Transkript: Wie lebt man (gut) mit HIV? Marcel Dams über Mut, Offenheit und Selbstliebe

(Intromusik im Hintergrund)

 

Pia: Hi, willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Pia, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern es bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen.

Stellt euch zum Beispiel eine Welt vor, in der Menschen mit HIV keine Hemmungen haben, dies zu erzählen, sei es ihrem Date oder ihrer Ärzt:in und ihre Sexualität genauso entspannt ausleben können, als ob sie nicht HIV-positiv wären. An dieser Vision arbeitet Marcel Dams, strukturell und auch ganz persönlich, denn Marcel ist Sexualberater, Sexualpädagoge, Schwulenaktivist und Landeskoordinator der Aidshilfe NRW und eben selbst HIV-positiv. Er hat einen eigenen YouTube-Kanal, wo er von seinem Umgang mit der Diagnose berichtet, arbeitet an diversen landesweiten Aufklärungskampagnen und ich kenne ihn von einem Vortrag vor Mediziner:innen, in dem er über den Umgang mit HIV im Gesundheitswesen gesprochen hat und mich doch auch damals ganz schön beeindruckt hat mit seiner sehr offenen, faktenbasierten, reflektierten und tabufreien Sicht auf HIV, die man sonst nicht immer so häufig in der Medizin kennen lernt.

Ich war nach unserem Gespräch sehr beeindruckt, wie selbstreflektiert und so gar nicht streng mit sich selbst Marcel seinen Lebensweg sieht und den gesellschaftlichen Umgang mit HIV, wie er darüber gesprochen hat und das Ganze, obwohl er so einige negative Erfahrungen gemacht hat, wie er erzählt hat und ich habe mir gedacht - wenn wir uns alle eine Scheibe von seiner offenen und zu sich selbst so emotional weichen Art abschneiden würden, glaube ich, dass nicht nur der Umgang mit HIV in der Gesellschaft und Medizin besser werden würde. Hi Marcel, voll schön, dass du da bist. Wie war dein Tag bisher? Woher kommst du so?

 

Marcel: Ja, mein Tag war gut. Wir haben Montagmorgen und ich war beim Sport und bin, also vorher geht es mir immer nicht so gut, weil ich dann keine Lust habe, aber danach fühle ich mich immer gut. Insofern freue ich mich hier zu sein und fühle mich auch noch gut dabei.

 

Pia: Kenne ich auf jeden Fall die Situation. Habe ich noch nicht geschafft heute Morgen, ist auch schwer. Ich möchte direkt mit einem Zitat starten und zwar aus der Studie der Deutschen AIDS-Hilfe und dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft.

Die haben HIV-Positive befragt und letztendlich ein Zitat daraus war: „Ein gutes Leben mit HIV ist medizinisch möglich, der gesellschaftliche Umgang hinkt hinterher“. Und das würde ich voll gerne mit dieser Folge zum einen näher anschauen und aber auch diese Perspektive ein wenig verändern. Und du bist ja Landeskoordinator der AIDS-Hilfe NRW im Bereich ‚Schwule Prävention‘ und sprichst jeden Tag darüber, wie und dass man mit HIV gut leben kann, klärst auf, brichst Stigmata und lebst einen offenen und positiven Umgang mit Sexualität vor.

Wie kommt man dahin und wie hast du das geschafft?

 

Marcel: Also das ist natürlich hoch individuell. Wenn man jetzt zehn Leute fragen würde, würden wahrscheinlich zehn Leute was anderes sagen, wie sie da hingekommen sind oder auch warum sie nicht hingekommen sind. Das ist ja auch spannend, warum es nicht immer klappt.

Bei mir war es so, es hat erst mal jahrelang gedauert und es hat quasi geklappt, weil ich glaube, dass ich auch Unterstützung hatte. Also ich war relativ früh zum Beispiel innerhalb von AIDS-Hilfe in der positiven Selbsthilfe verankert. Das heißt, da treffen sich Menschen, die HIV-Positiv sind und tauschen sich aus und unterstützen sich gegenseitig.

Also da geht es auch um so Themen wie Diskriminierung und Stigmata zum Beispiel, wie man damit umgehen kann. Und da sind in Teilen auch Menschen, die schon zehn oder zwanzig Jahre mit HIV leben oder länger. Und da kann man sich dann erst mal sowas von abschauen.

Wie gehen die eigentlich damit um? Wo stehen die gerade? Und das hat so eine Vorbildfunktion, würde ich sagen. Das ist das eine. Und das andere ist, dass ich glaube, dass der wichtigste Schritt für mich war, zu trennen, wenn es zu Diskriminierung und Stigma kommt, dann bin nicht ich das Problem, sondern die Vorurteile auf der anderen Seite oder auch die Ängste, das sind ja nicht immer Vorurteile, die Ängste und Gefühle auf der anderen Seite sorgen dafür.

Also das sozusagen nicht so persönlich zu nehmen und das nicht so an mich ranzulassen, dass ich jetzt schlecht bin oder das Problem bin, sondern das zu trennen und da zu lassen, wo es hingehört, nämlich beim Gegenüber. Und mir hat auch geholfen natürlich mich, das hat auch nicht von Anfang an geklappt, aber mich zu wehren. Also zum Beispiel im Medizinsystem. Ich wurde mal beim Zahnarzt diskriminiert, dass ich nicht behandelt werden sollte. Ich habe dann Beschwerde eingelegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung zum Beispiel. Und das sind so Dinge, die Stück für Stück und alles zusammengesetzt helfen.

Aber das ist halt so, am Anfang ist alles super schwer. Und dann ist es zum ersten Mal so, dass man reflektiert, bin ich jetzt das Problem? Dann ist es zum ersten Mal so, dass man sich wehrt. Es ist schwer, aber man tut es.

Man hat so das Gefühl, vielleicht bin ich doch das Problem, aber ich mache es jetzt einfach und beschwere mich. Und dann mit der Zeit wird es so normaler, auch diese Sichtweise einzunehmen und das nicht persönlich zu nehmen und einfach ganz - ich würde sagen, ein Stück weit auch sachlich damit umzugehen. Also wenn ein Arzt mich nicht behandelt, dann gehe ich da einfach nicht mehr hin und beschwere mich.

Ist leicht gesagt in einer Stadt wie Köln, wo man viel Auswahl hat natürlich, aber ist anders im ländlichen Bereich, wo die Versorgungsstruktur anders ist. Aber das ist das, was so selbstverständlicher wird. Und das nicht an sich ranzulassen und etwas dagegen zu tun.

 

So entsteht ja auch Aktivismus, also man wird aktiv gegen etwas. Das hat aber Jahre, also wirklich bestimmt sechs, sieben, acht Jahre gedauert, bis ich wirklich verinnerlicht hatte, dass ich jetzt nicht das Problem bin.

 

Pia: Ja, wir wollen auf jeden Fall ja heute auch noch so ein bisschen darüber sprechen, wie das im Gesundheitswesen, was da so überwunden werden könnte noch oder was man da vielleicht immer noch erleben muss oder wo so die Probleme liegen.

Aber vielleicht nochmal, du hast ja relativ früh die Diagnose bekommen. Was würdest du anderen Leuten sagen, die auch relativ neu eine HIV-Diagnose bekommen? Was könntest du denen mit auf den Weg geben?

 

Marcel: Also erstmal würde ich sagen, was ich sehr wichtig finde, ist, alle Gefühle, die da so aufkommen, sind in Ordnung. Also manchmal hat man so das Gefühl, man kann heute gut damit leben und man darf jetzt nicht mehr erschüttert sein oder so. Weil eigentlich ist es ja eine chronische Erkrankung, die gar nicht so problematisch ist. Wenn man trotzdem erschüttert ist und Angst hat, erstmal ist es auch in Ordnung. Ich hatte auch am Anfang Angst und war erschüttert, obwohl ich wusste, man kann eigentlich gut damit leben.

