Ist Selbstbestimmung die Zukunft der Krankenhäuser, Hubertus Schmitz-Winnenthal?

Was passiert, wenn Krankenhausstationen ihre Hierarchien aufbrechen und Teams ihre Arbeitsprozesse selbst gestalten? Pia Schüler spricht in dieser Folge von Heilewelt mit Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt und Gründer des Projekts Meine Station. Er erzählt eindrücklich, wie durch selbstorganisierte Zusammenarbeit ein besseres Arbeitsumfeld entstehen kann, das sowohl das Personal stärkt als auch die Versorgung der Patient*innen verbessert – und was andere Krankenhäuser daraus lernen können.

Pia Hi. Willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Pia, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern es bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen. Stellt euch zum Beispiel vor, dass es Krankenhausstationen gibt, in denen es keine altbackenen Hierarchien gibt und das Team sich ganz alleine selbst überlegt, wie es die Station organisieren will und dabei immer wieder nachjustiert, um es für alle Beteiligten zu einem besseren Ort zu machen, an dem man gerne arbeitet und die Patient:innen gerne versorgt werden. Ein Ort, an dem systematisch Methoden aus dem Bereich ‚New Work‘ eingesetzt werden und so das Team sich selbst und die Arbeitsprozesse stetig weiterentwickelt.

An dieser heileren Welt arbeitet Hubertus Schmitz-Winnenthal, den ich in dieser Folge vom Mikrofon hatte. Hubertus ist Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie am Klinikum Aschaffenburg. Er hat langjährig an der Universität Heidelberg gearbeitet, geforscht und gelehrt und einen MBA in ‚Health Care Management‘ gemacht. Ich spreche heute mit ihm, da er das Projekt ‚Meine Station‘ ins Leben gerufen hat. ‚Meine Station‘ ist ein Pilotprojekt am Klinikum Aschaffenburg für selbstorganisierte Zusammenarbeit im Krankenhaus. Das bedeutet, dass ist eine Station, auf der das Stationsteam die Arbeitsbedingungen selbst festlegt, gemeinsame Entscheidungen trifft und so die eigenen Bedürfnisse in den Stationsalltag integriert. Das bedeutet, es gibt stetig Strukturverbesserungen und auch die eigenen Stärken der Mitarbeitenden werden auf ‚Meiner Station‘ in den Blick genommen.

Und als ich von dem Projekt gelesen habe, wusste ich, dass ich ganz, ganz unbedingt mit Hubertus sprechen will, weil das so krass weit weg ist von meinen Erfahrungen, die ich bislang in verschiedensten Krankenhäusern gemacht habe und sehr, sehr verheißungsvoll klingt. Ich fand es super spannend, wie systematisch die Prozesse immer wieder hinterfragt und neu gedacht werden, welche einfachen Methoden das Team dafür benutzt und wie sich das Konzept auf das Team und auch auf die Patient:innen auswirkt. Und ich hoffe ein bisschen insgeheim nach dem Gespräch, dass wir vielleicht einige Entscheidungsträger:innen erreicht haben mit dieser Folge, die genauso begeistert davon sind wie ich und die Idee weitertragen. 

Hi Hubertus. Voll schön, dass du da bist. Mir brennen schon ganz viele Fragen unter den Nägeln. Erstmal vorab: Wie geht‘s dir? Wo holen wir dich gerade ab? Wie war dein Tag bisher? 

Hubertus Ja hallo, Pia. Ich bin noch in meinem Büro. Ich hab ein Meeting gehabt, ein Online Meeting und freue mich aber gleich nach Hause zu gehen. Hab einen ganz guten Tag hinter mich gebracht. Schöne Operationen gehabt, habe meine Patienten sehen können, hatte gute Begegnungen auf der Station. Und ich freue mich, jetzt mit dir zu sprechen. Und wo stehst du gerade? 

Pia Ja, ich bin gerade umgezogen und das ist hier noch riesen.. durcheinander. Aber ich habe heute einen Tag frei bekommen. Deswegen konnte ich das jetzt ganz gut nutzen und freue mich auch total, jetzt den Kopf frei zu haben für das Gespräch. Ja, du musst natürlich jetzt GANZ zuallererst mal erzählen, was das Projekt ‘Meine Station’ eigentlich genau ist. Was, was steht dahinter? Bzw. um es gut zu verstehen: Was ist anders als in jedem anderen Krankenhaus, in jeder anderen Station? 

Hubertus Ja, also ‘Meine Station’ ist eine selbstorganisierte Station und da steht im Vordergrund die Bedürfnisorientierung. Also das heißt, die Team- oder das Team von meiner Station hat sich- vor einem guten Jahr angefangen, selbstorganisiert zu arbeiten. Davor haben wir so eine Ausbildungsphase durchlaufen, wo wir ein bisschen überlegt und da geübt haben, ‚Wie könnte man, wie kann man miteinander arbeiten, wie kann man miteinander Patienten versorgen und seine eigenen Bedürfnisse so integrieren, ja dass man sich in der Arbeit wiederfindet. Dass man sich sieht, dass man das Gefühl hat, so will ich eigentlich arbeiten?‘. Das ist eigentlich so die, die ja, die DNA hinter meiner Station. Also bedürfnisorientierte Selbstorganisation. 

Pia Und hast du ein Beispiel? Also das klingt schon mal ganz gut, aber hast du ein Beispiel, woran man das konkret festmachen kann, wie ich das jetzt merken würde, dass das auf der Station bei euch anders ist? 

