Was muss sich ändern, damit Schwangerschaftsabbrüche kein Tabuthema mehr sind, Alicia Baier?

Schwangerschaftsabbrüche ohne Stigma, Wartezeiten oder lange Anfahrtswege – wie könnte das in Deutschland Realität werden? In dieser Folge von Heilewelt spricht Pia Schüler mit Alicia Baier, Gynäkologin und Gründerin von Doctors for Choice, über ihre Vision eines selbstbestimmten Umgangs mit Schwangerschaftsabbrüchen, konkrete Lösungsansätze und die Herausforderungen, die sie dabei täglich erlebt.

Pia: Hi. Willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Pia, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern es bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen.

Stellt euch zum Beispiel vor, dass es so normal ist, darüber zu reden, dass man einen Schwangerschaftsabbruch gemacht hat, als ob man eine Blinddarm-OP hinter sich hat. Oder, dass Frauen, die ungewollt schwanger sind, bei ihrer Frauenärzt:in vor Ort den Abbruch durchführen können, sobald sie sich dafür entschieden haben, ganz ohne Druck, Stigma oder ohne weiteren Anfahrtswege und lange Wartezeiten. An dieser heileren Welt arbeitet Alicia Bayer, die ich heute zu Gast habe.

Sie ist Ärztin und arbeitet in einem Berliner Krankenhaus in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Ich habe heute mit ihr gesprochen in ihrer Funktion als Gründerin von Students und Doctors for Choice. Doctors for Choice ist ein Netzwerk von Gesundheitsarbeiter:innen, die sich für einen selbstbestimmteren Umgang mit Sexualität und Familienplanung einsetzen.

Ganz konkret bedeutet das zum Beispiel, dass sie sich für einen besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen. Und wenn man sich für das Thema interessiert, sieht man Alicia immer wieder, sei es in Artikeln großer deutscher Medienhäuser, der ARD-Dokumentation ‚Ungewollt Schwanger in Deutschland‘ oder in der Talkshow von Markus Lanz. Sie klärt seit Jahren darüber auf, führt Schwangerschaftsabbrüche selbst durch und ist aber auch immer wieder Ziel von Anfeindungen, juristischen Drohungen und Hasskommentaren.

Aus unserem Gespräch bin ich mit einem total positiven Gefühl rausgegangen, weil sie so super konkrete Next-Steps aufgezeigt hat und der Konflikt um das Thema Schwangerschaftsabbrüche damit so einfach lösbar schien. Und gleichzeitig fand ich es sehr eindrücklich zu hören, wie konservativ die Stellungnahmen der gynäkologischen Fachverbände immer noch sind und wie anders mit Schwangerschaftsabbrüchen in anderen europäischen Ländern umgegangen wird. 

Hi, voll schön, dass du da bist. Wie geht's dir? Wie war dein Tag bisher? 

Alicia: Ja, danke für die Einladung. Ich freue mich auch. Mir geht's gut. Es ist ja noch morgen jetzt und ich habe frei die ganze restliche Woche jetzt, also noch ein paar Tage vor mir und es ist sehr schönes Wetter draußen, also ja, ich freue mich auf den Tag. Voll gut. Mit voller Power hier ins Interview gestartet.

Pia: Ja. Wir interviewen dich ja heute quasi in deiner Funktion neben der Assistenzärztin. Als Gründerin und Vorstellerin bei Doctors for Choice. Wie hat das angefangen? Wie bist du dazu gekommen, dich für einen besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland einzusetzen und zu engagieren?

Alicia: Ich war im Medizinstudium, da war ich im achten Semester und bin zu einer feministischen Veranstaltung gegangen, der Heinrich-Böll-Stiftung, die war direkt um die Ecke von meiner Uni und das hieß irgendwie ‚Feminismus im 21. Jahrhundert‘ und da gab es so verschiedene Panels und ich bin dann zu dem Panel Schwangerschaftsabbruch- ich weiß gar nicht mehr den Titel- gegangen, weil ich davon noch gar nichts mitbekommen hatte und das war dann total augenöffnend für mich. Da saß auch eine niederländische Ärztin auf dem Podium, die auch Aktivistin ist, Rebecca Gompatz und unglaublich sprühend und faszinierend ist und inspirierend. Die hat auch so zwei Organisationen gegründet, ‚Women on Waves‘ und ‚Women on Web‘, also Women on Waves ist zum Beispiel, da fahren die mit Schiffen auf internationale Gewässer und führen dort Schwangerschaftsabbrüche durch, weil dort eben keine Landesgesetze gelten. Also vor allem dann eben, sie fahren zum Beispiel zu Ländern, wo Abbrüche komplett verboten sind, laden dann Frauen auf das Schiff und dann führen sie das quasi dort auf dem internationalen Gewässer durch und genau, die war total ansteckend und ich habe dort eben überhaupt erst gelernt, dass Schwangerschaftsabbrüche ein Straftatbestand sind in Deutschland und dass sie so häufig sind, also mit der häufigste gynäkologischen Eingriff - das war mir beides überhaupt nicht bewusst. Und diese Rebecca Gompatz meinte dann eben „Ja, wenn hier Medizinstudierende im Raum sind, dann kommt doch mal nach der Veranstaltung zu mir“, dann bin ich zu ihr und dann hat sie mir eben von ‚Medical Students for Choice‘ erzählt- das ist eine globale Organisation von Medizinstudierenden, die sich für eine bessere Ausbildung einsetzen -und sie meinte eben, das ist häufig ein Problem, dass der Schwangerschaftsabbruch im Medizinstudium nicht ausreichend thematisiert wird und auch dort eben tabuisiert ist und dann hat sie mir den Kontakt gegeben zu der Gruppe in den USA und dann habe ich halt zu Hause mir das angeguckt für die Charité, also in Berlin, wo ich studiert habe und habe festgestellt, dass es da eben auch im Studium, im Curriculum nur ganz, ganz am Rande vorkommt, das Thema und habe dann eben beschlossen, dass ich hier in Deutschland auch so eine Medical Students for Choice-Gruppe gründen möchte. Genau so fing das eigentlich alles an.


Pia: Ja, voll gut, dann ist der Funken so ein bisschen übergesprungen und ich kann das so gut verstehen, weil es gibt - mir fällt jetzt gerade der Film nicht ein, aber ich habe den Film auch schon gesehen - so eine Dokumentation letztendlich, über sie und die Organisation und das ist auch wirklich sehr eindrücklich, wie sie da sprüht und auf der Reling den Leuten, was dagegen brüllt, quasi mit ihrer ganzen Inbrunst, also ich kann es mir lebhaft vorstellen. 