Das andere, was sehr wichtig ist, ist, glaube ich, sich auch Unterstützung zu holen, wenn man sie braucht. Nicht jeder braucht sie, würde ich sagen. Aber es gibt dafür Strukturen in Aidshilfe, es gibt diese Selbsthilfegruppen zum Beispiel.

Man kann sich auch an Leute im ärztlichen Bereich wenden, also einfach an Ärzt:innen, Schwerpunktärzt:innen, die Infektiolog:innen sind und sich damit gut auskennen, die sozusagen diese medizinischen Sachen gut erklären können. Und alles, was so Gefühle und Akzeptanz, Selbstakzeptanz betrifft, wäre dann eher so der Bereich Aidshilfe und Selbsthilfe, würde ich sagen. Aber da gibt es gute Strukturen, es gibt Leute, die einem helfen, einen unterstützen.

Es gibt auch so ein Buddyprojekt von der Deutschen Aidshilfe. Da sind dann so HIV-Positive, die schon länger mit der Infektion leben, extra dafür da, dass man sie ansprechen kann und die begleiten einen dann auch so auf den ersten Schritten. Das sind alles, glaube ich, gute Dinge, die man machen kann.

 

Und das andere, was ich glaube, was wichtig ist, ist auf jeden Fall zu realisieren, dass der Infektionsweg, egal wie er aussieht, nicht dazu führen sollte, dass man sich schämt oder dass man sich schuldig fühlt. Es kann eben passieren, dass man nicht immer sich an gewisse Safer-Use, Safer-Sex-Regeln halten kann oder will. Und das ist auch völlig in Ordnung, das ist auch menschlich.

Das bedeutet nicht, dass man ein schlechter Mensch ist, sondern das bedeutet einfach, dass man im Leben manchmal in Situationen kommt, wo es nicht so einfach ist, Entscheidungen zu treffen - die man vielleicht anders getroffen hätte, wenn sie in einer anderen Lebensphase passiert wären oder wie auch immer. Aber das kann einfach passieren und man ist immer noch ein Mensch wie jeder andere und hat auch das Recht, gut und gerecht behandelt zu werden, auch wenn es Situationen geben wird, die auf einen zukommen, wo das nicht so sein wird. Ich hatte in dieser Studie auch gelesen, dass HIV-positive Menschen über sich gesagt haben, dass sie aufgrund ihrer HIV-Diagnose letztendlich auch mehr über sich und ihre Sexualität gelernt haben.

Und ich habe das Gefühl, dass das vielleicht auch so ein bisschen das ist, was du jetzt gerade so angesprochen hast, dass man sich damit vielleicht auch nochmal einfach beschäftigt, aber nicht auf eine zwingend schlechte Art. Also so irgendwie, dass irgendwas ganz falsch gelaufen ist oder dass man eine Schuldzuweisung sich selbst gibt. Ja, auf jeden Fall.

Also man ist ja plötzlich in einer Situation, wo man gezwungen ist, sich damit auseinanderzusetzen. Also man kann es auch verdrängen, passiert auch, aber das wird sicherlich nicht jahrelang funktionieren zum Beispiel. Man ist gezwungen, sich mit bestimmten Dingen auseinanderzusetzen, auch weil ja von außen diese Diskriminierung passiert und die Stigmata so aufeintreffen. Es ist schwierig, das zu ignorieren dann. Also man ist dem ausgesetzt und kommt dann in die Situation, sich damit auseinanderzusetzen. Und da beginnen dann, würde ich sagen, so klassische Bildungsprozesse.

Da gibt es ja auch Studien zu. Es bricht sowas ins Leben rein, was neu ist, auf das man nicht vorbereitet war. Das kann was Schönes sein, aber in dem Fall mit einer HIV-Infektion ist es halt eben was nicht so Schönes. Und dann muss man gucken, wie man das in das bisherige Leben integriert. Und das bedeutet dann in der Regel, dass sich das bisherige Leben auch verändern muss, weil es nicht so einfach ist, eine chronische Erkrankung einfach mal so ins eigene Leben zu integrieren. Das geht halt einfach gar nicht in der Regel.

Und dann ist immer so die Frage, wo will man eigentlich hin? Das hatte ich auch. Und man verabschiedet sich sehr häufig, würde ich sagen, auch von bestimmten biografischen Dingen oder distanziert sich so davon und öffnet sich so neue Horizonte im eigenen Leben. Es passieren auch gute Dinge mit der Zeit.

Man gewinnt ein Umfeld, was anders ist als vorher. Man lernt Leute kennen, die ganz anders sind als man selbst, in der Selbsthilfe zum Beispiel. Man hat so eine Verbundenheit durch die Diagnose, aber trotzdem sind ja sehr unterschiedliche Menschen dort.

Und man hat so eine gewisse Art von Vielfalt plötzlich im Leben, die gesamtgesellschaftlich gewünscht wäre eigentlich, aber nicht so wirklich da ist. Und das führt schon dazu, dass man so das eigene Leben hinterfragt. Nicht nur die Sexualität, sondern grundsätzlich.

 

Und dass man auch darüber nachdenkt: ist das Leben, was ich bisher geführt habe, eigentlich das, was ich wollte oder nicht? Und das ist ja eigentlich was sehr Schönes. Ja, also ein bisschen so ein Wachrüttler.

 

Pia: Und was meinst du, wenn du sagst, so bestimmte biografische Dinge ändern sich dann?

 

Marcel: Naja, mein Blick zum Beispiel. Ich habe mich ja beim Sex infiziert. Das ist ja auch unterschiedlich. Es gibt ja auch andere Wege. Drogenkonsum zum Beispiel oder dass man es von Geburt an hat oder wie auch immer. Und ich habe das immer als großen Fehler gesehen, dass ich so ein Risiko eingegangen bin damals. Es hatte so seine Gründe. Ich habe jemanden kennengelernt und zwar auch keinen One-night-stand und habe da so vertraut und so. Und dann ist es halt passiert.

Und mittlerweile ist es so, dass ich anders auf Sexualität blicke. Ich würde schon sagen, dass ich so einen Blick habe, auch durch meine fachliche Auseinandersetzung, nicht nur persönlich - dass es bestimmte Dinge gibt, gerade wenn es um Lust und Genuss geht. Also wir treffen da im Drogenkonsum auch darauf, wie auch in der Sexualität.

 

Da geht es um Kontrolle abgeben und ein Stück weit auch zu akzeptieren, dass es eigentlich keine Situation gibt, wo man alles unter Kontrolle hat. Es gibt keine sexuelle Situation und auch kein Rausch zum Beispiel, wenn es um Drogen geht, wo man alles unter Kontrolle haben kann. Man kann sich vorher Gedanken machen und danach und sozusagen Dinge vorbereiten. Aber im Prinzip ist es unkontrollierbar. Es bleibt immer so, dass man nicht sagen kann, wie Situationen wirklich sein werden oder wie man sich verhält. Und das ist etwas, was ich dadurch gelernt habe und auch eher zu schätzen weiß.

Nicht, dass ich jetzt sage, ich gehe jeden Tag tausend Risiken ein, bei mir ist alles egal. Das nicht, aber es ist schon so, dass ich glaube, dass ich besser damit leben kann, dass das Leben nicht immer und das eigene Handeln nicht immer vorhersehbar ist. Und das sicherlich durch die Infektion und die Auseinandersetzung.

 

Pia: Ja, klingt schon auf jeden Fall sehr weise, über was man sich da so Gedanken macht für sich sehr persönlich. Wie würdest du sagen, sieht denn dein Leben mit HIV jetzt aus? Was ist anders und was aber eben auch einfach nicht?

