beschäftigungsbedingungen gemacht haben. Mich irritiert immer so ein bisschen, dass es halt solchen Initiativen überlassen wird, ehrenamtlich diese Arbeit zu machen, wo ich immer denke, das müsste doch eigentlich ja aus der Wissenschaft selbst heraus mehr passieren. Aber diese Studien weisen alle so ungefähr darauf hin, dass circa 10 bis 15 Prozent der in der Wissenschaft tätigen Mitarbeiter:innen betroffen sind von Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Also vielfach wird dann ja immer so ein -  die Logik des Einzelfalls bemüht, wenn es um spezielle Fälle an Universitäten geht, die dann zum Beispiel auch in der Presse landen. Aber das ist eigentlich nicht haltbar.

Es gibt jetzt gerade auch noch eine große Umfrage von Musikstudierenden, die auch über 600 vermeintliche Einzelfälle zusammengetragen haben an machtmissbräuchlichem Verhalten. Und ich glaube, das muss man sich wirklich vergegenwärtigen. Das ist ein sehr breit bekanntes und vorkommendes Phänomen, das keinesfalls irgendwie in dieser Einzelfalllogik aufgeht.

 

Madeleine: Ja, und ich glaube, die Dunkelziffer ist natürlich extrem hoch. Wer meldet das schon?

 

Sophia: Ja, also da gibt es auch ein bisschen Forschung zu, inwiefern dieses machtmissbräuchliche Verhalten überhaupt gemeldet wird. Und die Forschung weist eben auch darauf hin, dass weniger Personen auch sehr krasse Formen der Übergriffe überhaupt melden, weil sie einerseits eben den Anlaufstellen nicht vertrauen, andererseits Sorge vor Vergeltung haben oder aber auch zum Beispiel durch Hören-Sagen wissen, dass dann eh eigentlich nichts passiert und dieses Fehlverhalten gar nicht so sanktioniert wird, dass es irgendwie der Drastik dieses Fehlverhaltens gerecht würde.

 

Madeleine: Genau, da sind wir auch schon bei diesen strukturellen Problemen, sage ich mal. Du hattest es vorhin schon angedeutet. Was würdest du sagen, wenn man das mal so zusammenfasst, welche strukturellen Probleme oder Maßnahmen begünstigen diesen Machtmissbrauch in der Wissenschaft?

 

Sophia: Erstmal möchte ich, glaube ich, noch mal dazu sagen, natürlich sind das nicht die Strukturen, die dann ihre Macht missbrauchen, sondern das sind immer noch Individuen, Einzelpersonen, ja. Genau, die auch eben dafür zur Verantwortung zu ziehen sind, aber gleichzeitig gibt es eben Strukturen, die geändert werden müssten, um Machtmissbrauch besser präventiv zu begegnen. Und ich glaube, was ich eingangs gesagt habe, nämlich dieser Zusammenfall von Rollen, also die große Abhängigkeit von Studierenden, studentischen Beschäftigten und Promovierenden im Hinblick auf ihre Vorgesetzten. Das ist ein ganz großes strukturelles Problem, was letztlich auch relativ leicht behoben werden könnte, indem man eben Betreuung und Bewertung konsequent voneinander trennt.

Da gibt es auch schon Beispiele, wie man das machen könnte. Es ist aber überhaupt noch nicht Praxis in der deutschen Wissenschaftslandschaft, das so zu machen. Dann natürlich die prekären Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftler:innen.

Das heißt, in der Regel hat man ja nicht irgendwie eine unbefristete Stelle inne, sondern eine sehr eng befristete Stelle inne. Also wenn man gegen Machtmissbrauch zum Beispiel vorgeht, dann müsste der Vorgesetzte zum Beispiel gar nicht sich groß bemühen, die Person in Anführungsstrichen loszuwerden, sondern kann einfach den Vertrag auslaufen lassen, der in der Regel jetzt nicht irgendwie fünf Jahre angesetzt ist, sondern eher so eine Laufzeit von ein bis zwei Jahren hat. Und schon wäre sozusagen „das Problem“ in Anführungszeichen verschwunden. Und das ist natürlich ein sehr gutes Mittel, um in Ungnade gefallene Mitarbeiter:innen ja letztlich einfach aus der Wissenschaft ausfallen zu lassen.

 

Madeleine: Ja, ich glaube, das muss man sich nochmal, wenn ich da nochmal einhaken darf, auf der Zunge zergehen lassen. Die meisten haben Ein- oder Zweijahresverträge.

Da muss man gar nicht drohen als die Person, die den Machtmissbrauch ausübt, sondern das kann man sich selber leicht eins zu eins zusammenrechnen oder diesen Leistungsdruck oder - Druck oder Angst davor, dass die Stelle nicht verlängert wird. Das ist ganz automatisch da. Da kann man eigentlich noch so ein gutes Verhältnis mit dem Vorgesetzten haben oder der betreuenden Person. Aber ein Jahr, da schafft man es kaum, zur Ruhe zu kommen.

 

Sophia: Nee, genau. Und das wird halt auch durchaus wirklich als Machtinstrument genutzt.

Und auch da ist es mir ganz wichtig zu betonen, das betrifft eben nicht nur Promovierende und Postdocs, sondern eben auch schon studentische Beschäftigte, die teilweise noch enger befristet sind als eben Postdocs und Promovierende. Das hat sich jetzt ein bisschen geändert mit dem neuen Tarifvertrag. Aber ich glaube, es ist wichtig dann eben auch mitzudenken, dass das verschiedenste Statusgruppen so betrifft und eine sehr geläufige Praxis ist, die dann auch gerne als Druckmittel ausgeweitet wird im Sinne von, „Naja, du kannst dich ja wegbewerben, aber in unserem kleinen Bereich kenne ich eh alle sehr gut, bin gut vernetzt, versuch's mal. Aber ich habe eh irgendwie allen schon erzählt, dass du eine Querulantin bist“ oder so. Und das muss nicht de facto passiert sein, aber es wird zumindest teilweise auch damit gedroht, dass eben dieser Einfluss ausgeweitet wird.

 

Madeleine: Ich glaube, das ist ein ganz natürlicher Gedanke. Also diesen Stress und Druck macht man sich ja selbst. Also das muss noch nicht mal ausgesprochen sein. Aber wenn das ein kleines Feld ist und so ist es in der Wissenschaft halt, dass man sich spezialisiert auf eine Sache, dann will man da früh irgendwie Erfahrungen sammeln, damit man dann im besten Fall irgendwann mal im Lebenslauf das alles drinstehen hat und doch mal eine Festanstellung bekommt oder längerfristige Projekte, ja.

 

Sophia:  Ich glaube, ich würde gerne noch als weitere Struktur ergänzen, wenn das okay ist, eben diese verschiedenen Diskriminierungskategorien, die teilweise im aktuellen Diskurs und Machtmuss in der Wissenschaft auch unterrepräsentiert sind. Also wir haben medial aktuell einen Fokus auf Fälle von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt und Machtmissbrauch. Also Sexualität beziehungsweise Gender wird eben als Mittel der Machtausübung genutzt. Das Problem ist aber, dass andere Diskriminierungskategorien aktuell gar nicht in der öffentlichen Berichterstattung vorkommen und das so ein bisschen so wirkt, als wäre Machtmissbrauch immer verschränkt eben mit so einer Kategorie von Geschlecht und dann eben dieser missbräuchlichen Bezugnahme auf Geschlecht. Andere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Antisemitismus aber überhaupt nicht vorkommen und das ist aus meiner Sicht auch nochmal ein großes Problem.