Alicia: Stimmt genau, der Film fällt mir nämlich auch gerade nicht ein, aber der ist sehr zu empfehlen. (beide lachen)

Pia: Genau, wir packen ihn in den Shownotes, wenn wir es dann herausgefunden haben, wie der nochmal hieß.

Du hast ein bisschen gesagt, dass Schwangerschaftsabbrüche ein Tabu waren oder dass man das brechen muss. Jetzt hast du viele Jahre schon damit gearbeitet. Wieso hast du das Gefühl, ist es eigentlich immer noch ein Tabu? Beziehungsweise vielleicht anders gefragt, was hat sich geändert und was aber vielleicht auch einfach noch nicht? 

Alicia: Ja, also ich glaube, dass das über Jahrhunderte lang gewachsen ist, dass Schwangerschaftsabbrüche ein Tabu sind und dass da ja auch bestimmte Interessen dahinter stehen, dass dieses Tabu aufrechterhalten wird.

Also zum einen patriarchale Interessen, also Schwangerschaftsabbrüche werden ja in vielen Ländern immer reglementiert und verboten, weil man eben den weiblichen Körper unter Kontrolle bringen möchte und die weibliche Fortpflanzung steuern möchte. Und zum anderen auch so aus bevölkerungspolitischen Gründen. Also es ging häufig auch historisch darum, dass eben der weibliche Körper Arbeitskräfte und Soldat:innen produziert.

Und genau deswegen war das für viele Parteien von Vorteil, wenn Schwangerschaftsabbrüche möglichst tabuisiert bleiben. Und genau damit, mit diesem Erbe, leben wir heute eben immer noch. Und das hat sich auch in der Gynäkologie leider so fortgetragen. Also auch die Gynäkologie ist ja patriarchal geprägt und war über Jahrhunderte eben von Männern dominiert, vom männlichen Blick geprägt worden. Und was war der zweite Teil der Frage? 

Pia: Also was sich quasi geändert hat. Also ich würde sagen, ihr habt ja schon ein bisschen gearbeitet. Von außen betrachtet würde ich zum Beispiel sagen, dass die Medical Students for Choice inzwischen erreicht haben, dass sogenannte Papaya-Workshops, also Workshops, wo man an einer Papaya so eine Saugaspiration, also quasi das Absaugen vom embryonalen Gewebe lernt oder übt, im medizinischen Ausbildungskontext, und ich habe das Gefühl, das ist schon total verankert. Also vielleicht nicht für Leute, die nicht Medizin studieren, aber für Medizinstudierende würde ich sagen, hat sich das auf jeden Fall schon so durchgesetzt, dass man zumindest davon gehört hat.

Alicia: Ja, also absolut. Ich bin total froh und auch immer wieder erstaunt darüber, genau wie gut sich das verbreitet hat und angenommen wurde und fortgesetzt wurde von Medizinstudierenden. Also wir haben ja 2015 den ersten Papaya-Workshop in Berlin veranstaltet und jetzt mittlerweile haben wirklich sehr, sehr viele Städte schon solche Workshops veranstaltet. Es gibt auch in sehr vielen Städten andere Medical Students for Choice-Gruppen oder eben andere Gruppen wie kritische Mediziner:innen oder femmed, die auch Papaya-Workshops organisieren. Und bei Doctors for Choice betreuen wir die ja von der ärztlichen Seite her. Ich hatte es damals als Studentin quasi angefangen und jetzt betreuen wir, also du brauchst ja immer auch Ärzt:innen, die dabei sind bei diesen Workshops und dann auch Sachen erklären können und auch die Theorie erklären können.

Und da kriegen wir wirklich viele, viele Anfragen. Und das ist total schön zu sehen. Und klar, das ist ein Teil, wie man gegen dieses Tabu in der Medizin vorgehen kann und zeigt auch, dass wir vielleicht so ein bisschen auch so einen Generationenwechsel jetzt haben, der irgendwie Hoffnung macht, weil das sind wirklich viele junge Leute.

Und auch bei Doctors for Choice haben wir viele junge Mitglieder, also zum Teil Medizinstudierende oder so Assistenzärzt:innen, die sagen, „Ja, also ich möchte später, wenn ich vielleicht meine eigene Praxis habe oder so, möchte ich auch Schwangerschaftsabbrüche anbieten“. Und ja, das macht auf jeden Fall Hoffnung. Und ich glaube schon, dass da was in Bewegung ist.

Pia: War, wenn du sagen würdest, was ihr bis jetzt schon erreicht habt- ist das so ein Aspekt, würdest du sagen, das ist auch so der lohnendste Aspekt gewesen von den letzten Jahren, wenn du so guckst, was du mit deiner Arbeit erreicht hast? Oder gibt es irgendwie so ein Ding von den letzten Jahren, wo du das Gefühl hattest, ‚okay, dafür hat sich das schon echt gelohnt, was ich da bis jetzt als Engagement gezeigt habe‘? 

Alicia: Nee, es stimmt schon. Also ich glaube, das ist der größte Aspekt. Eine Zeit lang dachte ich vielleicht, okay, in Berlin, wir haben auch eine Änderung im Lehrplan erreicht damals, dass es ein zusätzliches Seminar zum Schwangerschaftsabbruch gab, was auch schon cool ist. Aber letztendlich ist das Seminar nicht so viel anders als vorher das Seminar zu Pränataldiagnostik, wo es ja ganz am Rande eben auch um Schwangerschaftsabbrüche ging, aber nur so die rechtlichen Aspekte. Jetzt heißt das Seminar halt ‚Der Schwangerschaftsabbruch im gesellschaftlichen Kontext‘. Und es geht ein bisschen mehr um Schwangerschaftsabbrüche. Aber letztendlich sind doch noch viele Inhalte, je nachdem, wer das Seminar dann hält, so wie sie vorher waren. Und da geht es dann viel um Pränataldiagnostik. Und es geht auch immer noch nicht um die medizinischen Methoden.

Also es geht immer noch nicht darum, dass man sagt, „Okay, wie geht die operative, wie geht die medikamentöse Methode, was ist das Sicherheitsprofil, was sind die Nebenwirkungen, wie kann ich eine ungewollt Schwangere dazu beraten“. Ich glaube, da ist immer noch viel zu tun. Und es ist mühselig. 