 

Marcel: Das ist eine schwierige Frage und gleichzeitig eine gute Frage, weil ich ja gar nicht weiß, wo ich jetzt wäre ohne die Infektion. Ich bin jetzt seit fast 15 Jahren HIV-positiv. Also es hat sich extrem viel verändert. Ich habe dadurch, wie gesagt, es hat meine Persönlichkeit beeinflusst über die Jahre und meinen Lebensweg total beeinflusst, beruflich, privat. Insofern ist es schwierig zu sagen.

Ich glaube, was sich auf jeden Fall verändert hat, sind so - ich bin, glaube ich, daran gewachsen und hätte mich mit bestimmten Fragen, die ich ja gerade schon genannt habe, nicht auseinandergesetzt. Und die haben dazu geführt, dass ich mich verändert habe. Ob ich jetzt unbedingt deshalb irgendwie weiser bin als andere, weiß ich nicht, aber ich blicke anders aufs Leben - so würde ich es formulieren - als vorher. Und was sich nicht unbedingt verändert hat, ist, dass ich sagen würde, dass ich jetzt sozusagen super Verantwortung übernehme oder super vorsichtig mit allem im Leben umgehe. Es könnte ja auch eine Reaktion sein.

Ich würde eher sagen, dass ich so durch die Infektion immer noch so derselbe geblieben bin, was so Lust und Genuss angeht. Also ich habe mich nicht eingeschränkt dadurch, vielleicht am Anfang kurz, aber ich lebe immer noch eine offene Sexualität und so und bin jemand, der sehr- ich finde Lust und Genuss im Leben sehr wichtig, auch als Ausgleich zu allem Leistungsdruck gesellschaftlich und so. Und das ist was, was ich vorher auch schon hatte.

Ich war immer so und das hat sich nicht verändert, zum Glück. Aber ich glaube, es hat sich mehr verändert, als das gleich geblieben ist.

 

Pia: Ja. Und wenn du aber jetzt so sagen würdest, dein Alltag sieht ja irgendwie anders aus als bei jemandem, der nicht das HIV-Virus hat?

 

Marcel: Ja, ich muss ja die Tabletten nehmen einmal am Tag. Das ist jetzt nicht so das große Ding, würde ich sagen. Ich glaube, man hat immer so die Vorstellung - hatte ich auch - jeden Tag so eine Tablette nehmen, das ist aber schon heftig.

Ich muss sagen, das war so vielleicht die ersten Wochen so und mittlerweile, ich nehme die morgens, wenn ich mir die Zähne putze, weil ich stell mir jetzt keinen Wecker oder so und ich brauche dann so eine Routine, wo ich weiß, jetzt ist auch Tablettenzeit. Und dann nehme ich die halt und dann ist es vorbei. Und ich habe früher auch so Probleme gehabt.

Ich war nie so wirklich richtig krank oder so. Ich habe nicht so viele Medikamente genommen bisher und hatte so Probleme, weil die Tablette, die ich nehme, ist so groß. Wenn man sie am Anfang nimmt, dann ist es so komisch und unangenehm.

Irgendwie kriegt man so einen Würgerreflex, wenn man sie nimmt. Und mittlerweile denke ich, was war das denn damals, weil jetzt ist es so normal. Und dann gehe ich halt regelmäßig zum Arzt. Also alle drei Monate muss ich zum Arzt zur Blutabnahme und auch dann zur Befundbesprechung. Das ist natürlich so, dass man es in den Alltag integrieren muss. Aber ich muss ja jetzt auch nicht jede Woche zum Arzt, das geht eigentlich auch ganz gut. Was aber auch auf den Alltag ausstrahlt, ist, dass ich so ein Bewusstsein habe für Gesundheit. Ich bin ja in einem System jetzt drin, wo ich quasi regelmäßig durchgecheckt werde. Das ist eigentlich auch ein Privileg. Also es wird jetzt nicht nur geguckt, ob alles mit HIV in Ordnung ist. Zum Beispiel, ob die Medikamente wirken, ob ich unter der Nachweisgrenze bin und so weiter, wie viele Viren im Blut sind. Sondern es wird dann auch geguckt, habe ich andere Geschlechtskrankheiten? Es wird auch geguckt, wie sieht mein Spiegel bei bestimmten Werten aus? Nierenwerte zum Beispiel und so. Ich glaube, wenn ich jetzt zum Beispiel Krebs entwickeln würde, würde man es sehr leicht und sehr früh feststellen. Das ist bei anderen Leuten nicht so. Insofern glaube ich, dass das auch einen Einfluss hat. Im Alltag ist es so, ich muss zum Arzt gehen, Tabletten nehmen. Viel mehr Gedanken mache ich mir nicht.

 

Ich spüre das halt nur, wenn es von außen kommt. Also wenn irgendeine Situation ist, entweder Diskriminierung oder wenn Leute so extrem neugierig sind. Also wenn man Leute kennenlernt, dann fragen die, wo ich arbeite, bei der AIDS-Hilfe - bist du denn auch selber positiv? Und ich lüge dann natürlich nicht, sage dann so die Wahrheit. Und dann kommen für mich so durchschnittliche Fragen, weil die sind dann so interessiert. Und dann wird man so zum Aktivisten auch manchmal privat, das ist schon was, was passieren kann, aber es kommt jetzt auch nicht häufig vor.

 

Pia: Ja, voll gut, dass du das gesagt hast. Das habe ich mir auch noch gar nicht so überlegt.

Aber es stimmt ja total, dass du wahrscheinlich wirklich sehr, sehr gut überwacht bist. Viel, viel besser als andere Leute in deinem Alter. Vielleicht schieben wir noch einmal kurz einen Faktencheck rein. Kannst du uns noch einmal sagen, wir reden hier die ganze Zeit von HIV. Das ist ein Virus. Letztendlich nimmt man Medikamente. Kannst du das noch einmal differenzieren zu AIDS? Also warum nimmt man überhaupt Medikamente? Dass wir einmal kurz hier alle den gleichen Stand haben.

 

Marcel: Also HIV ist quasi ein Virus, mit dem man sich auf unterschiedlichen Wegen anstecken kann. Häufigste Ansteckungswege - also sehr schwer sich damit anzustecken- aber häufigste Ansteckungswege sind ungeschützter Geschlechtsverkehr oder Drogenkonsum, also Spritzenteile oder Utensilienteile und über Blutkontakt, aber das kommt im Alltag- also im Alter kann man es nicht bekommen und kommt auch eigentlich nicht mehr vor. Und AIDS ist eine Krankheit. Also HIV ist keine, man nennt es eine chronische Erkrankung, aber erst mal macht es sozusagen nicht viel, außer dass es auf Dauer so ist, dass die Viren das Immunsystem angreifen und dann wird das Immunsystem so schwach, dass dann das Krankheitsbild AIDS ausbrechen kann. Das dauert, wenn man nicht behandelt wird, im Durchschnitt so acht bis zehn Jahre. Und AIDS ist jetzt auch keine Krankheit, wo man sagen kann, „das ist jetzt AIDS“, sondern es ist ein Krankheitsbild, was sich aus anderen Krankheiten zusammensetzt. Das heißt, bestimmte Lungenentzündungen, bestimmte Krebsarten kommen vermehrt auf, wenn man AIDS hat. Und dann kann man gucken, okay, jetzt hat man eine Lungenentzündung, man hat eine bestimmte Krebsart, ah, das könnte AIDS sein. Und dann macht man zum Beispiel einen HIV-Test. Und wenn man HIV-positiv ist und dann dieses Krankheitsbild hat, dann ist klar, dass es zusammenhängt. Aber HIV ist erst mal keine Krankheit. Man ist auch nicht krank in dem Sinne. Man hat am Anfang oft so Symptome wie so eine Grippe, weil die Viren kommen halt in den Körper und der Körper muss Antikörper bilden, dann wird man krank. Und dann hat man so eine ganz lange Phase, bis AIDS ausbricht, diese acht bis zehn Jahre. Und eigentlich merkt man nichts.