Einerseits ist es natürlich super, dass eben sexualisierte Diskriminierung und Gewalt so ein mediales Interesse und so eine mediale Aufmerksamkeit erfährt. Gleichzeitig müssen wir uns natürlich fragen, was ist mit den anderen Diskriminierungskategorien? Werden die nicht irgendwie unsichtbar gemacht dadurch?

 

Madeleine: Ja zumindest hätten sie genauso den Stellenwert verdient.

 

Sophia: Genau, also sie kommen halt gerade aktuell nicht vor und das Bild von Machtmissbrauch ist sehr geprägt dadurch, dass eben sexualisierte Diskriminierung und Gewalt ausgeübt wird. Es wird eben oft in einem Atemzug mit Machtmissbrauch genannt, was ja auch richtig ist, aber es ist ein großes Problem, wenn dadurch irgendwie andere Diskriminierungskategorien verdeckt werden und man muss, also ich glaube auch da kann man sehr schnell darauf kommen, wenn man kurz darüber nachdenkt, sich dann auch fragen, wie schwierig es dann eigentlich ist, diese anderen Diskriminierungskategorien zur Sprache zu bringen. Innerhalb der Universität, aber eben auch außerhalb der Universität.

 

Madeleine: Und da sprichst du insbesondere von Rassismus, was hast du noch im Kopf? Antisemitismus hast du auch genannt.

 

Sophia: Genau, aber ich würde auch von Ableismus sprechen, also Behinderung spielt aktuell auch überhaupt keine Rolle in diesem Diskurs und das ist aus meiner Sicht ein riesiges Problem, wenn wir ja quasi das Bild von Machtmissbrauch so medial bestimmen lassen. Einerseits ist es richtig und wichtig, dass über diese Fälle berichtet wird, gleichzeitig blenden wir aber verschiedene andere Formen des Missbrauchs dadurch aus und das muss man sich, glaube ich, immer wieder bewusst machen. Nur weil es diese Zeitungsberichte darüber nicht gibt, heißt es nicht, dass es diese Verschränkung von Machtmissbrauch mit diesen Diskriminierungskategorien nicht gibt.

 

Madeleine: Ja und wie so häufig greifen die unterschiedlichen Diskriminierungskategorien ja auch ineinander über. Genau, also sie können ja dann auch noch mal in Verschränkungen miteinander auftreten.

 

Sophia: Ja, genau.

 

Madeleine: In unserem Vorgespräch hast du mir erzählt, dass du aus deiner Erfahrung in den letzten Jahren beim Netzwerk MaWi vor allem auch gemerkt hast, dass so in der medizinischen Wissenschaft alles irgendwie ein bisschen zugespitzter ist. Magst du uns darüber noch ein bisschen was erzählen? Wir sind ja nun ein Podcast gemacht von Mediziner:innen größtenteils.

 

Sophia: Ja, sehr gerne. Also ich muss vielleicht vorweg schicken, das ist ein Bauchgefühl so. Grundsätzlich bekommen wir Beratungsanfragen aus allen Disziplinen, aber immer wenn uns Fälle von Mediziner:innen berichtet werden, dann habe ich doch das Gefühl, dass das Machtgefälle da noch mal ein sehr viel zugespitzteres ist letztlich. Also was du auch gerade schon gesagt hast, ich kann nicht so richtig den Finger darauf legen, warum das so ist.

Also es scheint viel hierarchischer zuzugehen als noch in anderen Fächern. Wobei ich dazu sagen muss, das muss nicht unbedingt was Schlechtes sein. Ich finde es viel schlimmer, wenn so getan wird, als gäbe es keine Hierarchien, aber die Hierarchien eigentlich da sind. (Madeleine lacht) Das ist ja auch immer so New Work-mäßig, wir verstehen uns alle, du kannst deinen Hund mit ins Labor bringen, ins Labor wahrscheinlich nicht – (beide lachen). Aber eigentlich gibt es genau diese gleichen Hierarchien, die werden nur irgendwie durch so Pseudo-Formen des Umgangs irgendwie weggemacht. Also da würde ich immer sagen, es ist besser, eben diese Hierarchien klar zu benennen.

Aber da kannst du mir vielleicht mehr zu sagen. Ich bin mir nicht sicher, ob die immer so klar sind.

 

Madeleine: Oh doch, die sind glasklar in der Medizin. Also da gibt es ja unterschiedliche Titel und Bezeichnungen für die unterschiedlichen Hierarchien. Also natürlich auch Promovierende, Postdoc und so weiter, Juniorprofessor:innen. Aber vor allem im Krankenhaus natürlich Studierende, Assistenzärzt:innen, dann die Oberärzt:innen, Chefärzt:innen. Und das sind schon sehr abgegrenzte Bereiche, die auch alle unterschiedliche Aufgaben haben. Und ich glaube, wir sind vor allem auch sehr, sehr gewöhnt an diese Hierarchien im Krankenhaus. Das ist ja teilweise so absurd, dass es so ungeschriebene Regeln gibt, wie zum Beispiel der Chefarzt verlässt bei der Visite immer als Erster die Tür und das Zimmer. Und die Person, die in der Hierarchieebene ganz unten ist, muss die Tür aufmachen und warten, bis alle durch sind und geht dann als Letzte raus. Und das trägt sich, haben wir uns so vorgestellt im Team, als wir darüber diskutiert haben, sicherlich auch in die Betreuungsverhältnisse bei Promotionen oder insgesamt bei wissenschaftlicher Arbeit mit rein. Weil in der Medizin gibt es häufig Doppelrollen.

Das sind dann Klinikchefs und Chefinnen und gleichzeitig auch Chefs und Chefinnen von irgendwelchen Promotionsgruppen oder Forschungsgruppen. Die haben häufig eine Doppelrolle. Und das zeigt auch so ein anderes Problem in der Medizin, nämlich dass Forschung meistens irgendwie nebenher läuft. Also die Promotion ist auch so ein Nebenher-Thema meistens. Manchmal nimmt man sich ein halbes oder ein ganzes Jahr Zeit, um Daten zu erheben oder die dann auszuwerten. Aber das Schreiben, das Publizieren, die Arbeitsgruppen treffen, das wird erwartet, dass das in der Freizeit läuft und das ist natürlich eigentlich sehr prekär.

 

Sophia: Ja, auf jeden Fall. Was ich gerade noch dachte, du hast es selber auch so ein bisschen angesprochen, dass Forschung nebenher läuft. Machtmissbrauch tritt ja auch oft oder gerne - also erst mal ist Machtmissbrauch ja wissenschaftliches Fehlverhalten so - das hat die DFG in ihrem Kodex für gute wissenschaftliche Praxis festgelegt. Aber das heißt auch, dass zum Beispiel Doktorand:innen oder Postdocs teilweise dazu genötigt werden, Daten zu fälschen. Und wenn wir das jetzt auf die medizinische Forschung übertragen, die ja eben von Relevanz für die Gesundheit von Menschen ist, dann ist das natürlich ein riesiges Problem.

Ich will jetzt nicht sagen, dass andere Fächer kein Problem hätten, wenn da irgendwie Daten gefälscht würden. Oder ich habe selber Philosophie studiert, wenn da nur schlechte Argumente, die den ganzen Diskurs ausblenden, veröffentlicht würden, dann ist das natürlich auch schlecht für die Wissenschaft als Ganzes so. Aber ich habe das Gefühl, in der Medizin ist es noch mal dramatischer, wenn auf Basis solcher Forschung, die dann eben auf vielleicht gefälschten Daten basiert, Empfehlungen für bestimmte Sachen erarbeitet werden.