Und ich glaube, auch mittlerweile der größte Erfolg ist eigentlich diese Bewegung und dass es Leute gibt, die sich vernetzen, die sich einsetzen für eine Veränderung und die auch diese Probleme sehen und die es auch nicht okay finden, wie zum Beispiel unser Berufsverband und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sich zu diesem Thema immer wieder äußert. Das ist auch so mein persönlicher Aufreger eigentlich, warum ich da immer weiter mache, weil ich das so furchtbar finde, dass unsere Berufsvertretungen, die im Grunde immer so tun, als würden sie für alle Gynäkologen und Gynäkologinnen sprechen, da wirklich so Stellungnahmen immer wieder rausbringen, die so viele Vorurteile zu dem Thema offenbaren und so viel patriarchales Denken auch. Und das ärgert viele, glaube ich.

Und ja, das freut mich schon sehr, dass es da irgendwie eine Gegenbewegung gibt und dass wir vielleicht die Hoffnung haben, dass die Gynäkologie in Deutschland endlich ein bisschen progressiver wird und feministischer. Weil ich habe schon das Gefühl, dass die Gynäkologie in Deutschland nochmal besonders konservativ ist. 

Pia: Hast du da ein Beispiel, dass man sich das besser vorstellen kann, wo du sagst, das waren Aussagen oder Dinge, wo ich echt nicht dahinterstehe und ich glaube, es geht noch vielen anderen so?

Alicia: Ja, es ist eigentlich in jeder Stellungnahme oder Statement zum Schwangerschaftsabbruch so, dass immer ganz stark betont wird, der große Konflikt zwischen der Schwangeren und dem in Anführungsstrichen ‚ungeborenen Leben‘.

Also das ungeborene Leben wird immer ganz stark den Mittelpunkt gestellt und so inszeniert als Gegenspieler der Schwangeren. Und immer dieser große Konflikt, dieser emotionale große Konflikt für alle Betroffene wird immer so ganz stark aufgemacht. Und es werden alle Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisationen eigentlich ignoriert.

Also die ja fordert, dass man die Pflichtberatung abschafft, die Wartezeit abschafft, dass man Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches reguliert von den Krankenkassen übernimmt, möglichst alle Hürden abschafft, damit Abbrüche so früh wie möglich stattfinden können, sobald die Entscheidung getroffen wurde. Das wird alles ignoriert, Evidenz wird häufig ignoriert und es werden eben dann diese Stereotype und Vorurteile reproduziert, wie zum Beispiel diese psychischen und körperlichen Folgen oder Komplikationen- angeblich von Schwangerschaftsabbrüchen. Ich weiß noch genau, in der einen Stellungnahme stand, dass Schwangerschaftsabbrüche zu schweren psychischen und in Einzelfällen auch körperlichen Komplikationen führen können.

Es war so ein Satz, der völlig fern war davon, dass das Sicherheitsprofil total gut ist, dass Komplikationen sehr selten sind, dass das Austragen einer Schwangerschaft sehr viel mehr Komplikationen beinhaltet als ein früherer Schwangerschaftsabbruch. Das ist eben dieser typische Abtreibungsmythos, dieses Post-Abortion-Syndrom, das gar nicht evidenzbasiert ist. Solche Dinge werden reproduziert.

Oder noch ein Beispiel, als es mal darum ging, dass in Bayern die Versorgungslage so schlecht ist, hatte das Sozialministerium dort einen Vorschlag gemacht, dass man zumindest an öffentlichen Kliniken- oder es ging sogar nur um Universitätskliniken, dass man dort zumindest Schwangerschaftsabbrüche anbietet, weil die wenigsten der Universitätskliniken in Baden-Württemberg bieten Schwangerschaftsabbrüche an, also nach Beratungsregelung. Und dass man zumindest dort das sicherstellt und dass man das ja gewährleisten könnte, indem man Einstellungskriterien einführt. Und was ja eine total gute Idee ist, ein ganz normaler Anreizmechanismus. Wenn ich in irgendeinem Team jemanden brauche, der einen Herzkatheter durchführt oder irgendwas, was da bisher nicht dort ist, was ich brauche, eine Expertise brauche, um die Versorgung sicherzustellen, dann schreibe ich eine Stelle aus, in der ich eben diese Expertise auch ausschreibe. Ganz normal. Und da kam auch direkt eine Stellungnahme von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, dass das keine legitime Maßnahme sei, dass man niemanden zwingen dürfe.

Dann kommt immer dieses Thema mit dem Zwang. Dabei geht es ja gar nicht um Zwang und dass alle das machen müssen, sondern wie gesagt ein Anreizmechanismus. Und ja, völlig dagegen und gegen jegliche Verbesserungsvorschläge irgendwie resistent.

Pia: Das ist so schade. Und du hast das jetzt so ein bisschen bezogen auf Deutschland gesagt. Hast du denn andere Länder im Kopf oder andere Regionen, Länder, Organisationen, wo du sagst, „Mensch, schau doch mal da hin. Da läuft es richtig gut. Da können wir uns ein Beispiel nehmen. Die zeigen eigentlich schon, wie die Zukunft für Schwangerschaftsabbrüche aussehen sollte“?

Alicia: Ja, also vor allem auch, wenn man sich anschaut, wie in anderen Ländern die Berufsverbände und Fachgesellschaften agieren. Zum Beispiel in England. Der dortige Berufsverband für Frauenärzte hat zum Safe Abortion Day eine Stellungnahme herausgegeben und nochmal betont, wie wichtig es ist, dass man Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert und den Zugang möglichst gut gestaltet.

Das wäre undenkbar für Deutschland. Oder auch die internationale Vereinigung von Gynäkologen und Gynäkologinnen weisen darauf hin, dass man sich nach der Richtlinie der Gesundheitsorganisation daran halten sollte an diese Empfehlungen. Im Internationalen und in anderen Ländern zum Teil ist die Gynäkologie sehr viel progressiver.