Deswegen landen auch viele Leute nicht beim Arzt direkt, weil sie denken, sie hätten eine Grippe und machen dann nichts und kommen dann erst wieder nach diesen vielen Jahren ins Krankheitssystem oder Medizinsystem, wenn sie diese Erkrankungen haben. Und AIDS kann auch töten oder ist tödlich unbehandelt. Das bedeutet aber nicht - wenn man jetzt AIDS hat, zumindest in westlichen Industrieländern, und zum Arzt kommt, dann kann man auch die Behandlung anfangen, und in der Regel kann man diesen Status wieder umwandeln. Dass man die Medikamente verabreicht, die HIV-Positive nehmen und dann wird man wieder gesund sozusagen. Manchmal gibt es Folgeschäden, wenn irgendwelche Organe schon angegriffen sind. HIV kann man, wenn man es wie bei mir, ich hatte ungeschützten Verkehr, Symptome und eigentlich direkt die Infektion, also die Diagnose und wusste, dass ich die Infektion habe. Und wir haben relativ schnell behandelt. Insofern war ich nie wirklich krank und bis jetzt waren meine Werte immer gut. Es gab keine Ausschläge oder so. Und dann hat man eine fast gleiche Lebenserwartung wie alle anderen. Das meint diese Studie auch mit, man kann medizinisch gut damit leben, man wird nicht mehr krank, man stirbt nicht dran. Aber unbehandelt ist es schon tödlich und es gibt auch Menschen, die keinen Zugang zur Krankheitsversorgung haben, auch in Deutschland. Das ist natürlich problematisch, weil die, wenn die nicht behandelt werden, irgendwann krank werden. Und das ist dann schon lebensbedrohlich.

 

Also quasi um noch mal die Therapie anzusprechen. Du nimmst die Tabletten, damit du das Virus quasi unter der Nachweisgrenze hältst, also relativ niedrige Virusreplikationsteilen bei dir, damit einfach die Krankheit nicht ausbricht, sondern halt das Virus seinen Schaden nicht anrichtet, weil es so wenig ist. Genau, also normalerweise wäre es so, dass die Viren sich ja vermehren. Die Viruslast, so nennt man das, würde immer weiter hochsteigen. Und dann würde das Immunsystem, also die Helferzellen, die jeder Mensch hat, würden quasi sinken. Und zwar irgendwann auf so einem Niveau, dass das Immunsystem quasi nicht mehr funktionsfähig ist. Das ist das Problem. Durch die Behandlung ist es nun so, dass die Viren quasi gar nicht so stark ansteigen oder dass sie gar nicht mehr nachweisbar sind. Man ist immer noch HIV-positiv, aber kann das Virus im Blut und in den Körperflüssigkeiten nicht mehr nachweisen, sodass diese Helferzellen, das Immunsystem, gar nicht mehr geschwächt werden. Wenn ich jetzt aber aufhören würde, die Medikamente zu nehmen, passiert das nicht sofort, aber nach einer Zeit, nach bestimmt vielen Monaten, wäre es so, dass die Viruslast auch wieder ansteigen würde und dann hätte ich wieder dasselbe Problem. Man kann jetzt nicht sagen, man behandelt es mal eine gewisse Zeit und dann ist es gut, sondern es verbleibt im Körper das Virus und wird wieder aktiv und vermehrt sich auch, wenn man es nicht behandelt. Und deshalb muss man lebenslang diese Medikamente nehmen.

 

Pia: Jetzt hoffe ich, dass wir alle wieder so auf dem Stand haben und da jetzt nichts vermischen fürs weitere Gespräch. Was ich dich auf jeden Fall auch nochmal fragen wollte, wir haben jetzt so über persönliche Dinge geredet, was du persönlich empfehlen würdest. Du arbeitest aber ja eben auch bei der AIDS-Hilfe als Landeskoordinator in NRW und guckst dir da eher strukturell an in der Gesellschaft, gerade im Bereich schwule Prävention, was man so an Programmen aufsetzen kann, was man verändern kann. Woran arbeitet ihr da genau? Was sind da so eure Ziele für die Zukunft?

 

Marcel: Also es gibt unterschiedliche Ziele in unterschiedlichen Fachbereichen in der AIDS-Hilfe. Strukturelle Prävention meint, man teilt es auf in Verhaltensprävention und Verhältnisprävention. Verhaltensprävention meint das klassische, ‚wie kann ich Informationen vermitteln, dass Menschen sich schützen‘. Also sie müssen erstmal die Informationen bekommen und dann müssen sie auch für sich gucken, wie können sie das anwenden. Also zum Beispiel zu sagen, Kondome schützen für HIV ist klassische Verhaltensprävention, weil man auf das Verhalten der Menschen anspricht.

Und dann gibt es die Verhältnisprävention, wo es um die gesellschaftlichen Verhältnisse geht, in denen die Menschen leben, weil die natürlich auch einen Einfluss haben, ob ich überhaupt in der Lage bin, mich zu schützen.

 

Jetzt auf schwule Männer bezogen ist es so, dass es zum Beispiel vor allen Dingen die gesellschaftliche Akzeptanz betrifft. Man könnte jetzt ja sagen, ‚naja, sollen sich irgendwelche schwulen Gruppen darum kümmern, um die gesellschaftliche Akzeptanz oder der CSD‘. Es ist für die AIDS-Hilfe aber dennoch wichtig, weil wir wissen, dass viele queere Menschen und auch schwule Personen oder bisexuelle Personen zum Beispiel häufiger psychische Erkrankungen haben, die wiederum dafür sorgen, dass sie sich weniger schützen, weil sie vielleicht sich nicht wertvoll genug fühlen sich zu schützen.

Das heißt, wir machen auch Kampagnen, die tatsächlich so auf die Schiene psychischer Gesundheit gehen, weil wir die Menschen bestärken wollen, sich als wertvoll zu erachten usw. und sich dann zu schützen. Und zur Verhältnisprävention gehört aber auch zum Beispiel, grob gesagt, dass man die Mittel bekommt, also Kondome. Wir verteilen zum Beispiel kostenlose Kondome in der schwulen Szene. Die sind für uns einerseits ein Kommunikationsmittel, um ins Gespräch zu kommen, aber andererseits wissen wir auch, nicht jeder hat eins dabei. Und wir wissen auch, dass natürlich nicht jeder sich das leisten kann. Also Kondome sind ja gar nicht so günstig. Und deshalb wollen wir sie kostenlos zur Verfügung stellen, dass auch jeder, der will, sie benutzen kann. Also haben wir beide.

Wir haben die Verhaltensprävention und gleichzeitig die Verhältnisprävention mit drin. Das ist meine strukturelle Prävention. Im Moment ist es so, dass wir daran arbeiten, dass die Infektionszahlen entweder stabil bleiben oder weiter runtergehen, weil die Infektionszahlen bei schwulen Männern sind stark eingebrochen. Das heißt, in den letzten Jahren sind sie wirklich stark gesunken. Das ist auch die einzige Gruppe, bei denen die Infektionszahlen gesunken sind.