 

Madeleine: Wobei ich glaube, da darf man sich das Ganze auch immer - also natürlich, wenn man es sich im Großen und Ganzen anschaut, auf jeden Fall schon. Letzten Endes, zumindest für medizinische Promotionen gesprochen, forscht man ja meistens an sehr kleinen und nicht unbedingt praxisrelevanten Dingen. Natürlich ist das trotzdem schlecht, wenn man sich ein wissenschaftliches Fehlverhalten angewöhnt sag ich mal und auch vorgelebt bekommt. Und es ist auch gar nicht so dramatisch, dass einer zu einem sagt, schreib mal jetzt das hin, obwohl das nicht stattgefunden hat, sondern das sind eher so subtile Äußerungen, genau. Du hast gerade schon die DFG angesprochen. Die haben ja einen Kodex veröffentlicht. Also dieses Phänomen oder der Machtmissbrauch in der Wissenschaft ist schon über Jahre bekannt und die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat sich hingesetzt, hat einen Kodex erarbeitet, wie man dem entgegenwirkt und was eigentlich wissenschaftliches Fehlverhalten ist und was nicht. Den gibt es seit 2019. Hast du das Gefühl, wir haben ja keine Forschung, auf die wir schauen können, aber hast du das Gefühl, dass das irgendwas gebracht hat, dass sich da seitdem was verändert hat durch diesen Kodex? Der wird ja schon sehr viel angepriesen.

 

Sophia: Ja, also das ist eine sehr schwierige Frage, die wir auch oft gestellt bekommen. Wem bringt das eigentlich was, das Machtmissbrauch da als wissenschaftliches Fehlverhalten sozusagen drinsteht? Und ich würde auch sagen, dass das oft erst mal sehr, sehr wenig bringt. Aber grundsätzlich, wenn wir wirklich einen Kulturwandel wollen, dann schaffen wir das nur, wenn eben auch wirklich solche Organisationen wie die DFG die Brisanz des Problems erkennen und das auch eben adressieren. Was mich immer sehr ärgert, Machtmissbrauch wird oft so abgetan: Ja gut, da kann eine Person noch nicht so gut führen. Sie ist aber eine brillante Forscherin und sie ist auch eine tolle Hochschullehrer:in.

Also muss sie Workshops zum Thema Führungskompetenzen besuchen und dann haben wir das Problem sozusagen nicht mehr. Und ich glaube, genau da legt der DFG-Kodex den Finger in die Wunde und sagt, nein, das ist wissenschaftliches Fehlverhalten. In der Praxis bringt dir das nicht so viel, würde ich sagen, was jetzt meine Erfahrungen sind.

Ich kenne das vorher nicht und auch diese Entwicklung kann ich nur schwer einschätzen. Aber grundsätzlich ist es wichtig, dass solche Förderinstitutionen wie die DFG eben sagen, das wollen wir nicht und das versuchen wir auch in gewisser Weise zu ahnden. Aber im individuellen Fall, so aufs Kleine runtergebrochen, muss man leider sagen, dass das sehr wenig dann doch bringt.

 

Madeleine: Gute Überleitung, jetzt sind wir schon bei der Ahndung. Wie kann wissenschaftliches Fehlverhalten, insbesondere in Form des Machtmissbrauchs, geahndet, gestraft werden? Oder andersrum gefragt, welche Handlungsmöglichkeiten haben Betroffene?

 

Sophia: Ja, also mein erster Satz dazu ist immer, bitte nicht so hohe Erwartungen haben als betroffene Person. So sehr ich mir wünschen würde, dass es anders ist, muss man leider aktuell sagen, dass die Handlungsmöglichkeiten doch oft sehr eingeschränkt sind.

Es liegt einerseits, hängt das damit zusammen, dass es vielfach nur interne Anlaufstellen gibt zu Themen des Machtmissbrauchs. Manchmal durchläuft man dann auch mehrere Anlaufstellen, weil sich die erste Anlaufstelle vielleicht gar nicht verantwortlich fühlt für das Thema des Machtmissbrauchs. Das sollen überhaupt nicht die Personen, die da arbeiten, in Abrede stellen. Das sind vielfach sehr, sehr engagierte Personen. Aber leider muss man auch sagen, dass eben auch die Anlaufstellen strukturell von dem Problem betroffen sind, dass sie sehr, sehr wenig Macht haben, eben tatsächlich auch zu handeln. Das hängt dann wiederum mit der Organisation von Hochschulen zusammen.

Das weitere Problem beim Machtmissbrauch ist eben auch, dass es in der Regel kein justiziables oder nicht als justiziabel angesehen wird. Das kommt halt darauf an. Natürlich, wenn Machtmissbrauch in Verschränkung mit Diskriminierung auftritt, dann kann wiederum das Antidiskriminierungsgesetz greifen und so weiter und so fort.

 

Aber das sind dann oftmals trotzdem Fälle, die nicht als justiziabel erachtet werden und dementsprechend auch als nicht so schlimm. Da würde ich halt ganz entschieden widersprechen wollen und sagen, dass wir uns diese Art des Umgangs miteinander eigentlich nicht leisten können in der Wissenschaft, weil wir so ganz viele fähige Leute verlieren, weil wir so eine Kultur des Missbrauchs etablieren und dulden, solange am Ende irgendwelche tollen peer-reviewed Paper letztlich entstehen. Das können wir uns als Wissenschaft aus meiner Sicht nicht erlauben, weil wir einfach ganz viele Leute damit ausschließen, die auch wunderbare Forscher:innen sein könnten, aber die es gar nicht so weit schaffen.

 

Madeleine:  Das stimmt. Ja, das hat ja dann genau diese Konsequenzen. Jetzt sind wir eher wieder bei den Konsequenzen für die anderen, was sie eben nicht weiter forschen können oder vielleicht auch nicht forschen wollen, weil diese Kultur nichts für sie ist oder wo sie sagen, so will ich nicht arbeiten.

 

Sophia: Genau. Ich glaube, es ist mir wichtig, das zu sagen. Das ist auch legitim, dann zu gehen. Aber man sollte nicht genötigt werden, zu gehen. Und das ist leider de facto oft der Fall, dass dann die Leute sich gezwungen fühlen, die Wissenschaft zu verlassen. Das kann es halt irgendwie nicht sein. Und mit dem aktuellen Beschwerdesystem ist es leider sehr unwahrscheinlich, dass tatsächlich etwas passiert.

 

Madeleine: Du hast gesagt, es gibt begrenzte Möglichkeiten, stimme ich dir zu. Lass uns trotzdem noch mal auf die Möglichkeiten eingehen, die es denn gibt.

Also ich bin betroffen von einer Form, welche auch immer, des Machtmissbrauchs. Wo kann ich hingehen? Mir ist das zumindest bewusst geworden und ich kann das einordnen oder habe das Gefühl, dass da vielleicht ein Machtmissbrauch vorliegen könnte. Wie geht es jetzt weiter?