Und was die Gesetzeslage angeht, da gibt es auch Beispiele. Zum Beispiel Schweden ist ein Beispiel, wo der Zugang sehr gut geregelt ist und wo es auch tatsächlich kein Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen gibt, quasi vorher, bevor man sich für seinen Fachbereich entscheidet, schon weiß, dass da Schwangerschaftsabbrüche dazugehören. Und wenn man diesen Fachbereich freiwillig wählt, dann entscheidet man sich dort eben auch für die Durchführung von Abbrüchen. Sonst wählt man da halt ein anderes Fach. Das ist in fast keinem Land so geregelt. Aber genau, Schweden ist da ein Beispiel.

Dann gibt es noch Kanada als Beispiel. Die haben den Schwangerschaftsabbruch auch komplett als normalen medizinischen Eingriff geregelt und gar keine Fristen zum Beispiel. Und da sehen wir auch, dass es ja immer die Angst ist, wenn man keine Frist hat, dass dann viele sich zu viel Zeit lassen und irgendwie sehr viel mehr Abbrüche im zweiten und dritten Trimenon, also etwas später in der Schwangerschaft stattfinden. Und das sieht man eben in Kanada auch, dass das nicht der Fall ist. Also dass das nicht zunimmt, wenn man keine Fristen hat. Ja, das ist ja auch immer diese Annahme, dass man von außen da Regeln schaffen muss, damit die Leute gezwungen sind, diese Entscheidung zu treffen.

Und ich glaube, niemand, der schwanger ist und sich mit dieser Entscheidung noch nicht ganz durchgerungen hat, was man jetzt weitermachen will, denkt, „zum Glück habe ich diese Entscheidungsregularien, die mich da beschützen, dass ich nicht noch drei Wochen Urlaub mache und fünf Dinge mir noch anders überlege. Weil das nicht gerade vielleicht doch ein zentrales Thema für mich ist, was ich jetzt halt angehen muss“.

Pia: Ja, absolut, genau.

Alicia: Also alle eigentlich, wenn sie ungewollt schwanger sind, wollen so schnell wie möglich diesen Abbruch. Und für die ist es eher ein ganz großes Problem, dass man da noch drei Tage abwarten muss, Pflichtberatung machen muss und solche Sachen. Da fühlt sich jeder Tag wie eine ganze Woche an. Und man merkt ja auch, dass die Schwangerschaft in einem wächst und man hat Übelkeit und so weiter, diese ganzen Beschwerden. Da ist wirklich niemand so sehr daran interessiert wie die Schwangere selbst. Da kann man wirklich drauf vertrauen.

Pia: Ja, den Eindruck hatte ich auch schon. Ich hatte auch schon eine Patientin, wo ich dann noch telefoniert habe mit den Leuten, die diese Bescheinigung ausgestellt haben, wann denn jetzt ganz definitiv der Zeitpunkt war, damit wir nicht vielleicht schon die ersten Medikamente geben könnten und nicht noch auf den nächsten Tag warten müssen. Und die war mir, glaube ich, auch so unglaublich dankbar, dass wir das nochmal abgesprochen haben. 

Alicia: Ja, kann ich auf jeden Fall von meiner Erfahrung auch so sagen. Da ging es um einen Tag. Und ich habe das dann manchmal aber auch im Ambulanten erlebt. Zum Beispiel hatten wir im Familienplanungszentrum nur einmal die Woche OP-Tag. Und wenn sich jemand für einen operativen Eingriff entschieden hat und du dann diesen einen Tag verpasst, durch die blöde Wartezeit oder weil der Beratungsschein noch nicht drei Tage alt ist, dann muss die halt gleich eine ganze Woche mehr warten. Und manchmal ist es dann so, dass in der Folgewoche aber sie keine Kinderbetreuung organisiert bekommt.

Weil die meisten, das ist ja auch immer wichtig, die meisten haben ja schon Kinder, die zum Abbruch kommen. Und dann musst du nochmal eine Woche verschieben. Und dann kommst du auch wirklich manchmal immer näher an diese Frist dran. Aber das ist nicht, weil die Schwangere sich das so ausgesucht hat. 

Pia: Ja. Jetzt hast du ja schon so ein paar Sachen angesprochen, wo es in anderen Ländern besser läuft. Was würdest du denn sagen, wie würden wir es in Deutschland jetzt schaffen, dass wieder bessere Zugangsbedingungen bestehen für Schwangerschaftsabbrüche oder dass vielleicht auch einfach die Versorgungslage besser wird? Also wir ein größeres Netz an Kliniken und Ärzt:innen haben, die Abbrüche durchführen. Wo müssten wir da ansetzen? Was ist vielleicht so für das nächste Jahr, die nächsten fünf Jahre und die nächsten zehn Jahre? Was würdest du sagen, sind da so die Ziele oder nächsten Schritte? 

Alicia: Ja, ich glaube, es braucht politische Maßnahmen. Das ist ganz dringend, dass man erstmal jetzt evaluiert, welche Versorgungssituationen vorherrscht und welche Mängel vorliegen, von denen wir ja wissen, dass es sie gibt aus der Praxis, das bekommen wir viel mit. Aber es gibt eben noch keine flächendeckende Evaluierung. Und dass man dann eben Versorgungsschlüssel einführt. Also so ähnlich vielleicht, wie es bei der KV ist im ambulanten Bereich. Da sagt man ja eben, eine fachärztliche Praxis muss im Umkreis von 60 Kilometern oder innerhalb von einer Stunde erreichbar sein. Bei allgemeinmedizinischen ist es sogar 30 Kilometer oder eine halbe Stunde Entfernung. Genau, also das ist die Kassenärztliche Vereinigung, die quasi festlegt, bei den niedergelassenen Arztpraxen, was da an Versorgung gewährleistet sein muss. Genau, dafür muss aber der Schwangerschaftsabbruch auch erstmal eine Krankenkassenleistung werden, damit er überhaupt da mit eingeplant werden kann. Und im Bereich der Krankenhäuser brauchen wir auch Regelungen.

Also da sollte es unserer Meinung nach so sein, dass öffentliche Kliniken, das heißt damit meine ich auch kirchliche Träger, die von öffentlichen Geldern finanziert werden, was ja eben meistens der Fall ist - dass die verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten auch. Also dass es zumindest einige im Team gibt, die das tun. Und dass man auf der anderen Seite die institutionelle Weigerung ganzer Krankenhäuser verbietet.

Die ist ja eigentlich faktisch schon verboten oder nicht erlaubt zumindest, weil dieses Verweigerungsrecht eigentlich auf einer individuellen Ebene funktioniert. 