Bei allen anderen sind sie entweder auf einem gleichen Niveau oder steigen sogar an. Vor allen Dingen bei heterosexuellen Kontakten. Und das liegt vor allen Dingen daran, dass wir dafür gekämpft haben, dass es die HIV-Prep gibt. Das kann man auch in den Studien nachweisen. Das Robert-Koch-Institut untersucht das auch. Das heißt, es gibt ein Medikament, mit dem man sich vor HIV schützen kann, auch wenn man keine Kondome benutzt. Und da haben wir dafür gekämpft, dass es erstmal zugelassen wird und dass es auch von der Krankenversicherung bezahlt wird, inklusive aller Tests, die dazugehören auf andere Geschlechtskrankheiten. Man muss da aber auch zum Beispiel Nierenwerte kontrollieren und Ähnliches. Und ich würde sagen, dass das gut geklappt hat. Da wollen wir daran arbeiten, dass das mehr Leuten zugänglich gemacht wird, auch innerhalb der schwulen Community. Wir haben nämlich das Problem, dass wir, und das wissen wir auch aus Studien, eher mittelstand- und weiße Männer erreichen. Es ist schon schwierig, geflüchtete queere Personen zu erreichen, aber auch Leute, die sich zum Beispiel nicht in der Szene aufhalten, weil sie kein Geld haben. Also sozial schwache Personen.

 

Und da arbeiten wir daran, wie können wir das machen. Das ist unser Hauptfokus gerade. Wie können wir das hinbekommen? Unter anderem haben wir auch jetzt ein eigenes Präventionsprojekt für queere Geflüchtete, wo nochmal explizit geguckt wird, wie kommt man in diese Communities rein, die sich ja deutlich unterscheiden können von der allgemeinen Mainstream-Community. Und dann arbeiten wir solidarisch daran, dass zum Beispiel die PrEP allen zugänglich gemacht wird. Mir erschließt sich zum Beispiel nicht, warum schwule Männer die PrEP bekommen sollten, aber warum zum Beispiel Frauen keinen Zugang haben.

 

Pia: Ja, kannst du nochmal ganz kurz, PrEP ist ja –

 

Marcel: Präexpositionsprophylaxe.

Pia: Genau. Kannst du da nochmal einmal kurz sagen, was das ist, beziehungsweise wann man das nehmen müsste und was du gerade angesprochen hast, warum kriegen das Männer und Frauen potenziell nicht?

 

Marcel: Ja, also PrEP, Präexpositionsprophylaxe bedeutet, man nimmt vorher ein Medikament, das ist auch ein HIV-Medikament, was HIV-Positive bekommen, und das sorgt dafür, dass das Virus quasi nicht andocken kann. Also selbst wenn man mit einer HIV-positiven Person dann zum Beispiel Sex ohne Kondom hat, sie hat eine hohe Viruslast und kann potenziell das Virus weitergeben, kann das im eigenen Körper bei der HIV-negativen Person, die PrEP nimmt, nicht andocken, weil das durch den Wirkstoff verhindert wird.

Und das ist ein Medikament, was seit 2017 in Deutschland explizit nur für schwule und bisexuelle Männer zugelassen ist. Später 2019 kam auch die Finanzierung über die gesetzliche Krankenversicherung hinzu, was sehr wichtig war. Weil man musste das vorher selber bezahlen, auch die ganzen Untersuchungen, die dazugehören. Man muss vorher einen HIV-Test machen, um auszuschließen, ob eine Infektion da ist zum Beispiel. Man muss Nierenwerte checken, weil das auf die Niere Auswirkungen haben kann, Knochendichte und sowas. Und dieses Medikament ist eben nur für schwule und bisexuelle Männer zugelassen, weil die quasi so die Hauptzielgruppe sind, wenn es um HIV geht, weil da immer noch die meisten Infektionen stattfinden, auch wenn in den letzten Jahren da so ein Rückgang stattgefunden hat. Und weil wir aus Studien wissen, dass sie häufiger Sex haben und dass sie auch häufiger wechselnde Partner:innen haben oder auch häufiger Geschlechtskrankheiten haben und auch häufiger aufs Kondom verzichten. Also die Argumentation ist, sie verzichten häufiger aufs Kondom, haben häufiger Sex, also müssen wir was machen, um sie trotzdem vor HIV zu schützen. Deswegen haben sie den Zugang zur HIV-PrEP.

Andere Gruppen haben den nicht, weil, ich kann es nur spekulieren, aber die Idee ist glaube ich, wenn es jetzt zum Beispiel um Frauen geht, würde ich sagen, da findet schon eine Unterstellung statt, Frauen haben nicht so viel Sex, also sie werden da auch entsexualisiert. Und es geht ja auch gar nicht darum - auch bei schwulen Männern nicht - dass alle die PrEP nehmen müssen, es geht ja um sexuell aktive Personen. Und mir erschließt sich nicht, warum man nicht einfach sagt, sexuell aktive Personen, die ein HIV-Risiko haben, weil sie auch aufs Kondom verzichten wollen oder müssen, warum das nicht das Kriterium ist.

Es gibt Frauen, die haben mehr Sex als ein monogamer, schwuler Mann. Das erschließt sich mir einfach nicht so. Aber ich glaube, da haben wir wieder die Verhältnisprobleme.

Gesellschaftliche Bilder spielen da mit rein, wie man zum Beispiel auf schwule Männer blickt, die haben viel Sex, sind sexuell aktiv und machen total viel und sind auch Schlampen und machen viel. Und bei Frauen ist es eher so, die sind ja eigentlich zurückhaltend und so. Das ist so das Bild gesellschaftlich. Das ist natürlich Quatsch und kann man gar nicht so sagen. Aber das ist so unser Kampf gerade auch übergreifend und solidarisch mit anderen Gruppen. Weil wir nämlich auch über die Infektionszahlen wissen, das ist interessant, dass viele heterosexuelle Menschen, die sich mit HIV anstecken, erst sehr spät die Diagnose bekommen. Oft erst, wenn sie Aids haben. Ich würde halt auch denken, dass das halt einfach nicht so, wie du gesagt hast, in einer Szene erreicht man die Leute. Es ist vielleicht auch ein gewisses Bewusstsein da. Und der Rest hält das einfach gar nicht so für sich oder zieht es nicht so für sich in Erwägung. Genau, und dann gibt es eine Gleichzeitigkeit. Einerseits denkt man vielleicht selber, man sei nicht so in der Situation, dass man HIV bekommen könnte, weil es immer nur heißt, schwule und bisexuelle Männer.

 

Und andererseits ist es interessant, die Leute landen aber im Medizinsystem mit Symptomen und kriegen da aber keinen Test angeboten. Man darf in Deutschland keinen HIV-Test machen ohne Zustimmung. Also man muss sagen, „ich würde jetzt einen HIV-Test empfehlen. Möchten Sie das?“ Und das wird aber gar nicht angeboten von den Ärzt:innen. Einerseits glaube ich, weil sie das auch selber nicht so auf dem Schirm haben. Und andererseits, weil es immer noch so ist, dass so ein HIV-Test auch eine Unterstellung ist.

Man unterstellt quasi ein Verhalten, was irgendwie der Gesellschaft nicht erwünscht ist. Und es sind wirklich eindeutige Symptome. Also Leute mit einem Pilz auf der Zunge zum Beispiel sind ein eindeutiges Symptom für Aids. Also es gibt eigentlich fast nichts anderes, wo das auftaucht. Und die bekommen trotzdem den Test nicht angeboten. Also es liegt nicht immer nur an den Leuten selber, die ihn nicht machen oder nicht danach fragen, sondern es liegt auch daran, dass im Medizinsystem da so eine Unterscheidung gemacht wird. Was sehr schade ist einfach.