Hubertus Ja, also es ist- Hör mal, es fängt zum Beispiel schon morgens anders an. Die Leute kommen zum Dienst oder anders gesagt- also zum einen ist es schon mal so, dass die Pflegekräfte und die Ärzte, die sind nicht unter- die haben keine verschiedenen- oder irgendwie dass die Pflegekraft unter der Pflegedienstleitung arbeitet und die Ärzte unter dem Chefarzt arbeiten. Sondern wir arbeiten praktisch alle unter einem Team. Das ist EIN Team, wir gehören zusammen, wir haben keine zwei, verschiedene Herren. Dann ist es so ganz praktisch, ganz konkret, man kommt morgens und dann gibt es erst mal einen Check-in oder eher so die Frage, wie wir gerade angefangen haben: „Wie bist du da, wie geht es dir? Warum geht es dir so, wie es dir geht?“ Das ist eigentlich ganz kurz, ja, häufig nur ein paar Sekunden. Einfach mal so reflektieren ‚Wie geht es mir eigentlich? Was kann ich heute eigentlich dem Team, dem Tag einbringen und was brauche ich heute eigentlich?‘. Das ist ganz, ganz wichtig zu schauen, was brauche ich? Die wichtigste zentrale Frage. Dann ist es relativ gleich, wir übergeben die Patienten und dann wird aber auch schon geschaut ‚Okay, was brauchen die Patienten und wie können die Patienten das unterstützen?‘. Also auch die Patienten sind angehalten, sehr selbstorganisiert sich da zu verhalten und mitzumachen. Die kriegen dafür auch vorher eine Schulung, wo sie speziell unterrichtet werden. Wie stehe ich nach einer Operation aus dem Bett auf? Das ist so zehn Tage vor der Operation. Also wir haben, wir operieren sehr viele Tumorpatienten, die sind elektiv oder semielektiv. Und da, wo es möglich ist, da bestellen wir die Patienten, also 5 bis 7 Tage/ 5 bis 10 Tage vorher ein unterrichten die ‘Wie gehe ich mit einer Bandage aufs Bett? Wie gehe ich mit einer Drainage auf die Toilette?’ Die Station ist anders organisiert. Also die Patienten essen in der Regel nicht am Bett, sondern es gibt so ein Bistro, den Speisesaal, so ein Bistrocafe. Da holen die sich da Essen selber. Die kommen morgens zum Vitalzeichen messen und Medikamente abholen zum Stützpunkt. Das ist so, dass die Leute da durchgehen, damit werden die auch gleich mobilisiert, aktiviert. Auch das wird dann alles erklärt, schon in dieser Schulung, so dass die so selbstständig wie möglich durch diesen Stationsablauf gehen. Und das wird dann auch morgens schon gleich geschaut: ‘okay, wer braucht wie, wo Unterstützung?’ Und da ist es auch ein Unterschied das wir einen relativen Professionsmixer haben- es gibt nicht nur Pflegekräfte, sondern auch MFAs, Pflegehelfer- die nach Stärken basiert ‚Was kann ich am besten? Was macht mir am meisten Spaß?‘ schauen, wo sie diesen Prozess entsprechend unterstützen. Also auch da wird geguckt, ‚Was kann ich, was brauche ich, was macht mir meist Spaß?‘ Und so gehen wir am besten durch. 

Pia Okay und im Team? Wie ist das letztendlich? Findet da jeder seine Rolle für sich? Ist die jeden Tag anders? Hat das mal jemand festgelegt? Wenn du jetzt ein bisschen gesagt hast, man guckt eher danach, was die eigenen Stärken der jeweiligen Leute sind? 

Hubertus Ja, also. Es ist, also die Station selber, die ist holokratisch organisiert. Ich weiß nicht, ob du das kennst, wir arbeiten in der Tat in Rollen. Wir versuchen nicht mehr so viel in Positionen, oder gar nicht in Positionen zu arbeiten, funktioniert auch noch nicht 100 %. Das heißt, es gibt jetzt nicht mehr Stationsarzt, Oberarzt und Assistenzarzt oder PJ, sondern wir versuchen Rollen zu finden. Bzw. es gibt schon Rollen z.B. was man braucht, wo die Tätigkeiten die man braucht um Patienten top zu versorgen einfach integriert sind. Und dann schaut man, wer hat die beste Kompetenz welche Rolle zu übernehmen. Also die Rolle dient unserem Purpose. Jede Rolle hat einen eigenen Purpose, Verantwortlichkeiten. Wir gucken immer, wer ist am fähigsten, welche Verantwortlichkeiten auszuführen, sodass wir schon von Anfang an schauen, dass das stärkenbasiert aufgebaut ist. Es gibt natürlich auch Kompromisse, die man machen kann. Es gibt Tage, wo man merkt, da sind einige/ diese Rolle ist nicht gut besetzt heute, weil einfach keiner da ist, der das gut kann. Da muss man einfach schauen, wie kann man sich da gegenseitig helfen, um das zu kompensieren. Der große, große Unterschied ist, dass eine wahnsinnige Transparenz da ist, also wir wissen ‚Okay, Achtung sehe ich zum Beispiel die Rolle Vitalzeichenkontrolleur ist heute nicht gut besetzt, muss einfach jeder mit gucken, dass wir uns gegenseitig unterstützen, so dass die Patienten, obwohl, ich sag mal die Kompetenz in den Bereich gerade nicht top ist, die Patienten da trotzdem super behandelt werden, diese Leistung auch gut kriegen. 

Pia Für mich klingt das so ein bisschen so, als würde das total das ‚Wir-Gefühl‘ stärken. Also so, als würde man halt sehr danach schauen. „Okay, das und das fehlt jetzt“ oder Mitdenken für die Kollegen und Kolleginnen. Ist das auch so dein Eindruck, also dass man sich damit sehr identifiziert, da ein ganz anderes Wir-Gefühl untereinander herrscht? 

Hubertus Ja, da hast du völlig recht, das ist der/ das funktioniert nicht immer, muss ich auch ganz klar sagen. Aber, aber es gibt sehr viele Bereiche und auch viele Zeiten, wo das wirklich total toll genau so funktioniert. Also da fühlt man sich als großes Team, man schaut- dann gibt's aber auch, ja wir sind ja wirklich alles Menschen, so Neidsituationen, so ‚Die hat jetzt die Rolle und die will ich eigentlich auch haben‘. Also gibt es dann auch schon mal so, dass diese Rollen da auch mal Stress hervorrufen können, gar keine Frage. Aber, unterm Strich und wenn man vor allen Dingen purposeorientiert vorgeht, dann stärkt das das System wirklich ganz gewaltig. Und das ist auch etwas, wo es dann auch wirklich Spaß macht, für zu arbeiten. Für die Patienten, für seine Kollegen. Und damit komme ich auch ganz viel besser durch diese, durch diese Aufgaben durch. 