Also ich als individuelle Ärztin kann mich aus persönlichen moralischen Gründen gegen die Durchführung entscheiden. Aber eigentlich eine ganze Klinik, wie es aktuell oft läuft, dass ein Chef oder eine Chefin gegen Abbrüche ist und es seinem ganzen Team verbietet oder dass ein kirchlicher Träger sagt, „Wir machen das aber nicht, weil wir sind ein kirchlicher Träger“. Das geht eigentlich gar nicht und das müsste auch strenger verfolgt werden. 

Genau und dann, also denke ich wäre sinnvoll, dass man auch die Durchführung nicht nur Ärzt:innen erlaubt. So wie im Strafgesetzbuch steht ja aktuell, dass es ein Arzt oder eine Ärztin sein muss, die ein Schwangerschaftsabbruch durchführt.

Sondern das kann man gut auch auf andere Berufsgruppen ausweiten. So ist es ja zum Beispiel in Frankreich, dass Hebammen eben auch medikamentöse und operative Abbrüche durchführen- mit entsprechender Ausbildung natürlich - oder sogar auch Pflegekräfte.

Das nennt man dann ‚Taskshift‘. Wenn wir quasi nicht genug Gynäkolog:innen haben, die es machen wollen, dann kann man eben auch sich so helfen. 

Und auch, man könnte es auch ausweiten noch mehr auf Allgemeinärzt:innen, die ja auch gut vor allem medikamentöse Abbrüche durchführen können.

Genau und dann wären noch Maßnahmen wichtig, damit wir auch mehr Kolleg:innen bekommen, die das machen wollen, dass man die Bürokratie erleichtert. Weil im Moment ist es so, dass die Medikamente müssen direkt beim Hersteller bestellt werden. Da gibt es so Sondervertriebsgesetze. Du musst jedes Medikament einzeln austragen. Das ist alles sehr umständlich. Das ist auch in jedem Bundesland anders geregelt, was du für Voraussetzungen erfüllen musst, wenn du in deiner Praxis Abbrüche anbieten möchtest.

Also das ist noch mal sehr viel umständlicher als in anderen Bereichen der Medizin. Und das will schon was heißen, weil in der Medizin arbeitet man insgesamt mit sehr viel Bürokratie gerne. Und gleichzeitig ist die Vergütung nicht gut. Also das müsste man sicherlich auch ein bisschen anpassen. 

Und genau, dann wichtig ist natürlich auch gegen das Stigma vorzugehen, weil ich glaube, das ist doch für viele immer noch ein Hauptgrund. Also wenn du eine Praxis irgendwo in einer Region hast, wo sonst niemand Abbrüche durchführt, wenn du dann damit anfängst, da hast du schon die Sorge, dass dann Abtreibungsgegner:innen vor deiner Tür stehen oder dass du dir einen schlechten Ruf unter Kollegen machst, dass du dann ‚die Abtreibungspraxis‘ bist.

Also das ist immer noch sehr stigmatisiert. Und sonst könnte ja eigentlich im Grunde jede gynäkologische Praxis zumindest medikamentöse Abbrüche anbieten. Aber ich glaube, häufig ist das eben der Grund, dass sie es nicht tun und dass es sehr viele Gründe dagegen gibt und man schon so eine intrinsische Motivation mitbringen muss, dass man das für wichtig hält und sagt, ich möchte das jetzt aber trotz aller Widerstände in meiner Praxis anbieten.

Pia: Ja, vielleicht auch kurz zur Erklärung. Also medikamentöser Abbruch bedeutet eigentlich letztendlich, dass man zwei Medikamente gibt in unterschiedlichen Zeitabstand, die dazu führen, dass die Gebärmutter das Gewebe ausstößt. Und ich habe auch da das Gefühl, das ist eine sehr, sehr gut gehütete Pille. Also wirklich, wie du gesagt hast, mit dem Austragen. Also wir haben auch im Krankenhaus Listen, wo das dann ganz genau dokumentiert werden muss, für welchen Verwendungszweck man das jetzt benutzt hat. Mit Kleber und dann muss man das nochmal in irgendwelche Ordner nochmal separat nachweisen und so weiter und so fort.

Und gleichzeitig, wenn das einfach mehr Ärzt:innen machen würden oder wie du sagst, Pflegepersonal, Hebammen oder so, dass es dann eigentlich kein Versorgungsproblem sein müsste, so in dem Sinne. Und ich habe jetzt gerade nochmal gedacht, als du gesagt hast, mit dem Stigma, das eine ist ja irgendwie, dass die Ärzt:innen, also das medizinische Personal so dieses Stigma hat und sich vor irgendwie Anschuldigungen wahrscheinlich dann fürchten muss. Da würde es mich auch gleich noch interessieren, wie du damit so umgehst.

Aber zum anderen habe ich auch das Gefühl, wenn wir einfach mehr darüber reden würden, dass man einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hat, genauso wie vielleicht, dass man darüber redet, dass man eine Fehlgeburt hatte, was irgendwie ja auch komplett tabuisiert ist. Also dieses ganze Thema um irgendwie Abbruch - dann würde sich vielleicht auch so ein bisschen an dieser Normalisierungsfrage so ein bisschen was ändern. Ich habe häufig das Gefühl, wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme und dann irgendwie fällt, dass ich in Gynäkologie und Geburtshilfe arbeite oder schon eine Folge zum Thema Schwangerschaftsabbruch aufgenommen habe - das war damals unsere allererste Folge - dass dann manchmal so was kommt, so ach ja, ich habe auch einen Schwangerschaftsabbruch gemacht und die dann total happy sind, das mal jemandem erzählen zu können, weil das ja einfach eine Erfahrung ist, die sie halt in ihrem Leben gemacht haben. Und viele sprechen einfach gerne über Erfahrungen in ihrem Leben, was sie so erlebt haben und dann auf einmal eben so gemerkt haben, ‚guck mal, da ist irgendwie ein safe space, da kann ich mal darüber reden, wie ich das so erlebt habe oder wie das für mich war‘. Und ich habe eben das Gefühl, dass es eben sowohl für Ärzt:innen oder medizinisches Personal besser wäre, als auch wahrscheinlich gesamtgesellschaftlich, wenn man insgesamt mehr darüber reden würde und nicht mehr dieses judgment erfahren würde.

Also ich habe die Leute, die mir das dann erzählt haben, die haben das weder den Eltern noch den engsten Freunden erzählt, also wirklich eine ultra private Angelegenheit. Und als medizinisches Personal, gerade wenn man Abbrüche durchführt, denkt man sich so, „warum“? 