 

Sophia: Also erst mal ist wichtig, dass du für dich selber auch dokumentierst bestimmte Situationen, die dir widerfahren sind. Einfach damit du das hast, sozusagen und das sind dann tatsächlich auch Sachen, die man dann in Beratungsstellen mit reintragen kann, dass man mit Datum, Uhrzeit und vielleicht, falls Zeug:innen anwesend waren, wirklich dokumentiert, was ist da eigentlich vorgefallen und eben auch die Sicherheit hat in diesen Beratungsgesprächen. Das wird nämlich gerne auch gemacht, dass das dann kleingeredet wird, man sei irgendwie empfindlich oder man habe etwas falsch verstanden und dass man wirklich für sich schwarz auf weiß hat: nein, so ist es gewesen, so habe ich das wahrgenommen und dann einfach aus dieser Position heraus schon mal ein bisschen gestärkter in so ein Gespräch gehen kann, als wenn man jetzt irgendwie einfach alles so in seinem Kopf nur hat sozusagen. Man kann dann immerhin noch auf seine Stichpunkte auf dem Papier irgendwie zurückgehen.

Man müsste eigentlich mit Machtmissbrauch zum Ombudsmann gehen. Jede Uni, die DFG-Mittel beantragen möchte, braucht halt eben Ombudspersonen. Manche Universitäten haben auch Ombuds-Geschäftsstellen eingerichtet oder manchmal heißt es auch irgendwie ‚Stelle für Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis‘ oder so, das ist schon so das nächste Problem. Also wir haben halt sehr viele verschiedene Begriffe für Dinge, die eigentlich das Gleiche meinen. Es ist manchmal nicht einfach, sich da zurechtzufinden und viele Unis haben auch nicht so eine Art Lotsenstelle, die einem dann sagt, okay, mit diesem Anliegen musst du da und da und dahin gehen. Das ist etwas, was aus meiner Sicht sehr vorteilhaft wäre, um eben Personen, die betroffen sind, auch zu ersparen, dass sie ständig ihre Geschichte noch mal neu erzählen müssen.

 

Madeleine: Ja, total guter Punkt ja.

 

Sophia: Es gibt leider auch, nächster Punkt, oft keine Webseiten, die gut darüber informieren, was es eigentlich, oder zumindest nicht die eine Webseite, auf der alle Beschwerdestellenden aufgeführt sind, sondern auch das ist dann wieder so, die Gleichstellungsstelle hat ihre eigene Webseite, die zentrale Studienberatung hat ihre eigene Webseite und so weiter und so fort. Das kann ich auch alles verstehen so, aus der internen Logik heraus, für Außenstehende, die vielleicht noch nicht so lange im Unisystem sind, ist das dann sehr, sehr schwierig, da durchzublicken, an wen man sich eigentlich wenden kann.

 

Madeleine: Kannst du noch mal erklären, weil wenn man noch nicht in der Lage war, kennt man, glaube ich, den Begriff Ombudsperson noch gar nicht. Also das ist einfach ein fremdes Wort, könnte alles dahinter stecken. Was genau steckt dahinter? Was bedeutet das?

 

Sophia: Also das hängt wieder alles mit dem DFG-Kodex sozusagen zusammen. Alle Universitäten, die DFG-Fördermittel beantragen möchten, müssen eigene Statuten zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis verabschieden und in diesem Sinne auch eben Ombudsstellen einrichten oder Ombudspersonenstellen, die dann eben für wissenschaftliches Fehlverhalten ansprechbar sind. Das ist aber, also der DFG-Kodex wird dann an jeder Uni ein bisschen unterschiedlich umgesetzt. Deswegen kann man da jetzt auch nicht so sagen, ok, jede Uni hat irgendwie eine Ombudsgeschäftsstelle.

Das stimmt zum Beispiel nicht. Manche haben die, manche haben einzelne Ombudspersonen, die dann wiederum, je nachdem in welchem Bundesland das ist, so und so gewählt werden. Also da kann ich quasi nichts Verbindliches sagen (lacht).

Ich glaube, das ist wirklich überall unterschiedlich. Genau, aber das sind halt die ersten Ansprechpersonen letztlich bei wissenschaftlichen Fehlverhalten und das kann dann zum Beispiel so etwas sein wie Datenfälschung. Das kann aber auch eben so etwas sein wie Machtmissbrauch eigentlich, weil der ja auch zu verhindern ist laut DFG-Kodex.

Und es gibt aber auch noch ein überregionales Gremium, den Ombudsmann für die Wissenschaft, der quasi als externe Stelle ansprechbar wäre in so einem Fall und berät.

 

Madeleine: Alles sehr unterschiedlich, sehr komplex und vor allem ist jetzt die Frage, was passiert denn dann, wenn ich mich an diese Ombudspersonen richte?

 

Sophia: Das ist eine gute Frage (lacht) und auch da würde ich mir nicht erlauben unbedingt irgendwie den einen Weg nachzuzeichnen. Ich glaube, das wäre unfair. Also natürlich müssen die vertraulich beraten, diese Ombudspersonen. Das Problem ist aber eben oft, dass diese Ombudspersonen halt Teil der Universitätsgemeinschaft sind. Manchmal sind das emeritierte Professor:innen der Universität, manchmal sind das welche, die aktuell noch im Dienst sind. Heißt, man weiß vielleicht sogar, okay die Person versteht sich aber mit dem Menschen gut, der hier ja irgendwie Mist gebaut hat. Sowas passiert halt durch diese interne Anlaufstellenlogik. Also das macht es halt teilweise dann auch Betroffenen schwer, das hatte ich ja eben schon gesagt, solche Stellen aufzusuchen, weil man halt die Nähe zu den Täter:innen vielleicht auch sieht.

 

Madeleine: Ja, ich kenne das mal für die Uni Leipzig so ganz kurz skizzieren. Ich habe das mit dem Ombudsverfahren schon mal - nur damit man mal einen Einblick bekommt, was da so das nach sich ziehen kann.

Also als erstes natürlich Kontaktaufnahme. Schriftlich soll man da einreichen und schon mal völlig fremden Personen in schriftlicher Form übermitteln, was dann passiert ist. Genau, das ist quasi der Hinweis auf einen Verdacht von wissenschaftlichem Fehlverhalten. Dann gibt es ein Vorprüfungsverfahren, da prüft diese Ombudsperson - prüft, ob diese Vorwürfe korrekt sind und ob sie vor allem, Achtung, bedeutsam sind. Dabei wird quasi die Person, die betroffen ist, angehört und auch die beschuldigte Person. Es wird versucht eine Einigung zu finden und ob man von Seiten der beschuldigten Person den Vorwurf schon ausräumen kann. Das stelle ich mir schon relativ skurril vor. Dann, wenn es zu keiner Einigung kommen kann, geht das Ganze zur ständigen Kommission. Da wird wieder geprüft und entschieden, ob man weitergeht in diesem Verfahren, ob es relevant genug ist. Man kann Vorschläge machen in dieser Situation, wie ein Fehlverhalten sanktioniert werden könnte oder wie man sich doch noch einigt. Genau, und danach kommt das förmliche Untersuchungsverfahren. Also dann geht es ans Eingemachte. Bis dahin muss man es erstmal geschafft haben. Als ich das das erste Mal gelesen habe - also muss man halt auch im Kopf behalten, dass in dieser Zeit die eigene Arbeit, die eigene Forschung liegt, weil man ja nicht weitermachen kann. Das kommt ein bisschen auf den Vorwurf an oder auf die Situation, auf das wissenschaftliche Fehlverhalten. Aber wenn das zum Beispiel eine Ehrenautorenschaft ist, man ist kurz vor der Publikation, dann kommt natürlich das ganze Verfahren oder die ganze Arbeit zum Liegen.