Pia Kannst du vielleicht noch mal was dazu erzählen? Jetzt hast du so grob umrissen quasi, wie so ein Alltag bei euch abläuft, wie für die Patient:innen vielleicht so eine Station räumlich aufgebaut ist oder wie die so den Alltag erleben. Kannst du noch mal so ein bisschen was dazu sagen, dieses selbstorganisierte Arbeiten, was da dahinter steht oder letztendlich, wie sich das ausdrückt oder wie diese Selbstorganisation sich zeigt. 

Hubertus Also dieser Behandlungspfad, der, den ich grad so ein bisschen angerissen habe, der ist ja ein Produkt der Selbstorganisation als Team. Diese Stationen, die sich überlegt haben und dann angefangen haben, mit den Leuten zu arbeiten, das Team zu gründen, das Team auf die Beine zu stellen. Da kam dann noch der Gedanke heraus ‚Wie wollen wir den Patienten den Behandlungspfad organisieren?‘ Und dann ist auch das Team mehr oder weniger auf die Idee gekommen zu schauen ‚Okay, wie brauchen wir das? Was müssen wir da tun?‘ Und da war zum Beispiel das eine, dass man sagt ‚Okay, wir haben wirklich einen Aufnahmebereich‘. Das hat das Team auch selbstorganisiert und selbst erfunden, sozusagen. Da kommen die Patienten und der Aufnahmebereich ist wirklich getrennt von dem stationären Bereich. Also das heißt, vor der Operation, sieht der Patient oder sollte der Patient die Station eigentlich nicht sehen. Klar, das funktioniert nicht 100 %, aber es funktioniert immer besser. Das ist dann praktisch ein eigenes kleines Team, das sich darum kümmert, die Patienten vorzubereiten, diese Schulung zu machen, also vor dem Aufenthalt. Und die organisieren das komplett selber. Die schauen, was braucht der Patient? Da ist ja auch jeder Patient anders. Es gibt Patienten, total fit, die kommen super gut in das Ganze rein. Es gibt Patienten, die brauchen mehr Unterstützung. Die schauen dann auch, ‚Wie kann man den Patienten zwischen der Schulung und der Operation weiter unterstützen? Braucht er noch zusätzliche Ernährung? Dann ziehen die die Ernährungsberatung hinzu. Muss der Patient mehr Physiotherapie bekommen? Oder ist er eigentlich schon total fit und kann das schon alles?‘ Die kriegen so einen Atemtrainer, den sie dann auch schon vor der Operation mit nach Hause nehmen und die Übungen machen,dass die Lunge einfach vorbereitet ist. Ein Krafttraining, üben weiter an anderen Techniken, wie sie aus dem Bett aufstehen usw. und sofort. Und all das sprechen die, also ich, ich habe gar keine Ahnung wie häufig, was die da machen. Die kriegen natürlich auch Feedback. Also die Patienten sagen dir dann auch „Hey, durch dieses Training war ich total gut vorbereitet und konnte das super gut machen. Hat den Aufenthalt ja super über die Bühne gebracht“. Und dann gibt es natürlich auch Feedback von der von der Station, also nach der Operation. Die Patienten kommen dann am Tag der Operation an, vorbereitet, gehen in die, am Ende der Operation kommen die dann einen Tag nach der Operation meistens einen Tag auf Intensiv oder in einen Übergangsbereich, kommen dann zurück. Und dann sind sie im stationären Bereich. Und da kriegen sie natürlich auch, der Aufnahmekreis kriegt auch Feedback vom Stationskreis. Die sagen „Hey, bei dem Müller habt ihr das total toll gemacht. Er kommt super gut zurecht und dann, bei dem Meier aber haben wir das Gefühl, der hat das nicht so ganz verstanden. Woran liegt das?“ Also sie geben sich auch selber sehr viele Dinge zurück und sind dann auch füreinander verantwortlich. Dann ist es so, dass wir zum Beispiel auch die Visite abgeschafft haben. Wir haben keine klassische Visite mehr, wo die ganzen Weißkittel dann vor dem armen Patienten stehen und ihm erklären, was alles läuft, sondern die Patienten kommen in so ein Untersuchungszimmer. Und in dem Untersuchungszimmer, da habe wir Ultraschall, haben wir Verbandszeug und da werden die Patienten wie visitiert, die kriegen Termine wie bei Arztpraxis. 

Pia Wie in der Praxis ja-  

Hubertus Ja am Morgen, 10:00 Visite und da können Sie noch ihre Angehörigen mitbringen, was total super ist. Die sagen einfach „Morgen 10:00 habe ich Visite, kommt bitte mit“, ja. Wenn sie dann/ die Kinder dabei oder die Frau ist dabei oder der Mann ist dabei und man kann die Sachen dann wirklich mit denen schon besprechen und in der Visite wird alles gemacht. Sie kriegen den Ultraschall, der Verband wird gewechselt, wenn da was gewechselt werden muss. Da werden auch Drainagen gezogen, ZVK‘s gezogen, falls da was da ist. Man sieht, dass alles fertig ist und auch am letzten Tag kriegen sie zum Beispiel den Entlassbrief in der Visite. Auch das Entlassgespräch findet dann da statt und danach ist wirklich alles gemacht, sodass die Visite `nen Ticken länger dauert. Aber das ist danach dann auch fertig und auch das organisieren die, organisiert das Team wirklich selber. Wann geht der Patient? Dann gibt es diese Übergabebesprechung, in der Übergabe, der Besprechung von Frühdienst auf den Spätdienst. Da werden Patienten übergeben und dann kommt auch so ein, so ein Koordinationsmeeting nennen wir das Meeting. Und da wird einfach geschaut ‚Okay, was brauche ich, was war, was sind Dinge, wo ich Veränderungen mir wünsche?‘ Also das ist das spannungsbasierte Arbeiten, wo Dinge, wo man denkt, die könnte man besser machen, die könnte man anders machen oder die waren total super, die sollten immer so sein, die werden dann angesprochen und dann wird geguckt, was sind so die nächsten Schritte, um sich in diese Richtung zu entwickeln? Also auch die Organisation entwickelt sich ständig weiter. Wir haben vor einem Jahr angefangen. Wir behandeln die Patienten heute schon wieder anders als vor einem Jahr, einem ständigen Flow. 