Alicia: Genau, aber das ist auch genau das Problem, dass es so viele niemandem erzählen, das erhält dann diesen Eindruck aufrecht, dass es ja nur ganz wenige betrifft. Und wenn man selber betroffen ist, dann denkt man häufig, ‚Oh je, das ist jetzt gerade mir passiert, das passiert doch sonst niemandem‘.

Und ich kenne das auch aus meiner Sprechstunde quasi, dass, wenn ich dann sage, dass es total häufig ist, dass das so ungefähr jede siebte bis achte Frau im Laufe ihres Lebens in Deutschland betrifft, weltweit sogar jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens, dann sind viele total überrascht und so, „Ach so, das betrifft so viele“. Und das erleichtert dann, glaube ich, auch, wenn man weiß, dass man da nicht die Einzige ist. (Pia: Ja voll) Und deswegen genau, es ist total wichtig, eigentlich darüber zu reden.

Und auf der anderen Seite, finde ich, kann man den Leuten auch nicht, also finde ich auch schwierig zu sagen, so, ja, erzählt mal alle eure Abzeichungsgeschichten, weil natürlich ist das immer noch total schwierig. (Pia: Total) Aber ja, es gibt jetzt langsam auch so Initiativen, die solche Geschichten manchmal auch anonym sammeln, um zu zeigen auch, wie vielfältig sie sind. Es gibt nicht dieses eine Erlebnis, das wird auch oft in Film und Fernsehen immer so gleich dargestellt, also immer so, genau, sehr konfliktbeladen, sehr dramatisch alles. Es gibt aber ganz unterschiedliche Geschichten, gibt auch schöne Abbruchserfahrungen, das ist, ja.

Pia: Jetzt hab ich das ja grad schon mal kurz so ein bisschen angeteasert – wie, wie gehst du denn damit um oder hattest du ja schlechte Erfahrungen mit Abtreibungsgegner:innen gemacht, wovon ich fast ausgehen würde wenn man so die öffentlichen Debatten mitbekommen hat und du ja auch in der Öffentlichkeit definitiv stehst, gerade für Doctors for Choice, du warst glaube ich auch mal bei Lanz in der Talkshow, hast zu dem Thema geredet. Wie, wie gehst du irgendwie damit um, wie steckt man das weg beziehungsweise schöpfst du da eventuell sogar mehr Kraft aus dem, was dir da entgegenschlägt oder kannst du irgendwelchen Leuten, die das vielleicht auch gerne machen würden, irgendwie was mitgeben?

Alicia: Ja also es ist, in den sozialen Medien natürlich bekommt man Hasskommentare aber genau wie du sagst, das sind häufig natürlich so richtig rechte Accounts wo ich dann denke „Ahja wenn ich die triggere dann tu ich die richtige Sache“ (Pia lacht: hast du was richtig gemacht) (lacht), also es hat mich nur vielleicht am Anfang so ein bisschen weggehauen aber dann hab ich mir das auch gar nicht mehr so im Detail angeschaut bzw. gleich gedacht mit solchen Leuten will ich auch eh nichts zu tun haben und genau. Was mich mehr gestresst hat immer, sind so juristische Sachen als es den §219a noch gab, der die Information zum Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert hat, da hab ich auch ‚ne Anzeige bekommen und wusste lange nicht, das ist ja eben Strafgesetzbuch gleich, das ist ja schon einschüchternd, hab ich ne Anzeige bekommen und wusste lange nicht was damit jetzt passiert so mehrere Monate, das ist dann auch schwer da überhaupt Einsicht zu erhalten, wer hat mich überhaupt angezeigt, warum – und das stresst schon – aber wurde dann zum Glück fallen gelassen. Aber ich bekomm immer wieder solche Briefe, also auch jetzt wieder neulich, letzte Woche kam auch wieder sowas, da steht dann oft nur so ein Zweizeiler irgendwie „es wurden Ermittlungen Paragraph soundso gegen Sie aufgenommen“ und oben steht „Vorwurf Verleumdung“ und ein Datum und ich weiß überhaupt nicht worum es geht so und muss mich dann irgendwie darum kümmern, wer hat mich da jetzt angezeigt wegen ‚Verleumdung‘, was bedeutet das – und es wurde dann auch jetzt irgendwie, ein paar Wochen später hab ich dann ein Schreiben bekommen es wurde fallen gelassen aber es ist halt immer so ein Stress. Es gibt halt immer solche Abtreibungsgegner offensichtlich, die halt versuchen an irgendeiner Stelle dich zu erwischen und dir da ‚nen Prozess irgendwie ans Bein zu hängen, das ist schon nervig. Aber ansonsten so diese, diese Hasskommentare oder auch so, es gibt ja auch so Websiten von so, also wo auch so der Holocaust relativiert wird, von diesem Klaus-Günther Annen ‚Babycaust‘ und da merkt man auch, dass der einen ganz genau beobachtet und da sind auch so Fotos von mir und viele Meldungen über das was ich so mache – aber das schaue ich mir halt jetzt nicht täglich an und mittlerweile, ignoriere ich das einfach, ja ehrlich gesagt. Aber ich pass schon auf, dass man meine persönlichen Daten, dass das nicht raus kommt, dass niemand weiß wo ich wohne, dass wäre schon glaube ich unangenehm, und dann würde ich mich schon auch bedroht fühlen aber so ist es bisher eigentlich so, dass man auch mehr Bestätigung und mehr Ermutigung bekommt als solche Anfeindungen. Also, man bekommt wirklich, grade da nach Lanz, als ich da in der Talkshow war, ich hab sooo viele Nachrichten bekommen von Leuten die gesagt haben „Danke, dass Sie da die Stimme erhoben haben, und ich hatte selber auch einen Abbruch und ich bin so froh, dass es Ärzt:innen gibt, die sich dafür einsetzen und es war viel wichtiger und bedeutsamer als irgendwelche Hasskommentare für mich.

Pia: Ja, voll schön, ja. Und vielleicht konntest du es ja auch ein bisschen weitergeben was du damals hattest, in der Vorlesung, wenn man dann solche Rückmeldungen bekommt, ja.

Alicia: Ja. Ist es schon die Frage zu der Resilienz? 

Pia: Ja, also voll gerne.

