Wieso ist das Jungfernhäutchen ein reiner Mythos, Oliwia Hälterlein?
In dieser Folge von Heilewelt geht es um die Aufklärung des Mythos Jungfernhäutchens und ein besseres Verständnis der Anatomie von Vulva und Vagina. Madeleine Sittner spricht mit Oliwia Hälterlein, Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin, die sich dafür einsetzt, dass alle Menschen ihre Körperteile kennen, benennen und verstehen können. Mit ihrem Buch “Das breitbeinige Heft” und ihren Workshops räumt sie mit falschem Wissen auf und kämpft für eine Entstigmatisierung des Themas. Wir erfahren, wie dieser Mythos unsere Sexualität immer noch beeinflusst und warum es so wichtig ist, über den Körper offen und ehrlich zu sprechen.
Madeleine: Willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Madeleine, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern das bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie so brennen.
Stellt euch heute mal eine Welt vor, in der alle Menschen alle ihre Körperteile benennen können, in der es kein Falschwissen mehr gibt über die Anatomie von Vulva und Vagina und vor allem in der keine Person mehr glaubt, an einem kleinen Häutchen ablesen zu können, ob eine Person schon mal Sex hatte oder eben nicht. Für diese Vision setzt sich Oliwia Hälterlein ein. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin.
2020 hat sie 'Das breitbeinige Heft: das Jungfernhäutchen gibt es nicht' veröffentlicht. Darin klärt sie über die anatomische Realität von Vulva und Vagina auf und gegen den Mythos Jungfernhäutchen. Mit Workshops, Vorträgen und auch mit Theaterstücken macht sie sich für die Entstigmatisierung des Themas stark.
Wir klären in diesem Podcast, was dieses ‚Jungfernhäutchen‘ denn wirklich ist, wenn es kein Häutchen ist und wie dieser Mythos die Sexualität aller Geschlechter verändert.
Hi liebe Oliwia, ich freue mich total, dass du heute in unserem Podcast mit dabei bist und dass wir heute hier so zusammenfinden. Hallo nach Freiburg.
Oliwia: Hi, hallo, voll schön, vielen Dank für die Einladung, ich freue mich sehr.
Madeleine: Superschön. Sag mal, wie war denn dein Tag bisher?
Oliwia: Mein Tag bisher war vor allem sehr heiß. (Madeleine: Ohh, ja..)
Ja, sehr heiß und auch ein bisschen anstrengend, ein bisschen körperlich anstrengend und ich habe mich tatsächlich auch noch ein bisschen vorbereitet auf das Gespräch. Also ich war auch ein bisschen nervös.
Madeleine: Ui (Iacht), ich glaube eigentlich gibt es dafür gar keinen Grund. Ich hoffe, die Nervosität verfliegt ganz schnell. Also mich würde wirklich brennend interessieren von all den kritischen Themen, die es so gibt und auch feministischen Themen. Wie ist 'Mythos Jungfernhäutchen' zu deinem Thema geworden? Was steckt da dahinter? Warum gerade das?
Oliwia: Das ist eine sehr gute Frage, weil der Mythos ist nämlich völlig zufällig zu mir gekommen.
Also ich bin gar nicht über eigenes Interesse darauf gestoßen. Also ich wurde auch angefragt von dem Verlag, ob ich darüber was schreiben möchte und ich habe mich mit ganz anderen - also was heißt ganz anderen- aber ich hab mich mit Sachen beschäftigt, wo ich jetzt sagen würde, sind in einer queer-feministischen Bubble viel interessanter, wenn ich das mal so ausdrücke. Also Sachen, wo es um Pornografie geht, um irgendwie so eigene Sexualitäten erleben und dieses Thema 'Mythos Jungfernhäutchen' ist ja erstmal, wenn wir in so Schubladen denken, das ist ja auch ein Thema, was vor allem so Coming-of-Age-Themen sind.
Also so auch alles rund um das erste Mal, also vor allem für sehr junge Menschen, erster Aufklärungsunterricht in der Schule, Sexualbildung in der Schule. Also eigentlich Sachen, wo Menschen ab 30, also jetzt in so einer aufgeklärten, feministischen Bubble sagen würden, "Ach, da sind wir schon lang drüber, das interessiert uns nicht. Wir interessieren uns für ganz andere Sachen, irgendwie so kinky, BDSM-Sachen." Und dann aber, als ich angefangen habe, mich mit diesem Thema zu beschäftigen und genau diese Leute eben darauf angesprochen habe, habe ich gemerkt, dass die alle überhaupt keine Ahnung haben. (Madeleine: Ja..) Und das ist spannend. Also auch so zu sehen, wie wir sozialisiert wurden und welche Themen einfach so mitschwingen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, also wie stark die uns auch beeinflussen in unserem jetzigen Denken über Körper und Sexualitäten. Aber halt eben nicht so, ja, irgendwie nicht so modern sind, darüber zu sprechen.