 

Sophia: Ja, da sprichst du ein Hauptproblem an. Diese Verfahren ziehen sich teilweise enorm. Also was ich jetzt der Uni Leipzig zugute halten würde, ist, dass sie sehr ausführlich über die Abläufe dieses Verfahrens informiert. Das machen nicht alle Universitäten und das ist, finde ich, auch noch mal etwas, was man Betroffenen mitgeben kann, um sie zu stärken, eben transparente Verfahrenssicherheit zu schaffen. Heißt, was da steht, sollte natürlich auch so eingehalten werden.

Aber du hast es gesagt, das sind mehrere Schritte notwendig und man braucht einen sehr, sehr langen Atem, um das als Person, die so ein Fehlverhalten angezeigt hat und davon wahrscheinlich ja auch selber betroffen ist, durchzuhalten. Vielleicht verlässt man in der Zwischenzeit sogar schon die Wissenschaft. Das ist ja das Skurrile. Also dass es teilweise wirklich Leute noch in Verfahren drin hängen, die gar nichts mehr mit der Wissenschaft in dem Sinn am Hut haben.

 

Madeleine: Jetzt haben wir noch gar nicht über das Netzwerk MaWi und eure inhaltliche Arbeit so gesprochen. Weil natürlich ist auch eine Anlaufstelle, seid natürlich auch ihr.

Welche Hilfe könnt ihr bieten? Was ist genau euer - ich würde nicht sagen Aufgabenbereich, aber euer Bereich eures Engagements?

 

Sophia: Also wir beraten ehrenamtlich und unabhängig zum Thema Machtmissbrauch in der Wissenschaft, um eben dieses Problem zu reproduzieren, dass wir eine interne Anlaufstelle sind. Das heißt, man kann sich durch uns in allen Fragen des Machtmissbrauchs beraten lassen. Allerdings muss ich dazu sagen, wir beraten ausschließlich allgemein zum Thema.

Das heißt, wir haben weder rechtliche Expertise noch psychotherapeutische Expertise und so weiter und so fort. Wir beraten ausschließlich in Tandems und natürlich ist alles, was man uns übermittelt, streng vertraulich. Das ist so der Haupt- eigentlich die Hauptarbeit, die wir machen, die auch sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, weil dieses Angebot sehr gut nachgefragt wird.

Ansonsten versuchen wir uns aber auch in verschiedene politische Diskussionen zum Thema einzubringen, uns an Veranstaltungen zu beteiligen, Vorträge zu erhalten zum Thema, um halt weiterhin Bewusstsein für die Thematik zu schaffen, weil das ist immer noch ein ganz großes Problem. Das Thema ist tabuisiert, es wird an den meisten Hochschulen überhaupt nicht öffentlich darüber gesprochen und das trägt eben auch dazu bei, dass Betroffene sich teilweise gar nicht als Betroffene verstehen können und dann eben auch eigentlich gar nicht handlungsfähig sind, weil ihnen gar nicht klar ist, was ihnen da eigentlich widerfährt. Durch diese Normalisierungsstrategien wird dann halt auch immer wieder darauf hingewirkt, dass das schon okay ist, dass es in der Wissenschaft halt so zuginge und so weiter und so fort.

Das sind so quasi unsere Hauptsachen. Dann schreiben wir ab und zu auch mal Gastbeiträge oder beteiligen uns halt eben an solchen Podcasts wie heute, sammeln halt Fallbeispiele auf unserer Website und wahrscheinlich habe ich noch ganz viele wichtige Aspekte vergessen, die wir irgendwie auch noch so nebenher machen.

 

Madeleine: Ja, das klingt eigentlich recht niedrigschwellig, so von all den Sachen, über die wir bisher gesprochen haben, dass man sich an euch wenden kann und sich erst mal beraten lassen kann, beziehungsweise auch erst mal auf eurer Internetseite Informationen bekommen kann und durch diese anonymisierten Fallbeispiele von anderen erst mal so ein bisschen sich auch vergleichen kann, einordnen kann, ist mir was ähnliches passiert? (Sophia: Genau.) Bin ich betroffen? Könnte ich betroffen sein? Was würdest du denn sagen, ab wann man quasi aktiv werden sollte und was gibt es vielleicht noch für andere, hast du noch irgendwelche anderen niedrigschwelligen Angebote, die man so bei diesem ersten Gefühl des Unbehagens in Anspruch nehmen kann?

 

Sophia: Also erst mal sollte man da wirklich auf seine eigene Wahrnehmung vertrauen. Das ist etwas, was einem ganz oft im Prozess ausgeredet wird und man darf sich da wirklich darauf verlassen, dass, wenn man sich unwohl fühlt, dass das irgendwie berechtigt ist. Und ja, natürlich sollte man nach Möglichkeit so früh wie möglich handeln.

Das ist halt in der Regel oder oft gar nicht so leicht, das dann eben auch zu erkennen, weil zum Beispiel vielleicht die Kolleg:innen das gleiche Verhalten irgendwie mitmachen und man sich dann doch so relativ schnell in so einer Außenseiterposition sieht. Deswegen diese Art der Dokumentation, die ich eben angesprochen habe, also sich dann ruhig so dokumentieren, was ist ja eigentlich vorgefallen, um eben ja auch so die Oberhand über die Geschehnisse zu behalten und sich das nicht ausreden zu lassen, was einem da eigentlich widerfährt. Ich bin großer Fan davon, sich nach Möglichkeit eher extern beraten zu lassen, also zum Beispiel in Fällen der Diskriminierung dann eben sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden oder aber eben an den Ombudsmann in der Wissenschaft, also dieses überregionale Gremium.

Man kann aber natürlich auch, wenn man wirklich Leuten vertraut, mit diesen Personen darüber reden und vielleicht auch Zeug:innen ansprechen, die in bestimmten Situationen dabei waren. Ja, leider, also ich meine, man muss halt sagen, uns erreichen ja vor allem Personen, bei denen es nicht so gut in der Universität gelaufen ist. Ich habe ein Bias sozusagen dahingehend, dass ich eher davon oder eher mitbekomme, wie es teilweise schlecht an den internen Anlaufstellen läuft, aber es läuft natürlich auch vieles gut an den internen Anlaufstellen. Und wenn man da eine Stelle kennt, der man vertraut, dann kann man sich natürlich auch an diese Stelle wenden. Was ich zum Beispiel aber nicht machen würde, ist, wenn es eine dezentrale Gleichstellungsstelle zum Beispiel gibt, mich an die zu wenden, sondern immer dann eher an die zentrale Gleichstellungsstelle, um möglichst viel Abstand zu dem eigentlichen Ort des Geschehens sozusagen zu haben, um dann wahrscheinlich auch schon mal eher die Möglichkeit auszuschließen, dass da bestimmte persönliche Beziehungen bestehen.

 

Madeleine: Okay, ja, auch sehr wichtiger Hinweis natürlich mit dem Bias. Ja, ich weiß natürlich auch nicht, wie das an den unterschiedlichen Stellen, ob das gut oder schlecht abläuft. Jetzt ist ja so ein häufiges Argument, wenn man in ein Gespräch geht, in ein klärendes Gespräch, in irgendeiner Art und Weise, dass man hört, das haben wir immer schon so gemacht oder so ist das halt, hast du auch schon gesagt. Und man kriegt manchmal so das Gefühl, dass dann richtig so eingefahrene Strukturen, man ist ein junger Mensch, man ist neu in der Wissenschaft, möchte das eigentlich gerne verändern.