Pia Ja. Das finde ich auch wirklich super spannend. Und das ist ja eigentlich auch so ein Konzept mit diesem stetigen Angleichen. Auch mal Fehler machen, was ausprobieren, daraus lernen, einen Schritt weitergehen. Der in vielen/also ein Konzept, was in vielen anderen Arbeitsbereichen halt total etabliert ist. Und in meiner Wahrnehmung habe ich halt das Gefühl, ist das so in der Medizin gerade Spitze des Eisbergs quasi/ im Krankenhaus überhaupt nicht etabliert, dieses stetige Dazulernen und immer wieder gucken, wie gleicht man es besser ab und wie kann man sich da weiterentwickeln? 


Hubertus Ja, das ist ein großes Problem, das du ansprichst, weil man denkt in der Medizin immer, es muss perfekt sein. Ich könnte einen Fehler machen, wenn ich einen Fehler mache, bin ich dafür verantwortlich und uhh... Und deswegen ist es auch nicht so, dass wir- sprechen, also wenn wir so Veränderung vorantreiben, dann gucken wir nicht, ‚Finden es alle gut?‘ ist eigentlich völlig irrelevant, sondern es geht nur darum, dass alle mitdenken, ist es gefährlich? Also wenn diese Veränderung, die da angedacht ist, gefährlich ist oder und praktisch kein Fortschritt ist, dann wird sie nicht gemacht. Aber wenn man sagt ‚Ne, es ist keine Verschlechterung und es ist auch nicht gefährlich‘, dann wird es probiert. Also das heißt die Schwelle um Dinge zu probieren, auch wenn sie nicht alle toll finden, wenn sie sagen „Ich find’s eigentlich total doof, aber also gefährlich ist es sicherlich nicht. Und Verschlechterung, keene Ahnung, eigentlich nicht“. Dann wird probiert und dann wird es probiert, dann wird geschaut, okay, funktioniert es, funktioniert es nicht. Wenn es nicht funktioniert, warum funktioniert es nicht? Was muss man wieder nachsteuern? Und es kann sein, dass man sagt ‚Nein, es hat gar nicht funktioniert, wir lassen es komplett, oder man steuerts halt nach. 


Pia Und entscheidet ihr solche Dinge dann im Mehrheitsprinzip oder wie..weil ich stelle mir das auch relativ aufwendig immer vor, so zu gewissen Schritten zu kommen. Also ich meine, ich bin jetzt schon, allein im Podcast-Team sage ich mal, haben wir bestimmte Absprachen, Teammeetings und da sind auch manche Dinge sehr langwierig. Ich stelle mir das relativ schwierig vor, in einem doch großen interdisziplinären Team dann immer diese Schritte Stück für Stück zu gehen. 

Hubertus Ja, es ist eine total große Gefahr und das ist bei uns eigentlich nicht so, weil die Kommunikation in diesen Meetings ist super streng geregelt, die ist sehr stark/ sehr strukturiert. Also da kann nicht jeder sagen, was er will und da kann auch nicht jeder sprechen, wann er will. Ganz klare Regeln, also im Synchronisationsmeeting zum Beispiel: wer spricht wann und auch, was für Dinge können gesagt werden. Also da gibt es wirklich ein sehr strukturiertes Ablaufen. Und wo wir dann an der Organisation wirklich Veränderungen vornehmen, das ist im Governance Meeting, Steuerungsmeeting und da ist es so, dass wie gesagt, dieser Vorschlag eingebracht wird, dann werden Verständnisfragen gestellt. Da kann jeder, der eine Frage hat fragen, das ist so eine Sternkommunikation. Also der, der da vorgestellt hat, beantwortet die Fragen der anderen und nicht Teilnehmer A beantwortet die Fragen von Teilnehmer B. Nee, das ist eine ganz strenge Regel. Und danach kommt eine Kommentarrunde. Und bei der Kommentarrunde geht es wirklich darum zu schauen, wie finde ich den Vorschlag und was würde ich vorschlagen, um ihn zu verbessern? Oder gibt es da nichts zu verbessern? Oder kann man auch schon sagen ‚Also ich halte den für schwierig‘. Und da kann auch nicht A mit B und mit C reden, sondern jeder gibt den Kommentar an den, der den Vorschlag gegeben hat und dann muss damit nicht jeder einverstanden sein. Und dann kommt die sogenannte SET-Runde. Also das ist ‚Safe enough to try‘. Also wenn wir das machen, ist es sicher genug. Und wenn man Sicherheitsbedenken hat, dann ist man auch gleich aufgefordert zu sagen ‚Okay, wie kann man diese Sicherheitsbedenken ausmerzen?‘ Zum Beispiel was weiß ich wenn, wir hatten mal, dass wir die Telefone nicht mehr mit in die Frühbesprechung nehmen wollen, einfach um da konzentrierter arbeiten zu können und da hat immer einer, musste die Telefone immer vor der Tür bewachen und dann war so war so die Idee ‚Naja, das ist nicht sicher genug, wenn dann so ein Schockraum kommt oder so und dann ist er nicht rechtzeitig da und dann/ oder wie könnte man das, diese Sicherheitsbedenken ausräumen? Und dann halt ja, man könnte so ein Walkie-Talkie sich anschaffen (Pia lacht) und dann haben wir so Walkie-Talkies angeschafft, und ruckzuck war das Sicherheitsbedenken ausgeräumt. Also ein kleines Beispiel, wie man mit sowas umgehen kann. Ja, das heißt, man muss dann diese Sicherheitsbedenken auch gleich/ wenn man es nicht ausräumen kann, dann wird es nicht gemacht. Aber wenn man es ausräumen kann und alle Sicherheitsbedenken sind gelöst, dann wird sofort umgesetzt, auch wenn es alle blöd finden und nur der eine findet es okay und da muss man überhaupt nicht demokratisch sein. Er muss nur sicher sein, dass wir uns damit nicht verschlechtern. 

Pia Ich habe auf der Internetseite von euch gelesen und das fand ich doch irgendwie ganz passend. Jetzt zu dem, was du gesagt hast. ‚Selbstorganisiertes Arbeiten bedeutet nicht, dass die Mitarbeitenden nur machen, was sie möchten und Chaos entsteht. Und es bedeutet auch nicht, dass in einer Notfallsituation erst demokratisch diskutiert werden muss, bevor gehandelt wird.‘ Und das fand ich irgendwie jetzt noch mal ganz passend, dass du das jetzt so ein bisschen beschrieben hast euren Prozess, weil ich glaube, dass viele vielleicht erst mal denken ‚Oje, das ist irgendwie hier alles so larifari und jeder kommt, wann er möchte und geht, wann er möchte‘. So ungefähr. Und ich habe das Gefühl, wie du das jetzt beschrieben hast, ist es ein sehr, sehr systematischer Prozess und ihr habt viele Methoden, die da total durchdacht drinstecken. 