 

Pia: Ja und ich glaube auch, was du sagst, was da mitspielt, also dass es häufig nicht schön differenziert wird, um was es eigentlich geht. Also sei es in dem, gibt es eine kausale Korrelation oder ist es einfach nur zu sagen, jemand, der wechselnde Geschlechtspartner hat, hat viel ungeschützten Geschlechtsverkehr. Das ist das Hauptding. Und wir gucken uns aber eben nicht die höher gestellte Gruppe, also die gesellschaftliche Gruppe irgendwie an. Auch eben mit dem, was du jetzt gesagt hast, wenn ich HIV-positiv bin oder es sein könnte, also dass man das mal zumindest in Erwägung gezogen hat in der Medizin, dass da mit einem potenziell auch was unterstellt wird. Also ich arbeite ja in der Gynäkologie und Geburtshilfe und jede Frau, die in Deutschland in der normalen Schwangerschaftsvorsorge ist, wird auf HIV getestet. Und dann kriegt man einen Kleber in den Mutterpass, aber es steht auch immer nur, es wurde auf HIV getestet oder nicht. Also da steht kein Ergebnis oder so. Weil das auch ja nochmal geschützt ist, dass quasi, wenn das dann positiv ist, die Person das selber entscheiden kann, wie sie damit umgeht.

Und das ist ja, kann man sicher auch gute Gründe dafür finden, aber ist ja auch wieder so, dass man irgendwie weniger darüber redet oder einen weniger offenen Umgang einfach damit hat.

 

Marcel: Ja, es gibt da wieder so eine Gleichzeitigkeit wie immer bei dem Thema, glaube ich. Also einerseits sollte es gar kein Problem sein, das auch irgendwie sagen zu können oder auch irgendwie, dass es irgendwo steht. Aber dann ist es dennoch ein Problem. Es ist einfach ein Problem, dass es, wenn es irgendwo steht, dass man landet im Krankenhaus, dann steht auf der Akte HIV-positiv und man hat wirklich das Gefühl wie in so einem Film in den 80ern. Ich hatte das auch schon. Ich hatte einen Arm gebrochen und war in einem Kölner Krankenhaus und habe ein Einzelzimmer bekommen. Das ist mir erst gar nicht aufgefallen. Und dann habe ich irgendwann gefragt und dann sagten die, ja, HIV und Sie müssen auf ein Einzelzimmer wegen der Ansteckungsgefahr. Das ist völlig absurd. Also ich war dann irgendwie auch froh, so die ersten Tage auf dem Einzelzimmer zu sein, muss man auch sagen. Aber ich habe dann darum gekämpft, dieses Privileg zu verlieren, weil ich es nicht eingesehen habe. Und bin dann auf ein Zimmer gekommen mit zwei anderen Leuten, weil diese Vorteile waren für mich einerseits schön, aber andererseits dachte ich, wenn ich das jetzt irgendwie durchgehen lasse, passiert das wieder beim nächsten Mal. Also man - dann verändert sich einfach nichts. Und man trifft halt immer wieder auf diese Situationen, auch im Medizinsystem sehr häufig - das ergibt auch die Studie ‚Positive Stimmen‘, dass es im Medizinsystem oft zu Diskriminierung kommt oder Unwissen, wo man wirklich so als Patient:in, Mediziner:in oder anderem Personal erklären muss, was HIV bedeutet. Sollte ja eigentlich nicht so sein.

 

Pia: Ja, also ich wollte dich das nämlich auch auf jeden Fall fragen, was so deine Sicht darauf ist, weil ich würde das auch so, was ich so am Rande mitbekomme - also ich arbeite jetzt sicher nicht in der Infektiologie - und klar, es ist auch einfach schon eine seltene Erkrankung oder erstmal eine seltene Infektion in Deutschland. Aber ich wollte dich auf jeden Fall fragen, was so Beispiele sind für solche negativen Erfahrungen, aber vor allem auch, welche Sonderbehandlungen man einfach mal komplett lassen könnte.

 

Marcel: Also es gibt etliche Beispiele. Es unterscheidet sich ja auch je nachdem, wo man dann das erlebt im Medizinsystem. Also beim Zahnarzt ist es sehr häufig, ist eigentlich der häufigste Ort, wo man Ungleichbehandlungen erfährt. Entweder bekommt man keinen Termin oder man bekommt den letzten Termin am Tag, weil dann angeblich der Raum besonders desinfiziert werden müsste oder es werden zwei Handschuhe übereinandergezogen und so weiter, was ja auch Schwachsinn ist. Und im Prinzip ist es so, dass es da und ja überall auch Hygienestandards gibt. Wenn die eingehalten werden, dann kann nichts passieren. Und sie haben ja auch ihren Grund, weil man davon ausgehen muss, selbst wenn jemand nicht sagt, dass er oder sie HIV-positiv ist, sollte man die Person so behandeln, weil es gibt ja genug Leute, die wissen nicht von ihrer Infektion.

Es ist eigentlich eher nicht für die da, die von ihrer Infektion wissen, sondern für die, die es nicht wissen, weil sie es nicht sagen können. Und man muss sich dann eher so die Frage stellen, halten die eigentlich ihre Hygienestandards ein oder nicht, wenn sie so komisch reagieren, wenn jemand mit HIV auftaucht? Dann gibt es, also es gibt so neuere Beispiele, es gibt so eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes, aber angesiedelt bei der Deutschen AIDS-Hilfe, extra für HIV nochmal, nicht die allgemeine.

Und da ist zuletzt aufgetaucht, es ist sehr interessant, dass Leute auch so im Krankenhaus oder auch in der Gynäkologie landen und dann wird so gefragt, „Sind sie unter der Nachweisgrenze, weil dann sind sie ja nicht ansteckend, dann können wir sie behandeln“. Aber die Nachweisgrenze spielt keine Rolle im Medizinsystem, weil auch da die Hygienestandards, selbst wenn man über der Nachweisgrenze ist, dafür sorgen, dass möglichst keine Gefahr besteht. Und die Nachweisgrenze spielt nur eine Rolle, zum Beispiel, wenn ich mit Leuten Sex habe oder anderen Blutkontakt habe, im Alltag sozusagen, nicht im Medizinsystem. Und jetzt tauchte sie plötzlich auf, so als ob man nur Menschen mit HIV behandeln könnte, die auch nicht infektiös sind. Das ist aber Quatsch. Und es gibt ja genug Leute, die werden behandelt, aber aus welchen Gründen auch immer, können nicht in die Nachweisgrenze kommen. Und die müssen natürlich behandelt werden. Allgemein müssen halt die Leute behandelt werden, egal welche Erkrankung sie haben oder wie infektiös sie mit was auch immer sind. Genau, das ist interessant, dass diese Unterscheidung jetzt plötzlich auftaucht. Also da kann man sich schon fragen, das ist ja eigentlich eine gute Errungenschaft und eine tolle Botschaft, dass man das Virus nicht weitergeben kann. Und auch die meisten Menschen mit HIV können es nicht weitergeben. Aber jetzt wird so eine Unterteilung wieder gemacht, in ‚die Guten und die Schlechten‘. Das taucht oft im Medizinsystem auf. Und dann hat man natürlich diese alltäglichen Sachen, dass man irgendwie, dass Leute so aufgescheucht sind. Und sehr- also man hat dann, es passiert eigentlich nicht so wirklich was, also man wird nicht anders behandelt erstmal, so vom Verhalten - aber man hat so das Gefühl, ich bin jetzt hier und irgendwie sind alle so aufgeregt um mich rum. Und dann wird so geflüstert und dann wird so drauf gezeigt auf die Akte, wenn da HIV positiv drauf steht. Und manchmal frage ich dann auch, ‚gibt es jetzt ein Problem?‘, weil mich verunsichert das dann. Ich muss ja auch den Leuten vertrauen, die mich da behandeln. Und das passiert sehr häufig. Die zeigen das dann natürlich nicht.

Ist auch in Ordnung. Aber ich will damit sagen, auch dieses Flüstern und dieses so aufgeregt sein, wir merken das. Wir merken das einfach. Wir achten da auch drauf, weil wir es gewöhnt sind, dass wir anders behandelt werden. Insofern, das sind so Zwischentöne, würde ich sagen. Sie sind auch nicht immer böse gemeint.