Trotzdem werden so Dinge gestärkt durch die strukturellen Schwierigkeiten über Generationen eigentlich weitergegeben. Ich habe das Gefühl, junge Menschen lernen das halt von ihren Vorgänger:innen und man hat selber wenig Möglichkeit, diese alten Strukturen so aufzubrechen. So erscheint mir das. Wie siehst du das und gibt es da irgendwelche Handlungsspielräume, die ich da bisher noch nicht gesehen habe?

 

Sophia: Ja, ich muss dir da leider zustimmen. Also es ist halt vieles- einfach wird als normal sozusagen verkauft, was überhaupt nicht normal ist und auch legitimiert dadurch, dass es routiniert immer wieder so gemacht wird. Und man kann sich durchaus selbst schaden, wenn man dann diese Routinen eben in Frage stellt. Und deswegen würde ich erstmal dafür plädieren, auf den Selbstschutz zu achten. Ich unterstütze, also ich finde es toll, wenn Personen gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft vorgehen, aber sie möchten doch bitte vorher überlegen, ob sie in Kauf nehmen wollen, dass es das dann vielleicht für sie in der Wissenschaft war.

Weil das kann teilweise wirklich die Konsequenz sein, aus so einem rabiaten Handeln. Gleichzeitig möchte ich niemanden davon abhalten, eben sich da einzubringen, was aus meiner Sicht immer sehr, sehr wichtig ist, sich eben mit Kolleg:innen zu verbünden, vielleicht auch über die eigene Fakultät hinweg, eben dem Thema Sichtbarkeit verschaffen, so damit man nicht eben Einzelkämpferin ist. Ich weiß aber auch, dass es sehr, sehr schwierig ist, für bestimmte Themen zu mobilisieren und viele einfach dann Angst haben, als Unterstützerin einer Person zu gelten, eben weil sie sich dann um ihre eigene Sicherheit und ihr eigenes Fortkommen sorgen. Also deswegen, ich glaube, man kann Sachen machen, aber man sollte wirklich im Hinterkopf behalten, dass es um die eigene Sicherheit irgendwie auch geht.

 

Madeleine: Wenn wir uns das jetzt nochmal so strukturell anschauen, wenn man selber nicht so viel Handlungsspielraum hat, wo ich dir auf jeden Fall zustimme, was sind so die strukturellen Dinge, die sich verändern müssten oder welche Ideen habt ihr auch als Netzwerk? Was müsste etabliert werden, damit es so nicht weitergeht?

 

Sophia: Ein sehr, sehr wichtiger Punkt wären externe Anlauf- und Beschwerdestellen tatsächlich. In NRW gibt es dafür jetzt einen Vorstoß und da wird gerade an der Einrichtung einer solchen Stelle gearbeitet. Das begrüßen wir als Netzwerk sehr, weil das wirklich wichtig ist, da Möglichkeiten zu bieten, sich extern beraten zu lassen und nicht eben nur an diesen internen Stellen, die teilweise halt eben auch die Interessen der Universität im Sinn haben und nicht nur die Interessen der Betroffenen. Das ist, glaube ich, ein Ding, was man wirklich, wirklich dringend ändern sollte, dass solche Stellen - das bringt uns nichts, wenn es die nur in NRW gibt, dass solche Stellen eben flächendeckend eingerichtet werden und nicht projektiert sind, sondern wirklich auf Dauer gestellt wird und dass es diese Stellen einfach gibt, dass diese Stellen auch, das ist dann das nächste Problem, bekannt sind. Also, dass Hochschulen da für ein initiativ Werbung sozusagen machen und nicht irgendwie auf der Unter-Unter-Unterseite versteckt ist, ach ja, an diese Stelle können sie sich auch noch wenden, sondern da würde ich mir wünschen, dass man offensiv mit solchen Stellen umgeht und auf die auch hinweist.

Das habe ich jetzt schon x-mal gesagt, aber ich will es einfach nochmal sagen, diese Auflösung von Betreuungs- und Benotungs- und vielleicht auch Beschäftigtenverhältnis, das ist auch, glaube ich, etwas, was man für alle Qualifikationsarbeiten, also Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten sehr schnell umsetzen könnte, was aber eben auch so eine Routine ist, mit der nur ungern gebrochen wird. Jetzt vergesse ich bestimmt noch irgendwas.

 

Madeleine: Ich habe auf jeden Fall noch einen Punkt, der uns im Medizinstudium immer wieder auffällt oder in der medizinischen Promotion. Wir müssen, um unsere Promotion einreichen zu können, eine Vorlesung besuchen über gute wissenschaftliche Praxis. Eine einzige – (Sophia: Immerhin!) (beide lachen). Und die war in meinem Fall schlecht. Und es ist auch nicht vorgegeben, wann man die besucht. Das fällt einem dann meistens ein, kurz bevor man die Arbeit einreicht, dass man das ja eigentlich noch als Pflichtprogramm irgendwie offen hat. Und ich weiß zumindest von Bekannten in Österreich, dass ihre Abschlussarbeiten in so einem gesamten Modul über dass - ja gute wissenschaftliche Arbeiten begleitet werden. Also, dass man quasi ein Modul belegt und dann im Rahmen dessen Vorlesungen, Seminare, Workshops zur guten wissenschaftlichen Praxis hat. Und zwar über die gesamte Zeit der Arbeit. Also, wenn man jetzt an Abschlussarbeiten denkt und auch sonst, wenn man in Richtung Postdoc oder dann wissenschaftlichen Mitarbeitern im Projekt geht, sollte es einfach, finde ich, mehr Lehre und verpflichtende, strukturierte Lehre geben über gutes wissenschaftliches Arbeiten.

 

Sophia: Ja, ich stimme dir zu 100 Prozent zu. Es ist mir ein bisschen peinlich, dass mir das selber nicht eingefallen ist (lacht). Aber es ist ein ganz wichtiger Punkt. Und ich frage mich aber auch, warum fangen wir damit erst bei Doktorand:innen an? Also, warum ist das nicht eigentlich Teil des Studiums, darüber aufzuklären, was ist gute Wissenschaft und was nicht?

 

Madeleine: Da geht es ja dann auch weiter, dass man auch erkennen kann in anderen Studien, wie gut da gearbeitet wurde, ob das alles einhergeht, dass man auch bewerten kann, wie war jetzt eigentlich die Methodik, war das eigentlich für diese Fragestellung die richtige Methodik, die richtige statistische Methode und was ist die Qualität dieser Studie?

 

Sophia: Ja, also das finde ich auch wirklich besonders schrecklich, dass das gerade dem Zufall überlassen wird, ob man überhaupt den DFG-Kodex kennt. Also, ich kannte den auch nicht, bevor ich angefangen habe, mich im Netzwerk zu engagieren. Ich habe mal was von der DFG gehört, dass die halt renommierte Forschungsmittel irgendwie rausgibt und dass man hinter diesen Mitteln her ist. Aber ich wusste nicht, dass die halt eben auch einen Kodex für gute wissenschaftliche Praxis haben. Und ich glaube, dieses Wissen muss viel mehr in die Breite getragen werden, eben auch an alle Statusgruppen und kann nicht irgendwie dann ab einer gewissen … also ja, dann mit einer Vorlesung kurz vor Abgabe der Promotion irgendwie so, ja, ja, die hat das mal gehört. So, das kann es irgendwie nicht sein.

Und das finde ich schon dafür, dass die Wissenschaft eigentlich so eine gesellschaftliche Relevanz hat, dass man das dem Zufall tatsächlich überlässt, ob Personen darüber informiert sind oder nicht.