Hubertus Ganz genau. Das ist enorm strukturiert. Aber am Anfang, wenn man so arbeitet, dann denkt man, „Hä, es ist total spießig“. Aber das ist, man merkt dann eigentlich erst, wofür das dann gut ist und warum wir dann auch wirklich so agil und schnell vorankommen und verändern können. Und dafür braucht man einfach solche Strukturen. Genau das ist so die, die Formel, die dahintersteht. Bei den Notfällen zum Beispiel, da haben wir auch so eine Rolle. Und das ist super strukturiert und klar, also da gibt/ wird überhaupt gar nicht diskutiert, überhaupt nicht. Aber natürlich, nach dem Notfall wird rekapituliert. Hat die Rolle gut funktioniert, wo müssen wir da nachsteuern, welche Dinge? Also hast du dich darin wohlgefühlt, den Sinn gehabt, dass du da gehört wurdest und und und. Also auch die Mitarbeiter selber werden echt immer gefragt. Das ist total wichtig. Wie geht's den Menschen in dem ganzen Projekt? 


Pia Ja. Nee, finde ich auch super wichtig, wenn ich jetzt auch an meine Notfälle denke, die ich irgendwie schon hatte in der Zeit, hätte ich mir das auf jeden Fall gewünscht. Also stelle ich mir sehr, sehr wertvoll vor. Wie ist denn so das Feedback unter den Mitarbeitenden? Also zum Beispiel gerade in der Pflege ist es ja schon ein wirklicher Mangel an Personal, was man so mitbekommt, medial als auch ganz praktisch bei uns in den Krankenhäusern auch gutes Personal zu bekommen. Personal, was lange da bleibt. Hast du das Gefühl, etwas ist durch eure Selbstorganisation des Arbeitens, durch das Sehen des einzelnen Mitarbeitenden besser? 

Hubertus Also das wäre natürlich schön, wenn jetzt eine von den Pflegekräften da wäre und da habe ich in der Kürze der Zeit und auch bei der späten Abendzeit ganz vergessen, zu fragen, um da mitzumachen. Aber Fakt ist, eigentlich haben wir keinen Pflegemangel. Eigentlich im Gegenteil, wir sind hier relativ überbesetzt. Ich sag EIGENTLICH, weil wir jetzt gerade über Weihnachten so eine Zeit hatten, wo wirklich super viele krank waren, da hatten wir eine schlimme Krankheitswelle und da haben wir schon auch echt, sind wir schon auch echt bisschen an die Grenze gekommen und da sind wir auch ein bisschen gefordert gewesen. Aber ansonsten haben wir viele Schichten, wo wir wirklich satt über der PpUG besetzt sind, also wirklich satt drüber sein, wo man Zeit hat, mit den Patienten zu sprechen und mit den Patienten wirklich nicht nur über die medizinischen Dinge ab und zu gucken. Krankheit ist ja auch Lebenskrise. ‚Kommen Sie damit zurecht, was bedeutet das? Wie geht's dir?‘ Das sind wirklich wichtige Gespräche, wichtige Momente. Patienten, die quittieren das wirklich mit einem sehr positiven Feedback. Und viele, die können das gar nicht glauben. Sagen dann ja, ‚es ist natürlich besser, gesund zu sein, aber wenn ich schon krank sein muss, dann will ich auch eine Krankheit haben, die mich auf diese Station bringen kann‘. Das motiviert total. Ja und Pflegekräfte, also wir haben jeden Monat Bewerbungen eigentlich und das Team wächst weiter und wir gucken auch, dass wir auf die Stationsentwicklung selber schauen. ‚Okay, wie viele Patienten, traut ihr euch zu, zu betreuen‘, das bestimmt die Pflege selber. 

Pia Kannst du was dazu sagen, wie das ganze sich trägt? Weil wenn ich mir jetzt so vorstelle, klingt das erst mal mega gut in meinen klinischen Ohren, sage ich mal. Und gleichzeitig hätte ich so die Teufelchenstimme im Ohr, die sagt so ‚Wie kann, wie kann sich das überhaupt tragen und finanzieren?‘ 

Hubertus Du meinst, dass wir dann so viele Pflegekräfte haben? 

Pia Ja, oder allgemein, also dass man, also wenn ich jetzt so drüber nachdenke, bei uns im Krankenhaus wird sehr viel immer wegrationalisiert und man muss sich für sehr viel rechtfertigen. Wir müssen uns teilweise rechtfertigen, wenn bestimmte Besprechungen irgendwie länger dauern. Und gleichzeitig ist das ja, wie ihr das macht, mehr Zeit für die Patient:innen habt und auch Zeit dafür hergebt oder euch nehmt, Dinge im Team zu besprechen und zu verbessern. Einzelne Leute im Team, als auch die Patientinnen abzuholen ist ja schon etwas, wo man zumindest sagen muss, dass das sehr wahrscheinlich Zeit kostet. Vielleicht aber durch diese Organisation- also deswegen ich weiß nicht, vielleicht trägt es sich ja auch einfach von alleine, weil es so gut organisiert ist, dass viele andere Sachen dadurch halt überflüssig sind und wegfallen. 

Hubertus Ja, also beides. Auf der einen Seite, es ist schon so, dass wir natürlich Zeit brauchen für Besprechungen. Aber durch diese Klarheit gibt es weniger Missverständnisse. Du kannst Veränderungen schneller umsetzen, weil die Veränderung nicht von oben diktiert wird und alle es erstmal blöd finden und gegen anarbeiten, sondern die Veränderung wird aus dem Team beschlossen. Also dass, da gibt es viel weniger Reibungsverluste. Dann die reine Wirtschaftlichkeit, also es ist ja in Deutschland mit dieser Refinanzierung der Pflege so, dass die Pflegekräfte derzeit ja noch mal, die sind wenig limitiert und nicht wie es das Baden Württemberg macht. Ah ne du bist- du bist Rheinland-Pfalz. 