Ja, ich meine, das ist halt immer so, das mit so Diskriminierung und was man meint und was halt ankommt, das ist halt einfach was Unterschiedliches. Ein Zitat war auch aus dieser Studie Positive Stimmen, dass trotz aufgeklärter Menschen und dass ein Leben mit HIV doch so normal sein kann, herrscht unterschwellig eine Unnormalität. Und das ist verdammt nochmal scheiße, also bezogen aufs Gesundheitswesen.

 

Pia: Was du schilderst, sind ja einfach klassische Mikroaggressionen, die letztendlich ja auch totalen psychosozialen Stress auslösen, einen auch wieder krank machen können. Also gibt es ja in vielen Bereichen, dass so Mikroaggressionen, dass das eine Krankheit auslösen kann. Und das wäre ja wirklich was, wo man sagen muss, das müsste in der Medizin definitiv abgebaut werden, weil das halt einfach eigentlich ein safer Raum sein sollte, wo sich Leute halt hinwenden können, Hilfe bekommen, vorurteilsfrei.

Wie würdest du sagen, können wir das denn erreichen in der Medizin?

 

Marcel: Also, es gibt da so zwei Ebenen. Ich fange mal mit der persönlichen an. Was schon hilft, ist es auch zu thematisieren. Also, es ist nicht so, dass die Menschen jetzt lernunfähig sind. Also ich war auch mal in der Zahnarztpraxis und die Zahnarzthelferin hat mir dann auch den letzten Termin angeboten und dann habe ich sie gefragt, warum. Und sie wusste das gar nicht, dass man das nicht machen muss. Dann habe ich ihr so eine Broschüre mitgebracht oder der Praxis eine Broschüre mitgebracht und dann wurde ich ganz normal behandelt. Also es kann auch einfach helfen, sozusagen das zu thematisieren und dann verändert sich vielleicht auch was. Es ist nicht immer so, man ist da auch nicht irgendwie handlungsunfähig ist als Mensch mit HIV.

Das ist das eine. Das andere ist natürlich diese Ebene der Ausbildung oder der Fortbildung oder wie auch immer man es nennt. Und da gibt es ja zwei Ebenen.

Die eine findet schon in Teilen statt, nämlich dass Ärzt:innen für Mitarbeiter:innen zum Beispiel in Seminare gehen zum Beispiel, wenn es um das Medizinstudium geht oder auch wenn es um eine Ausbildung geht im Medizinsystem und da dann so ein bisschen was erklären. Da geht es aber eher so um die Ansteckungsrisiken oder wo keine sind. Also das, was ich gerade alles erwähnt habe, dass jene Standards ausreichen. Das ist so diese medizinisch faktische Ebene. Da ist man sehr damit beschäftigt, wo sind Risiken oder wo auch nicht.

Das andere, was glaube ich nicht so oft gemacht wird und was meiner Ansicht nach helfen würde, wäre auch in Teilen der Ausbildung oder auch in Fortbildungen mal über die Gefühle zu sprechen. Weil erstmal würde ich ja sagen, es ist ja auch völlig in Ordnung, dass auch Menschen Ängste haben dürfen oder wie auch immer man es dann nennt am Ende. Ich glaube, dass die medizinischen Fakten zum gewissen Teil helfen, aber auch ihre Grenzen haben. Und es gibt auch manchmal in AIDS Hilfe, so ein Rückzug auf medizinische Fakten, als ob jetzt zum Beispiel diese Botschaft ‚HIV ist nicht mehr ansteckend unter der Nachweisgrenze‘ als ob die jetzt dafür sorgt, dass die Gesellschaft sich verändert oder dass man im Medizinsystem nicht mehr diskriminiert wird. Meiner Ansicht nach und Beobachtung nach, persönlich und auch fachlich, das stimmt nicht. Also da wird was hineingegeben, was das nicht leisten kann. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen wird.

 

Ich glaube und das ist harte Arbeit am Ende, dass es darum gehen sollte, dass auch Menschen sagen dürfen, „Ich weiß, dass jetzt eigentlich keine Ansteckungsgefahr besteht, aber ich habe trotzdem Angst“. Und dann kann man mit diesem Gefühl arbeiten. Woher kommt das denn eigentlich? Und dann finden auch wieder Lern- und Bildungsprozesse statt, würde ich sagen. Das geht aber nur, wenn man diese Offenheit hat, das auch zuzulassen. Es geht nicht, wenn jetzt jemand sagt, „ich habe trotzdem Angst, ich weiß selber nicht warum“ und dann verurteilt man die Person und sagt, „Wie bescheuert sind Sie denn, hören sie einfach damit auf“. Es gibt keinen Grund, weil die Gefühle scheren sich nicht darum.

Und ich würde sagen, da gilt es auch eine gewisse Sensibilität gegenüber den Menschen zu haben, die vielleicht ein Verhalten zeigen und auch Gefühle haben, die man selber nicht nachvollziehen kann. Weil man davon ausgeht oder ihnen dann auch eine Chance geben kann, sich zu entwickeln. Auf der Gefühlsebene, auf der emotionalen Ebene.

Und das kommt mir tatsächlich ein bisschen zu kurz.

 

Pia: Ja, das resoniert auf jeden Fall mit dem, was ich so im Gesundheitswesen fühle, weil ich das Gefühl habe, das sind viele, viele Themen, wäre es wichtig, wenn man da mehr Reflexionsprozesse hätte und auch das voll offen einfach besprechen darf. Wo hat man sich wie überfordert gefühlt? Wo wusste man irgendwas nicht? Und wo hat man auch einfach Sorge, Angst? Ist ja auch ein hohes Verantwortungsgefühl einfach immer mit dabei. Und möchte es möglichst allen recht machen, sei es den Patient:innen, aber natürlich irgendwie auch dem Team und sich selbst. Und da ist irgendwie wenig Raum für mal Schwäche und Angst zeigen dürfen. Gibt es das schon so richtig als Kurse? Oder ist das was, wo du sagen würdest, das fändest du richtig gut, wenn das passiert? Wenn es mehr umgesetzt wird, wenn es Raum haben darf? Es unterscheidet sich ja auch sehr stark.

 

Marcel: Die deutsche Aidshilfe kämpft darum, dass es quasi auch in die Lehrpläne reinkommt. Weil in vielen ist es einfach nicht drin. Und dann kann man natürlich sagen, man lädt mal Aidshilfe ein, aber das hängt dann auch davon ab, wer ist zuständig? Also eigentlich müsste es in die Lehrpläne, das ist das eine. Das ist nicht überall so. Ich glaube, wie gesagt, dass meistens diese medizinischen Fakten im Vordergrund stehen. Und das nicht nur, weil es liegt auch an den Menschen, die in die Kurse da so reingehen oder quasi von Aidshilfe kommen oder selbst HIV positiv sind. Weil ich glaube, auch da hat man Angst davor. Was passiert denn jetzt, wenn wir über die Gefühle reden? Es liegt nicht nur an den Menschen, die dann was lernen sollen sozusagen. Der Rückzug auf die medizinischen Fakten ist auch bei denen zu beobachten, meiner Erfahrung nach, die damit professionell arbeiten. Weil es ja auch einfacher ist zu sagen, es ist medizinisch alles in Ordnung und wir wollen jetzt normal behandelt werden. Es ist komplizierter und auch schwieriger auf der emotionalen Ebene so einen Reflexionsprozess anzustoßen.