 

Madeleine: Ja, und das ist für mich eigentlich so der größte Punkt, den ich vermisse in diesem ganzen System, neben dezentralen Beschwerdestellen und Mehranlaufmöglichkeiten. Aber es müssen Konsequenzen entstehen können. Also es gibt ja verschiedene Stellen, die einen Kodex aufschreiben, auch wenn man etwas publiziert. Dann gibt es seitenweise Hinweise, worauf alles zu achten ist und wie die Autorenschaften zu sein haben und dass es keine Ehrenautorenschaften geben darf und so weiter und so fort. Da kann man aber einfach drüber klicken und ist auch gezwungen, das irgendwie zu tun.

Und ich würde mir wünschen, dass es irgendeine Art von Bewertungstool gäbe für die Vorgesetzten, anonymisiert natürlich, und dass das dann halt eine Relevanz hat. Also entweder eine Art Zertifikat oder irgendeine Art von Bewertungsmaßstab oder vielleicht auch an monetäre Konsequenzen gebunden ist, das in irgendeiner Art und Weise natürlich anonymisiert von den Einreichenden, aber das in irgendeiner Art und Weise öffentlich gemacht wird, wie es läuft und dass man anonymisiert bewerten kann und das eine Auswirkung hat.

 

Sophia: Ja, also ich würde vielleicht sogar noch einen Schritt davor gehen und sagen, Personen, die auf eine Professur berufen werden, sollten eben auch ihre Führungskompetenzen nachweisen müssen. Und das sollte ein relevantes Kriterium sein für eine Berufung. Das ist es aktuell nicht. Da geht es vor allem um wissenschaftliche Exzellenz.

Auch wie gut man in der Lehre ist, ist einfach immer nur zweitrangig. Dann werden zwar wichtig - Lehrproben gemacht, aber eigentlich wissen alle, dass das halt irgendwie eher für die Schau ist und dass es letztlich um die lange Publikationsliste geht. Und da würde ich mir einfach wünschen, wirklich einen breiteren Blick darauf zu bekommen, was eigentlich so eine Professur ausmacht und mit welchen Aufgaben die eben auch kommt. Das heißt nicht, dass eine Person irgendwie die perfekte Führungskraft sein muss, wenn sie auf eine Professur kommt, aber man könnte ja durchaus verlangen, dass Personen das eben dann nachholen und sich dieses Wissen aneignen, wenn sie eben auf dieser Position angekommen sind, weil das ist eine verantwortungsvolle Position. Und ich kann mir auch vorstellen, dass das alles überfordernd ist, aber ich glaube, man kann das auch ausfüllen, ohne halt irgendwie ein ätzender Mensch zu werden. Das vergisst man ganz oft. Es gibt ja auch genügend Leute, die sich vernünftig verhalten.

 

Madeleine: Das stimmt. Aber klar, wir sollen natürlich auch nicht nur mit dem Finger zeigen.

Ich glaube schon, dass es insbesondere in der Ausführung von so unterschiedlichen Doppelrollen unglaublich schwierig ist, allen Aufgaben gerecht zu werden und dabei alles richtig zu machen.

 

Sophia: Das glaube ich auch, aber dementsprechend sollte man auch eben offen für Feedback durch seine Mitarbeiter:innen sein. Gleichzeitig ist es halt sehr, sehr schwer, in so einer prekären Beschäftigungsschleife so ein Feedback überhaupt tatsächlich loszuwerden, weil man sich dann im Zweifelsfall doch selber gefährdet. Da kann ich es gut verstehen, wenn man dann einfach nichts sagt. Das ist in Ordnung. (Madeleine: Ja, auf jeden Fall. )

Aber das zeigt halt eben auch wieder dieses strukturelle Problem auf. Es ist nicht das Problem, dass die eine Postdoc nichts sagt, wenn irgendwas schiefläuft. Strukturell wird das echt sehr, sehr schwer gemacht, überhaupt diese Sachen zur Sprache zu bringen.

 

Madeleine: Ja, stimme ich dir total zu. Wenn wir jetzt noch mal so gesamtgesellschaftlich überlegen, was würde es bedeuten, wenn es auf einmal gar keinen Machtmissbrauch in der Wissenschaft mehr gäbe? Welche Folgen dessen könnten verhindert werden, die uns vielleicht auch alle betreffen?

 

Sophia: Oh, das ist eine sehr schwierige Frage. Aber ich würde als erstes mal sagen, dass wir, glaube ich, mehr Chancengleichheit hätten in der Wissenschaft und sich auch aktuell in der Wissenschaft unterrepräsentierte Gruppen mehr vielleicht von der wissenschaftlichen Laufbahn angesprochen fühlen würden. Wir hätten integrere Forschung. Das war ein komisches Wort, ich muss mal gerade überlegen. Oder wir hätten, glaube ich, einfach eine bessere Art der Forschung. Weil Forschung, die auf Machtmissbrauch oder auf der Ausbeutung der Machtpositionen basiert, ist aus meiner Sicht keine gute Forschung. Sei das noch so ein gutes Paper, was da am Ende rausgekommen ist. Aber es ist keine gute Forschung. Und wir hätten dann bessere Forschung. Wir hätten, glaube ich, grundsätzlich einfach eine Atmosphäre an Universitäten und in der Wissenschaft, die eben dazu einlädt, dass Wissen entsteht und nicht bestimmtes Wissen bevorzugt, weil das halt diejenigen gewesen sind, die sich durchgesetzt haben. Ich glaube, grundsätzlich käme das der Wissenschaft zugute im Sinne von Wissensgenerierung auch.

Wenn wir nochmal das ganze Thema der prekären Beschäftigung angehen. Wir hätten, glaube ich, auch einfach, das zieht ja dann immer einen ganzen Rattenschwanz an Folgen nach sich, wenn Leute mit Mitte 40, Ende 40 dann nochmal den Job wechseln müssen. Teilweise geht das dann auch nochmal mit einer längeren Arbeitssuche einher und so weiter und so fort. Ich glaube auch, dass man sich das, das wird jetzt eigentlich irgendwie gesellschaftlich sozusagen kofinanziert, diese Art der Beschäftigung. Aber ich glaube auch, dass es letztlich günstiger wäre und vor allem fairer für die Personen, die irgendwie jahrelang alles gegeben haben in ihrem Job und trotzdem keine Bleibeperspektive haben.

 

Madeleine: Ja, das ist auch nochmal ein sehr wichtiger Punkt. Und wie du sagst, ich glaube, Forschung wäre einfach besser. Und das muss man sich vor Augen führen. Auch wenn das eigene Projekt, an dem man arbeitet, vielleicht einem manchmal auch irrelevant vorkommt für das Überleben der Menschheit (lacht). Aber letzten Endes geht es ohne Forschung ja nicht. Also was heißt es, es geht vor allem nicht voran. Und wir haben unser modernes Leben und die moderne Medizin Forschung zu verdanken. Und wir wollen ja auch noch ein Stück weiter kommen.

 

Sophia: Ich glaube, es ist auch wichtig einzubeziehen, dass natürlich solche Fälle von Machtmissbrauch, die dann öffentlich werden, irgendwie auch was mit der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft machen. So man sieht die, also diese Wissenschaftler:innen, die vielleicht für einen eh nicht so ansprechbar sind. Und dann nimmt man noch wahr, die benehmen sich wie sonst was. Und also das hat keine Konsequenzen so - wieso sollte man dann irgendwie diese daraus generierten Erkenntnisse für glaubwürdig halten? Oder warum sollte man wirklich ernsthaft danach sein Leben ausrichten? Und ich glaube, das macht schon was mit der öffentlichen oder gesellschaftlichen Wahrnehmung vielmehr von Wissenschaftlern, wenn dann halt diese Fälle öffentlich werden, so wichtig das ist.