Pia Köln, also genau in Nordrhein Westfalen. 

Hubertus Oder in Nordrhein Westfalen. Wir sind ja Bayern, ich weiß nicht, wie’s in Nordrhein Westfalen ist. Aber wir haben derzeit noch keine wirkliche Obergrenze, wir haben eine Untergrenze für Pflegekräfte. Aber Obergrenze haben wir eigentlich nicht. Von da an ist es eigentlich, wir haben natürlich keine ANÜ das haben wir alles nicht. Das ist schon mal viel günstiger. 

Pia Keine was? Kannst du das kurz erklären? 

Hubertus ANÜs ist Arbeitnehmerüberlassung. Also Leiharbeit haben wir nicht. Ja, darin sparen wir schonmal wirklich viel Geld und dann ist es so, also die Geschäftsführungen, die wollen ja immer so kurze Verweildauern und so, ne? Und das ist etwas, was wir überhaupt nicht wollen. Also das ist überhaupt nicht unser Ziel, dass der Patient eine kurze Verweildauer hat. Was wir aber wollen, ist, dass der Patient schnell gesund wird. Und das hat natürlich die Nebenwirkungen, dass er auch kurz im Krankenhaus ist. Und unsere Verweildauer, die ist so super kurz. Wir müssen schon echt immer kämpfen, dass wir diese untere Grenze der Verweildauer nicht reißen, weil die Patienten so kompetent sind. Die wissen ja, ich kann aufstehen, ich kann das alles, ich will eigentlich nach Hause. Und das ist natürlich ein großer Punkt. Wobei ich ein ABSOLUTER Gegner bin, zu fordern kurze Verweildauer, aber ich bin totaler Befürworter für.. 

Pia Die Leute gut fit machen. 

Hubertus Schnell und gesund behandeln. Und auch wenn es sich wie das Gleiche anhört, ist es ein Riesenunterschied. 

Pia Ja voll. Man fragt sich ja, wenn man sich das so hört, wie es dazu gekommen ist. Also wie ist das Projekt entstanden, was war deine Motivation dahinter, das zu initiieren? Gerade du hast ja viel klassische Klinikkarriere hinter dir, warst auch an der Uniklinik, also so ich sage mal, ein sehr hierarchisches, sehr, sehr medizinklassisches System. Wie, wie bist du dazu gekommen, das Projekt dann zu initiieren? 

Hubertus Ja, genau. Ich war in Heidelberg, an der Uni in Heidelberg, das echt eine ganz tolle Klinik ist und auch war und ganz tolle Schule. Mir hat das hierarchische System auch nicht geschadet. Also ich hab da keinen Schaden genommen oder fand es geradezu schrecklich. Aber was ich ganz deutlich gespürt habe, ist das, dass das nicht mehr funktioniert. Funktioniert einfach nicht mehr und schonmal gar nicht in Krankenhäusern, wie ich jetzt hier zu verantworten hab, Aschaffenburg. Also hier, hier willst du eigentlich Mitarbeiter haben, die auch mit dir zusammen in Rente gehen. Und die wollen sich hier verwirklichen. Die wollen hier gefordert, gefördert werden und nicht, um dann irgendwann wegzugehen und Chef zu werden, wie das oft an Uni so ist, sondern um da zu bleiben. Nein, sie sind gekommen um zu bleiben und da brauchst du andere Systeme, die funktionieren einfach nicht mehr. Ich hab dann ewig gesucht und gemacht, hab dann viele Sachen ausprobiert. Hab schon in Heidelberg auch immer mal wieder geguckt, wie man eigentlich die Kreativität und Motivation von den Menschen besser in die Arbeitsabläufe integrieren könnte. Hab dann mit OKR mal experimentiert, ob das, das ist so ein Steuerungssystem, wie Google auch gemanagt wird. Das war mir aber alles zu technisch. Ich bin dann über diese ‚New Work‘-Bewegung, in dieses selbstorganisierte Arbeit gekommen. Das hat mich schon wirklich fasziniert. Der Kerngedanke von New Work ist ja nicht das, dass du für die Arbeit da bist, wie sich das häufig anfühlt, ‚ich muss zur Arbeit‘, sondern dass die Arbeit für dich da ist. Die Arbeit ist für dich da, um dich zu entwickeln, um dich sozial zu verbinden, um Gutes zu tun, um die Welt zu verändern. Und dafür ist die Arbeit da. Und wenn ich mal schaue, wie mein Leben gelaufen ist, dann hat die Arbeit genau das aus mir gemacht. Ich habe mich wahnsinnig entwickeln dürfen. Ich durfte lernen, wie man Menschen operiert und wie man sich umeinander kümmert und wie mein Team und ich. Also und dieser ganze Wert, der ist eigentlich gar nicht spürbar. Wenn du tagtäglich in diese Klinik gehst und da rund gemacht wirst, oder du wirst da nicht rund gemacht aber… gibt‘s schon in anderen Kliniken (Pia lacht) habe ich gehört. Und ich dachte ja, so muss Arbeit erlebbar sein und da gibt's halt bestimmte Methoden und Techniken, wie man das erlebbar machen kann, wie man eigentlich das wahre Gesicht der Arbeit zeigen kann. Arbeit ist eine große Chance für einen Menschen, sich zu entwickeln usw voranzukommen. Ich bin dann über diesen ‚Loop Approach‘ gekommen. Der Loop Approach ist. Eigentlich ein Werkzeugkasten von Methoden, von dem man lernen kann, wie man ganz individuell auf Bedürfnisse in bestimmten Situationen so und so eine Transformation anbringen kann. Und über diese, die Ausbildung, die ich da gemacht habe, kam mir dann die Idee ‚Ah ich müsste mal mit den Ärzten da anfangen‘, hab dann mit den Ärzten angefangen von Anfang an so Workshops zu machen und dann hat sich die Gelegenheit ergeben, eine Station zu machen, weil einfach nach der Coronakrise ja alles so abgebrannt war. Und die hab ich dann am Schopfe gepackt und diese Station gegründet und ich lerne nach wie vor. Also für mich ist das noch mehr ‘New Work’ als für alle anderen, weil ich mich hier weiterentwickeln kann, und lerne, wie das funktioniert und was das Krankenhaus braucht und was Patienten brauchen. Und das ist nun mal was, ein ganz tolles, ganz tolles Leben, was ich erleben darf. 