Alicia: Ach so, ja. Also was ich super wichtig finde, ist eben, dass man so ein Netzwerk hat von Gleichgesinnten. Also sowohl ist es bei mir der Verein natürlich, Doctors for Choice, als auch Freundinnen, die ähnlich denken. Oder auch meine Familie steht da auch hinter mir. Genau, dass man sich da irgendwie wohl fühlt und schön einrichtet (lacht). Und gleichzeitig, genau, ich glaube, man braucht so einen Aufreger. Also irgendwas, was einen immer wieder richtig ärgert. Und damit man so dranbleibt und immer wieder weiß, warum man das macht. Und dann ist es total sinnstiftend, finde ich.

Es macht total Spaß, sich für so ein größeres Projekt einzusetzen. Und nicht nur im Klinikalltag, genau, vergisst man ja oft so ein bisschen die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Oder ist so ein bisschen so einer Maschine gefangen und führt hauptsächlich Dinge aus.

Vor allem so am Anfang der Ausbildung. Und kann nicht so viel erwirken, hat man das Gefühl. Und da, wenn man noch so einen Bereich hat, wo man irgendwie auch so seine eigene Chefin ist, ja, das ist sehr befreiend irgendwie auch.

Pia: Ja, wenn du jetzt andere junge Menschen hast, die sagen, dass sie sich gerne für einen besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen möchten, welchen Rat würdest du denen geben, wie sie das schaffen? Was hast du vielleicht gelernt aus deinem Werdegang bis jetzt? Von außen betrachtet würde ich sagen, wirkst du als Powerfrau. Du arbeitest in einer Klinik, machst dich total stark für Doctors for Choice, hast ein super großes Netzwerk, arbeitest gerade mit vielen Leuten zusammen, die ähnlich denken. Von außen betrachtet würde ich das auf jeden Fall so als sehr gutes Beispiel sehen.

Was würdest du anderen jungen Leuten mitgeben, die sagen, „okay, ich möchte irgendwie auch vielleicht nicht genau den gleichen Lebensweg haben, aber irgendwie sagen, ich würde mich gerne für reproductive Rechte einsetzen wollen in meinem medizinischen Kontext“. 

Alicia: Ja, ich glaube, es fängt immer an damit, dass man sich erst mal vernetzt und Gleichgesinnte findet und dann zusammen was startet. So fing es auch bei mir an, dass wir einfach gesagt haben, „okay, wir rufen jetzt dieses erste Treffen aus und dann kann man zusammen eben so nach und nach eine Strategie entwickeln“. Bei uns war es so, dass wir uns gegen die Uni positioniert haben und versucht haben, den Lehrplan zu ändern und mit diesen Papaya-Workshops angefangen haben. Es war aber so ein Prozess. Es ist natürlich nicht so, dass das von Tag eins alles super läuft, sondern da war auch viel Skepsis am Anfang und auch bei Kommiliton:innen Rückfragen, „wie, du willst jetzt eine Gruppe nur zum Schwangerschaftsabbruch? Ist das nicht voll übertrieben? Wir haben doch hier einen guten Zugang in Deutschland“. Und es waren auch so Leute, die schon politisch engagiert waren. Da war ich schon auch so, okay, vielleicht ist das auch alles total übertrieben. Also auch viele Zweifel am Anfang, das ist normal. Und dann ist das alles so Schritt für Schritt und ein Schritt ergibt sich so aus dem Nächsten. Also so war das bei mir. Ich habe das nie von Anfang an geplant, ich will mal da und dahin.

Sondern ich hatte immer nur so ein kleines Ziel vor Augen und dachte, okay, jetzt mal diesen Workshop organisieren und dann gucken wir mal weiter. Und dann ergeben sich auf dem Weg ja immer Dinge, wo man merkt, hier kann ich noch ansetzen oder hier kann ich noch was machen. Und manchmal muss man auch Glück haben.

Also ehrlich gesagt, für uns zum Beispiel war es schon vom Timing her ein Glück, dass dann 2017 Kristina Hänel ins Spiel kam, die Ärztin aus Gießen, die dann ja eben auch angezeigt wurde, weil sie Informationen auf ihrer Webseite veröffentlicht hat und dann ganz viel in den Medien also auch dazu berichtet wurde, zum Schwangerschaftsabbruch generell. Und da haben wir auch plötzlich dann sehr viel Interesse von Medien bekommen mit den Workshops. Und das hat uns natürlich dann total geholfen, auch dass wir mehr gehört wurden, also auch bei unserer Uni.

Und solche Sachen spielen einem halt manchmal natürlich auch mit rein. Aber ja, Netzwerke sind wichtig und letztendlich ist es schon auch, also für uns war es hilfreich, medial auch präsent zu sein, weil das einem irgendwie so ein bisschen mehr Macht gibt. Also gerade wenn du sagst, irgendwie viele Dinge müssen sich politisch jetzt einfach ändern, gehört halt einfach Öffentlichkeit dazu und Druck von der Öffentlichkeit, Bewusstsein, was vorher erstmal da sein muss, was irgendwie falsch läuft, was man ändern kann.

Deswegen wollen wir unter anderem das Format auch so ein bisschen machen, um zu zeigen, wie kann es in anderen Ländern laufen oder was müsste sich konkret ändern und sich nicht nur zu beschweren, irgendwie „das und das ist schlecht“, sondern es gibt halt ganz klare Forderungen und ganz klare Dinge, die man irgendwie verbessern könnte. Aber ich glaube auch, erst wenn da Bewusstsein von der Öffentlichkeit da ist dafür und dafür ist halt einfach so Talkshows wie bei Lanz oder letztendlich der ganze Prozess um Kristina Hänel, der ja medial riesig präsent war, ja, total wichtig. Ja, aber es ist auch, alles im Kleinen ist total wichtig.

Also ich glaube, wenn man wirklich nur eine Veranstaltung für Kommiliton:innen veranstaltet, ohne dass es jetzt super in den Medien präsent ist, bringt es auch schon richtig viel, weil man einzelne Studierende erreicht, die vielleicht vorher zu dem Thema keine Meinung hatten oder vielleicht so eine skeptische Meinung hatten und die man zum Teil, also gerade die, die jetzt nicht super schon ewig lang dagegen sind und irgendwie auf jeden Fall Abtreibungsgegner sind, wenn die so eine, ja, so ein bisschen uninformierte Grundhaltung haben, dann kann man da echt viel erreichen, wenn man so ein bisschen Informationen verbreitet und so ein paar Abtreibungsmythen aufräumt und kann dann wirklich Leute hinter sich bringen. Das geht dann manchmal ganz schnell und das bringt ja auch schon total viel. Also vielleicht ist es dann jemand, die dadurch auf das Thema aufmerksam wird und später dann Gynäkologin wird und sich daran erinnert und sagt, ah ja, ich setze mich aber jetzt hier dafür ein.