Ich glaube, das findet nicht so häufig statt, habe ich noch nicht so häufig gehört, aber es gibt da auch einen Wandel. Tatsächlich unter anderem auch weil jetzt ja erst seit einigen Jahren diese Nichtinfektiosität auch thematisiert wird. Und man merkt jetzt erst, also es kommt jetzt zuletzt erst zu diesen Situationen, dass man im Krankenhaus gefragt wird, ob man unter der Nachbarsgrenze ist oder nicht. Und natürlich merkt man jetzt, man muss da auch von Aidshilfeseite zum Beispiel anders mit umgehen. Es reicht nicht, diese Information zu vermitteln.

Und ich glaube, dass es in den nächsten Jahren, da habe ich auch gute Hoffnung, so sein wird, dass man da gut auch auf eine Reflexionsebene kommt. Es ist noch nicht so, würde ich sagen, aber ich habe da jetzt keinen Zweifel, dass es passieren kann. Und ich glaube, das würde dann noch mal einiges zum Guten verändern.

 

Pia: Ja, ich denke auch, es braucht ja schon die Fakten so als Basis vielleicht. Aber dann wäre es halt cool, wie arbeitet man damit weiter. Ich habe mich nämlich auch gefragt, ok, hätten wir diese Folge vor 40, 50 Jahren aufgenommen, dann hätten wir vielleicht darüber gesprochen, was ist HIV, was ist Aids, wie wird es übertragen und ok, wir müssen jetzt HIV positive nicht mehr wie Aussätzige behandeln, die irgendwie alle, wie du gesagt hast, Einzelzimmer, Sonderzimmer sind. Eigentlich sind das Dinge, die wir schon ziemlich lange wissen. Aber was wäre jetzt, wenn wir so das Ganze weiterspinnen, die ideale Welt mit dem Umgang mit HIV, gerade in der Medizin, so in den nächsten, weiß ich nicht, 20, 30 Jahren?

 

Marcel: Also ideal wäre, und da muss ich gleich zu sagen, dass ich glaube, dass es nicht eintreten wird, aber wenn ich es mir wünschen könnte in so einer idealen Welt, dann wäre es so, dass HIV quasi einfach eine ganz normale, auch vielleicht nüchtern oder sachlich betrachtete chronische Erkrankung und Infektion ist, die nicht dazu führt, dass man Sonderbehandlungen bekommt, zum Beispiel, dass alle so aufgeregt sind. Es würde auch dazu führen, dass ein HIV-Test vielleicht, und es spricht ja medizinisch alles dafür, dass er nicht so eine große Nummer ist, also, dass er selbstverständlicher angeboten wird, zum Beispiel, dass Leute ihn selbstverständlicher machen, die in bestimmten Situationen waren, wo man, wo was hätte passiert sein können und dass es nicht immer so mit so einem Drama überfrachtet ist, auf allen Seiten, also nicht nur auf Seiten des medizinischen Personals - und dann würde ich mir einfach eine ganz normale Behandlung wünschen. Also ich kenne ja auch Leute mit anderen chronischen Erkrankungen, bei denen ist das nicht so, dass es zu so Verunsicherung führt. Die werden teilweise auch anders behandelt, weil es so sein muss, zum Beispiel. Also wenn ich jetzt zum Zahnarzt gehe mit HIV, dann sage ich das auch, weil ich weiß, dass die HIV-Infektion kann einen Einfluss haben auf die Zahnhygiene. Und das ist auch wichtig, dass Leute das wissen. Und da muss man auch drauf achten.

Also man sollte dann schon anders behandelt werden, weil man auf bestimmte Dinge besser achten sollte, aber eben nur so, wie es notwendig ist. Und nicht so übertrieben dramatisch und verängstigt und sowas. Und ich würde mir das wünschen und andererseits würde ich mir aber auch wünschen, dass wir so offen sprechen könnten miteinander.

 

Also, dass wir offen miteinander reden können, wenn es mal passiert, dass man trotz allen Maßnahmen das Gefühl hat, man wird ungerecht behandelt, oder dass auf der anderen Seite Ängste entstehen - ich finde das eigentlich eher schön, nicht nur im Medizinsystem, sondern grundsätzlich, gesellschaftlich und im Leben, dass man offen füreinander ist und offen miteinander reden könnte. Und das ist mir vielleicht sogar wichtiger als das erste, was ich jetzt gesagt habe. Also ich glaube, Offenheit und miteinander reden auf eine schöne Art und respektvolle Art fände ich sehr wichtig.

 

Pia: Ja, ich glaube, ich füge da jetzt gar nicht mehr groß was hinzu. Das war so ein gutes Schlusswort. Ja, vielen Dank dir für deine Einblicke auf wirklich einer relativ breiten Expertisenpalette. Voll schön, dass du heute dabei warst, die Zeit genommen hast. Vielen Dank dir.

 

Marcel: Ja, danke. Schön, dass ich dabei sein durfte.

 

Pia: Wir packen euch auf jeden Fall noch ein paar Sachen auch auf die Webseite, wo ihr nochmal so Dinge nachlesen könnt, wenn ihr wollt. Ein paar Projekte, wenn ihr dann nochmal mehr Interesse habt. Und ja, ich weiß nicht, ob du noch einen letzten Satz gerne loswerden würdest, irgendwas, was dir noch auf der Seele brennt, was dir noch Platz finden muss.

 

Marcel: Ich glaube, wir haben ja sehr viel besprochen, aber vielleicht betone ich nochmal was, was mir sehr wichtig ist. Nämlich wirklich diese Gefühls-Ebene. Würde ich gerne nochmal betonen. Auf allen Seiten. Es ist, glaube ich - vielleicht ist es auch gerade so der gesellschaftliche Trend - so manchmal auch so zu tun, als ob alles in Ordnung sei und als ob diese Vielfalt und so, also als Schlagwort meine ich das jetzt - Nicht, dass ich es mir nicht wünschen würde, aber als Schlagwort - wir sind alles Menschen und es sollte alles kein Problem sein. Das finde ich in gewisser Art und Weise erstrebenswert und andererseits verhindert es auch, dass man sich wirklich ernsthaft damit auseinandersetzt, wo man auch selber Vorurteile hat. Also auch ich habe ja Vorurteile und gegenüber gewissen Menschen sicherlich. Aber das kann man eben nur reflektieren, wenn man nicht behauptet, alles sei in Ordnung und alles ist nicht schlimm. Man muss sich auch so dem stellen, den eigenen Gefühlen. Und das ist mir nochmal wichtig zu betonen. Und ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn Leute, also zum Beispiel, wenn jemand nicht mit mir ins Bett gehen will, das ist ein super Beispiel, dann ist das erstmal das gute Recht der Person.

Ich habe auch eigentlich gar nicht das Recht zu erfahren, warum. Aber wenn die Person mir dann mitteilt, warum sie Ängste hat, wegen HIV zum Beispiel, dann können unglaublich schöne und intime Momente entstehen. Und es bedeutet ja auch, die Person weiß, dass es bei ihr liegt und nicht, dass ich das Problem bin.

Und das würde ich mir wünschen und betone das deswegen nochmal, dass wir immer gucken, wenn Vorurteile, Rassismus, Homophobie, HIV-Phobie auftauchen, liegt die eigentlich bei mir oder beim anderen? Ich glaube, das würde uns allen helfen. Ich glaube auch voll, dass das die Gesellschaft einfach mehr zusammenbringt auf super vielen Ebenen, auf ganz verschiedenen Themen, wenn man irgendwie sich selber vielleicht nicht ganz so streng nimmt und auch mehr Offenheit für was anderes zeigt und auch für seine eigene Fehlbarkeit und nicht mehr absolutistisch sagt, das ist richtig, das ist falsch, sondern sich gegenseitig ein bisschen mehr begegnet, bei was auch immer.

 

Pia: Ja, vielen Dank dir und vielen Dank euch, dass ihr zugehört habt und viel Spaß mit der Folge und allen weiteren. Bis ganz bald. Tschüss.

 

(Outro Musik läuft an und wird langsam lauter)

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