Pia Ja, voll schön zu hören, aber ich finde, es klingt auch wirklich so super motivierend. Ich habe mich natürlich trotzdem ein bisschen gefragt, wie das dann wirklich geklappt hat. Also du hast jetzt gesagt Coronakrise. Aber dass das Krankenhaus diesen Weg auch mit einem geht oder die Möglichkeit gibt und bietet?

Hubertus Ja. Das war ganz einfach. Also ich weiß nicht wie das jetzt bei euch in der Coronakrise war, aber bei uns war das, viele Teams auseinandergerissen. Leute wurden mit Aufgaben betraut, wo sie sich eigentlich nicht kompetent gefühlt haben, hat dann schnell zu Überlastung geführt- haben ihre ‘Team Heimaten’ sind kaputt gegangen und dadurch gab es ziemlich viel Abwanderung bei uns aus verschiedenen Bereichen. Eine Station war dann, die konnte nicht betrieben werden weil keine Pflegekräfte da, die war leer. Und dann hatte ich dem Geschäftsführer gesagt, ich würde gern so eine selbstorganisierte Station machen. Und eigentlich hatte er nichts zu verlieren. Entweder das klappt, dann kann man diese Station da in Betrieb nehmen. Und wenn es nicht klappt, dann muss, ja diese Business Esoterik von dem speziellen Teil... Eigentlich kann es, was es kostet und was man damit erreichen kann, das steht dem Aufwand eigentlich nicht gegenüber. Und der war mutig, der hat das auch wirklich visionär mitgetragen. „Ja, probier es mal“ Und so hat ich das, habe ich da die Freiheit bekommen, das zu tun. Und jetzt klar liegt auch bisschen Transparenz und viel Licht auf diesem Projekt und er wird natürlich viel dafür angesprochen. Das gefällt ihm jetzt natürlich auch, keine Frage. Und jetzt ist man eigentlich eher in so einer Phase, wo man überlegt ‚Okay, wie geht's weiter‘, wir haben `ne zweite Abteilung, die sich auch das angeschaut hat und selbstorganisiert arbeiten will. Neurologische Ambulanz und der Pflegedirektor, der kam jetzt und hat auch überlegt ‚Okay, wie können wir jetzt gucken, dass wir diese Formate, die gut funktionieren, weiter ausbreiten und Elemente davon in, auf andere Stationen übertragen‘. Also es hat schon auch eine gewisse Dynamik da.

Pia Ja, das wollte ich dich nämlich auch auf jeden Fall noch fragen, wie du die Möglichkeit dafür siehst, diese ganzen Erfahrungen, Erkenntnisse, die ihr jetzt schon gesammelt habt als so, wahrscheinlich eine der ersten Stationen, jedenfalls soweit mir das bekannt ist, dass ja selbstorganisiert gemacht zu haben, auch in andere Stationen oder auf andere Krankenhäuser zu übertragen. Also wenn es hier Leute gäbe, die das hören und sagen „Mega die gute Idee! Und wie kann ich das übertragen oder weitertragen?“ Oder ich hab mich auch gefragt, ob ihr, ich sage mal, häufig ist es ja so, dass bestimmte Daten gebraucht werden, also dass wenn es Studien gibt und dann kann man beweisen, dass die Liegedauer, aber irgendwie zum Beispiel geringer ist, weil das eben doch für viele Leute finanziell von Interesse ist. So, auch wenn wir gerade festgestellt haben, dass es uns eher darum geht, die Leute möglichst fit zu entlassen. Aber ich finde, das klingt halt einfach nach einem mega guten, sinnvollen Konzept. Und jetzt wäre es ja cool, das auch noch in anderen Bereichen hinzukriegen. 

Hubertus Ja, wir haben natürlich `ne Menge Begleitforschung und Begleituntersuchungen für dieses Projekt laufen auch, und es wird auch von einer Doktorarbeit begleitet. Wir haben verschiedene Sozialforschungen und wir haben verschiedene Projekte daran, diese Daten die werten wir jetzt auch gerade aus, um auch zu gucken, das Projekt läuft ja jetzt noch bis Ende diesen Jahres, um einfach zu gucken, wo müssen wir wie nachsteuern. Also das wird schon auch so begleitet. Und auch der Aufwand, da wird gekuckt nämlich nach wie vor nach Workshops, wir suchen immer wieder auch nach Leuten, die von außen unterstützen. Man darf nicht vergessen der Strukturabbau von außen, also wenn du äußere Strukturen reduzierst, musst du innere Strukturen aufbauen. Das ist eine große Entwicklung und da es auch hilfreich, wenn man Menschen hat, die das Team unterstützen und das haben wir schon auch noch, also das muss man- 

Pia Also, dass ihr zum Beispiel Coaches quasi habt, die das mit begleiten. 

Hubertus Ja, gar nicht, gar nicht jetzt mal so persönliches Coaching, aber schon auch so Teamcoaching. Gucken, dass wir diese Formate die, dass sie tiefgreifender verstanden werden, dass die auch praktiziert werden, dass die also wenn Stress entsteht oder wenn Situationen gerade in so Krankheitssituation, dann verfällt man immer auch wieder in alte Verhaltensmuster- dass man das merkt, man auch nachsteuern kann. Also diese Dinge gucken wir schon jetzt auch nach und arbeiten die auf. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ergebnis überraschend positiv wird, also positiver als die Menschen, die mit den Zahlen rechnen, glauben. Ich habe ja auch so `nen MBA gemacht. Also kenne mich auch so ein bisschen aus mit Krankenhauswirtschaft und da habe ich schon ein ziemlich gutes Gefühl. Ja und wie kann man das Transformieren, oder wie kann man das anderen Kliniken oder anderen Teams zugänglich machen? Das liegt total an dem Team. Das ist super, super individuell, was man auf jeden Fall machen kann: Man kann Methoden wählen, die so arbeiten lassen, kann sich diese Methoden anschauen und kann dann, was weiß ich mal so vier, fünf Methoden an einem Tag, in einem Workshop- wir nennen das so Schnupperworkshop- kann man sich die anschauen und gucken ‚Okay, mit welchen Methoden würden wir gerne arbeiten, wie würden wir uns gerne da rein entwickeln?‘ Und dann entwickelt man es auch Stück für Stück. Ich will auch auf gar keinen Fall die Führung sofort abschaffen oder so, das ist ein totaler Fehler, wenn man/ Führung gehört schon auch mit darein, dass die dann, ja, dass die dann auch lernt, wie man mit diesen neuen Situationen umgeht und und und. Also das ist sehr, sehr individuell und EIN guter Weg, über diese wahnsinnigen Vorteile zu kommen, weil es einfach total Spaß macht, so zu arbeiten. Ein zweiter Weg ist, dass man sagt ‚Okay. Welche Dinge stören uns total, wo wollen wir, was wollen wir eigentlich verändern?‘ Und dann guckt okay, wie kann man diese Methoden einsetzen, um unseren Veränderungsprozess hervorzurufen? Wobei mir persönlich der erste Weg immer mehr Spaß macht. 