Pia: Das ist ja total cool. Ja, auf jeden Fall. Hättest du noch die eine Sache, wo du sagst, das können wir schaffen, damit mehr Gynäkolog:innen zu Feminist:innen werden?

Alicia: Ja, ich glaube, das ist auch ein langer Prozess, weil das ist jetzt einfach schon so lange, das Fach so lange patriarchal geprägt war. Aber ich glaube, also zum einen wird die Gesellschaft gerade insgesamt eher feministischer. Also natürlich gibt es auch Pushbacks, aber so insgesamt glaube ich, dass Patient:innen das auch immer mehr einfordern, dass ihre Ärzt:innen bestimmte Einstellungen haben und dass sich dadurch vielleicht auch was ändern wird. Und zum anderen wird die Gynäkologie weiblicher.

Also wir haben jetzt schon zwei Drittel Frauen in der Gynäkologie, wobei die Führungspositionen ja leider immer noch überwiegend männlich besetzt sind. Und das muss sich eben auch noch ändern, dass auch Führungspositionen mehr weiblich besetzt sind, wobei das auch nicht direkt heißt, nur weil ich eine Frau in einer Führungsposition habe, vertritt die dann feministische Interessen. Das stimmt natürlich nicht.

Aber vielleicht, ja, denke ich schon, dass wenn viele Frauen in Führungspositionen sind, dass die vielleicht doch nochmal einen anderen Blick auf diese Frauenthemen haben, als wenn es immer nur Männer sind. Und das Problem ist ja auch, das sind ja häufig so Männerbünde, also oft fördern dann Männer Männer und dagegen muss man irgendwie auch so Frauennetzwerke und Frauenermächtigungen glaube ich erreichen. Und wichtig, denke ich, ist eben das Medizinstudium, diese ganzen Politgruppen, die da eben schon so viel Aufklärungsarbeit leisten und schon bei jungen Leuten ansetzen, dass sich dann hoffentlich so über die Generation hinweg was ändern kann.

Also ich weiß zum Beispiel aus England, da war auch die Fachgesellschaft für Gynäkologie vor ein paar Jahren noch total konservativ und so ähnlich wie in Deutschland jetzt, also dass die auch so vorurteilsbelastet und nicht evidenzbasiert zu diesem Thema agiert haben. Und mittlerweile ist das komplett anders, weil die tatsächlich so einen Generationenwechsel da hatten. Also die Positionen wurden einfach neu besetzt mit Leuten, die anders gedacht haben und jetzt sind die total das Vorbild für uns.

Und das denke ich auch, dass das vielleicht in Deutschland passieren könnte. 

Pia: Ja, voll gut, sowas auch zu sehen als Vorbild, ja. Zur letzten Frage würde ich noch einmal gerne vielleicht so ein bisschen, wenn du sagst, du hast so ein Statement dazu, was wir jetzt heute schon ein bisschen angesprochen haben, aber was das vielleicht so ein bisschen zusammenfassen könnte, was so deine Zukunftsvision für das Thema Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist, wenn du dir jetzt aussuchen könntest, also komplett utopisch, aber trotzdem deine Vision, wie das anders geregelt werden könnte in Zukunft.

Alicia: Ja, also Schwangerschaftsabbrüche wären außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt, in Bereichen, wo sonst auch medizinische Eingriffe geregelt werden. Es gäbe keine Pflichtberatung, keine Pflichtwartezeit. Die Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche würden von den Krankenkassen übernommen werden.

Ich könnte einfach zu meiner niedergelassenen Gynäkologin gehen und es wäre klar, dass sie mich nicht wegschickt, sondern wie bei allen anderen Eingriffen auch mich auch bei dieser Frage kompetent behandeln kann. Wir würden darüber sprechen, wie über andere normale medizinische Eingriffe und es wäre eine gleichwertige Option, quasi entweder die Schwangerschaft fortzuführen oder sie abzubrechen. Und es wäre auch, das Thema wäre eingebettet, vielleicht auch rechtlich, auch in einem größeren Komplex, wo nicht nur der Schwangerschaftsabbruch steht, sondern wo man das Thema auch weiter denkt, eher so im Sinne der reproduktiven Gerechtigkeit, wo also die Frage oder die Selbstbestimmung, keine Kinder zu bekommen, aber auch Kinder zu bekommen und auch Eltern zu werden und unter gerechten Bedingungen eben Kinder aufziehen zu können, wo das gemeinsam geregelt wird, weil das sind noch viele, viele Fragen mehr, die aber auch alle irgendwie miteinander zu tun haben.

Und genau, dass nicht immer nur so isoliert der Schwangerschaftsabbruch betrachtet wird. 

Pia: Ja, ziemlich konkret, ziemlich einfach hört sich das eigentlich an, so schaffen wir das auch vielleicht.

Alicia: (lacht) Ist auch einfach, es gibt ganz klare Empfehlungen dazu, ich verstehe auch gar nicht, was das Problem ist. Jetzt haben wir da eine Kommission zu, die eine außerstrafrechtliche Regelung prüft. Eigentlich ist es doch völlig klar, wir haben dazu UN-frauenrechtliche Empfehlungen, wir haben die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, wir haben viel Evidenz zu dem Thema. Also eigentlich ganz einfach, aber wir haben halt leider auch viele Hürden und andere Interessen, gegen die wir uns da anscheinend durchsetzen müssen.

Pia: Also let's do it. Wir packen euch auf die Webseite oder auch in die Shownotes noch so ein paar Infos, wenn ihr da nochmal detaillierter reinlesen wollt. Zum Beispiel die Forderung der WHO, einfach, dass ihr nochmal ein bisschen Fakten gefüttert kriegt und genau.

Dann vielen Dank dir für den Input und bis ganz bald. 

Alicia: Ja, vielen Dank. 


Pia: Das war Heilewelt, der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin.

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In diesem Sinne bleibt gesund, neugierig und optimistisch. Bis ganz bald.