Aber hätten wir dann eben den Machtmissbrauch nicht, bräuchten wir auch nicht diese Berichterstattung.

 

Madeleine: Ja, aber du hast total recht. Also ich habe auch manchmal ein bisschen Angst davor, darüber so zu reden, weil es natürlich die Glaubwürdigkeit der Forschung und der medizinischen Forschung total mindert. Und ich denke, wir haben eh ein Überangebot von Informationen und Informationsquellen, Dr. Google und Co., wo sich alle ja auch zum Glück informieren können, aber wo halt auch einfach sehr viel Fehlinformation herrscht. Und ich habe zum Beispiel persönlich einfach auch total Angst vor diesem Verlust der Glaubwürdigkeit in Zukunft von Medizin und insgesamt auch von Forschung.

 

Okay, am Ende unseres Podcasts fragen wir unsere Interviewpersonen immer nochmal, was so die eigene Utopie wäre für die Zukunft. Wenn du das nochmal zusammenfassen könntest für uns, was ist deine Utopie für die Medizin, für die Forschung, was den Machtmissbrauch angeht?

 

Sophia: Also ich glaube, da kommt mir jetzt auch wieder mal ein Bias ein bisschen in die Quere, dass ich vor allem das Schlechte mitbekomme. Aber ich glaube, für die Medizin würde ich mir vor allem wünschen, dass Forschungspraxen kultiviert werden, die halt eben Machtmissbrauch verhindern, dass auch aus der Medizin starke Stimmen kommen, die es jetzt auch durchaus schon gibt. Dass Machtmissbrauch eben ein Problem ist. Ich glaube, es geht nicht, also das ist mir zu utopisch, dass es keinen Machtmissbrauch mehr geben wird. Aber ich glaube, es geht darum, den Machtmissbrauch als Teil der Wissenschaft zu verstehen, das zu normalisieren und das auch eben angemessen zu ahnden.

 

Madeleine: Also nicht den Machtmissbrauch zu normalisieren, sondern das Vorhandensein dessen, oder?

 

Sophia: Genau, dass es ihn gibt, oh ja. Danke für die Korrektur. Und davon ausgehend inklusivere Praktiken entwickeln, des Miteinanderforschens und des Umgangs miteinander.

 

Madeleine: Ja, das ist doch eine schöne Utopie. Hast du noch irgendwas, was du gerne hinzufügen möchtest, wo du sagst, da haben wir noch zu wenig drüber gesprochen?

 

Sophia: Ich habe ein bisschen das Gefühl, wir hätten zu wenig über die Medizin gesprochen. Aber vielleicht erläuter ich das als Letztes nochmal, warum ich immer so mich sehr schwer tue, da so in die einzelnen Disziplinen reinzugehen. Weil die Medizin ist ja auch nicht unabhängig von der gesamten Wissenschaft zu sehen. Und ich glaube, es ist wichtig, nicht ins Klein-Klein zu gehen und in das Unter-Unter-Unterfach und da bestimmte Maßnahmen gegen Machtmissbrauch zu etablieren. Sondern ich glaube, es ist wichtig, sich diesem Gesamtzusammenhang immer zu vergegenwärtigen, dass halt jede Disziplin auch trotzdem Teil des Wissenschaftssystems ist, das eben aktuell nach bestimmten Maßgaben funktioniert, wie zum Beispiel vielen Publikationen und so weiter und so fort.

Davon kann sich keine Disziplin irgendwie frei machen. Natürlich sind das dann nochmal irgendwie quantitative Unterschiede, aber trotzdem muss man sich glaube ich immer wieder dieses große Ganze vergegenwärtigen, statt sich im Klein-Klein zu verlieren. Es ist niemandem damit geholfen sozusagen, wenn es nur in der Medizin gut liefe, also meine Utopie verwirklicht würde, sondern dieses Wissen müsste halt eben auch aus der Medizin raus in die anderen Fächer getragen werden.

Das vielleicht so als abschließende Erklärung.

 

Madeleine: Ich glaube, da kann man sich noch ein bisschen drüber streiten. Ich glaube, es ist total wichtig, dass man den gesamten Zusammenhang sich vergegenwärtigt, wie du sagst, und einmal so diesen Zusammenhang verstanden hat. Letztlich ist ja – jede einzelne Person kommt ja irgendwo her und kommt aus irgendeinem Unter-Unter-Unterfach und ich glaube, wenn wir alle da anfangen, so ein bisschen vor unsere eigenen Haustür zu kehren und zu was wir in unserem eigenen Fach tun können für die Verbesserung der Situation, dann wäre auch wieder für das Gesamte viel getan.

 

Sophia: Ja, auf jeden Fall. Da stimme ich dir voll und ganz zu. Aber also ich meine halt nur, dass man nicht so in der Unter-Unter-Unter-Disziplin gucken sollte, was läuft denn da schief, sondern halt das mit Blick eben auf gesamtgesellschaftliche Strukturen, Diskriminierungskategorien, aber eben auch die Strukturen des Wissenschaftssystems machen sollte.

 

Madeleine: Ja, total. Okay, ja dann vielen lieben, lieben Dank dir, Sophia, für unser Gespräch heute. Es hat mich wirklich total gefreut, dass wir da so ausführlich drüber sprechen konnten.

 

Sophia: Ja, danke dir für die Einladung. Es hat sehr sehr viel Spaß gemacht. Ich muss glaube ich noch ein paar Sachen mit der Medizin noch mal nachgucken und mir darüber noch mal Gedanken machen. Aber ja, vielen Dank, dass ihr dem Thema auch weiterhin Sichtbarkeit verschafft, weil das ist uns eben auch wichtig im Netzwerk, dass dieses Thema konsequent Sichtbarkeit erhält und damit auch irgendwie normalisiert wird in seiner Gegenwart oder dass es das gibt. Aber dafür brauchen wir halt solche Initiativen wie euch. Vielen Dank.

 

Madeleine: Ja, sehr gerne. Und an alle, die zuhören, ich hoffe ihr konntet auch viel mitnehmen, konntet vielleicht auch mal selber reflektieren: Wie war das in meiner Abschlussarbeit -egal was das für eine war oder wie läuft es in meiner Promotion? Vielleicht was läuft auch total gut. Wovon bin ich nicht betroffen? Ich kann euch sehr ans Herz legen, mal auf der Internetseite vom Netzwerk MaWi vorbeizuschauen. Das verlinken wir auf jeden Fall auch.

Da gibt es noch gute Informationen, die man auch teilen kann. Ansonsten, wenn euch der Podcast gefallen hat, dann sagt es gerne weiter. Schickt ihn an eure Freunde und Freundinnen, Bekannten oder vielleicht auch in einen Verteiler im Forschungsnetzwerk. (lacht)

Ja, und wie immer freuen wir uns über euer Feedback. Bis ganz bald.

Das war Heilewelt, der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Lieben Dank an euch fürs Zuhören. Wenn wir euch heute ein bisschen inspirieren konnten, freuen wir uns über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Website oder über eine Bewertung auf eurer Lieblingspodcastplattform. Abonniert auch gerne unseren Newsletter oder folgt uns auf Instagram, wenn ihr keine Folge mehr verpassen wollt.

In diesem Sinne, bleibt gesund, neugierig und optimistisch. Bis ganz bald.