Pia Ja. Ich fand das auch sehr schön, als du das geantwortet hast und eher gesagt hast, „ich möchte, dass die Arbeit für mich ist und und nicht andersrum und nicht eine, eine Latte an Dingen, die erst mal total schief gelaufen sind oder wo man sich immer beschwert.“ Weil das hört man halt einfach leider sehr häufig aus dem Krankenhaus. 

Hubertus Na klar. Und es ist natürlich auch so, dass es Dinge gibt, die hier keinen Spaß machen. Natürlich, klar ist es jetzt auch nicht hier, dass nur noch von morgens bis abends die Sonne scheint. Es gibt auch Dinge wo man denkt ‚Boah da habe ich jetzt gar keinen Bock darauf‘, OP Bericht diktieren oder so, wirklich, das hasse ich auch heute noch. Aber klar, es gehört dazu, weil’s einfach wichtig ist, dass der Patient weiß, was gemacht worden ist, dass das nachzuverfolgen ist, da braucht man ja gar nicht drüber reden und das hält man dann natürlich auch aus, gar keine Frage. 

Pia Gibt's was, wo du sagen würdest, daran könnte das Projekt scheitern? Oder sagst du über den Punkt würdest du jetzt denken seit ihr hinaus? 

Hubertus Naja, ich hoffe nicht, dass wir darüber hinaus sind. Weil wenn man das Gefühl hat, man kann nicht mehr scheitern, ist das irgendwie so, dann ist es irgendwie so, ja hat man das Gefühl, man ist/irgendwie es ist reif und ich weiß nicht, Dirk Nowitzki hat das gesagt, als er in diese Hall of Fame aufgenommen worden ist, hat er zu seinen Kindern gesagt „If you green, you grow, if you are ripe, you rot“. Das ist irgendwie so, genau, also man muss nach wie vor wachsen. Und wenn man wächst, dann kann man auch Dinge falsch machen. Und wenn man das Gefühl hat, man ist fertig. Dann bleibt noch das Verrotten und - also ich hoffe nicht, dass wir fertig sind, aber ganz im Gegenteil und wir können auch noch scheitern. Klar, wer weiß was die nächsten Jahre die Gesundheits- und auch die Rahmenbedingungen verändern. Wir haben natürlich, wir leben auch in einer Zeit, wo viel Unsicherheit entsteht. Aber ich habe das Gefühl, dass dadurch, dass wir dann so einen Weg gefunden haben, wo man sieht ‚Ja, so könnte eine Medizin funktionieren, es ist nicht teurer, aber effektiver‘. Was schon auch wirklich Schule machen kann. 

Pia Ja, glaube ich, nach dem Gespräch auf jeden Fall auch. Vielleicht auch schon vorher. Was ist denn so deine Utopie und Zukunftsvision, wenn du das Ganze noch so ein bisschen weiterdenken könntest und dir zurechtspinnen dürftest für ‚Meine Station‘ oder vielleicht auch generell die Krankenhäuser in Deutschland? 

Hubertus Du hattest das vorhin schon mal gesagt, das auf unserer Homepage gefunden: Das ist nicht so, Selbstorganisation heißt, nicht jeder kann hier machen, was er will. Und da würde ich mir wünschen, dass dieser Satz absolut Realität wird, dass hier jeder machen kann, was er will, weil er will sich entwickeln, Patienten behandeln, vorankommen. Und wenn wir die Menschen soweit, also wenn wir so weit sind, dass Menschen da so eine Klarheit über sich selber erreicht haben, dass man sich blind darauf verlassen kann, ich muss mich um gar nichts mehr kümmern. Jeder macht, was er will und das endet in der perfekten Patientenversorgung. Das wär so meine Utopie. Ja. 

Pia Ja. Sehr cool, ich lass das einfach so stehen. Ja, vielen Dank für das Gespräch. Ich könnte wirklich noch 100 Sachen weiterfragen und wäre auch mega angefixt, direkt mal bei euch reinzuschnuppern. Aber ich möchte dir auch deinen Feierabend nicht wegnehmen und ich freue mich total über diese ganzen Einblicke, die wir jetzt schon bekommen haben. Und ich glaube, alle, die da noch tiefer reingucken wollen, können sich das ganze Projekt ja auch einfach noch mal anschauen. Auf der Webseite sind ja auch viele der Methoden genannt, die du jetzt angesprochen hast und so kann man das vielleicht dann noch mal so ein bisschen vertiefen und für sich überlegen, ob man das nicht auch weiter in seinem Team mitnehmen kann. 

Hubertus Wer Lust hat, mal so ein Workshop zu erleben, du kannst dich ja auch super gerne bei mir melden. Wir haben mittlerweile auch ganz unterschiedliche Leute, die das auch anbieten können. Also da können wir auch unterstützen, Erfahrungen zu sammeln.. 

Pia Ja, cool. Ja, vielen Dank dir fürs Gespräch und für deine Zeit. Und ich wünsche einen schönen Abend noch. 

Hubertus Ja danke Pia. 

Pia Das war Heilewelt. Der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn wir euch ein bisschen inspirieren konnten, freuen wir uns über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Website oder auch eine Bewertung auf euren Podcast Plattformen. Abonniert gerne unseren Newsletter oder folgt uns auf Instagram, wenn ihr keine neue Folge mehr verpassen wollt. In diesem Sinne bleibt gesund, neugierig und optimistisch, bis ganz bald.