Madeleine: Ja, selbst in dieser Bubble, ne? Also von den vielen Themen, aber so die Basic-Sachen, sage ich mal, sind vielleicht dann doch noch gar nicht so klar. Und also gestern haben wir im Team auch so ein bisschen, sind wir ins Gespräch gekommen, das war total spannend, weil wir auch nochmal drüber gesprochen haben, wie uns dieser Mythos von einem Jungfernhäutchen in unserer Jugend eigentlich so geprägt hat.
Und jetzt haben viele von uns auch Medizin studiert oder haben irgendeinen Gesundheitsberuf gelernt. Und, also ich muss für mich persönlich sagen, wie glaube ich jeder andere Jugendliche auch, hat es mich total gestresst in meiner Jugend, dass es da so ein Häutchen geben soll zwischen innen und außen und was - was alles passieren kann. Und der Moment, an dem das entkräftet wurde, war nicht etwa Anatomie-Vorlesungen im zweiten Semester, sondern tatsächlich dein Vortrag, den ich mir angehört habe, irgendwann 2021 online.
Also es ist gar nicht, natürlich gab es nie eine Vorlesung, die gesagt hat "Es gibt ein Jungfernhäutchen", aber es hat auch nie jemand gesagt, „das gibt es nicht“. Und die Sozialisation, die wir alle erfahren haben, egal welches Geschlecht, die steckt ja irgendwie so tief drin. Ich glaube, das ist total notwendig, dass mal jemand sagt "Das ist so nicht." Wie war das bei dir? Erinnerst du dich noch, wie für dich früher, bevor du dich damit auseinandergesetzt hast, was für dich dieser Mythos bedeutet hat?
Oliwia: Ja, also vor allem erinnere ich mich daran, dass es eine Zeit gab, in der die Themen nur darum so kreisten "Hast du geblutet, hat es bei dir wehgetan?". Also dass es auch so ein sich gegenseitig aufschaukeln war zu diesen Themen. "Also ist das erste Mal schon hinter dir und war‘s bei dir auch so schlimm oder war es nicht?". Ich habe auch so gemerkt, dass es auch so Gespräche gab, wo ich mir im Nachhinein so denke, ich habe auch vieles einfach so behauptet, weil ich so dachte, es muss so sein, weil ich das so gelesen habe, weil ich das in Filmen gesehen habe und es einfach so reproduziert habe. "Ja klar, ich habe auch geblutet, ja, ja, ich hatte auch Schmerzen" (lacht), weil es eher so, in der bestimmten Peergroup war es halt, in meiner, war es halt einfach so, das hat dann dazugehört. Vielleicht, wenn ich mit anderen Leuten befreundet gewesen wäre, dann wäre es vielleicht ein anderes Thema gewesen.
Also das finde ich spannend, dass es einfach immer so mitgeschwungen ist und dass es gar nicht zur Debatte stand, ob es das gibt oder nicht. Also das war eher das Spannende, also es war einfach da und ich würde auch voll gerne vielleicht ein bisschen auf das eingehen, was du gesagt hast, dass du das bei mir das erste Mal gehört hast. Also einerseits ist es natürlich sehr schön, es freut mich, dass du bei mir warst und da was gelernt hast.
Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen so - du bist da leider nicht die Einzige und damit meine ich nicht so etwas, wie dass nur ich das weiß, sondern damit meine ich, dass das eher zeigt, dass es kein individuelles Verschulden ist, wenn man es nicht weiß, sondern dass es so ganz krasse strukturelle Wurzeln und Begründungen hat, warum wir erst, obwohl wir uns vielleicht sogar mit Körper im Studium beschäftigen oder danach, warum wir selbst dann erst zu einer feministischen Veranstaltung gehen müssen, um sowas zu lernen. Und gleichzeitig ist ja auch spannend, weil als ich dann angefangen habe, da so einzutauchen in dieses Thema und mich damit zu beschäftigen und diesen Essay darüber zu schreiben und erst mal so gemerkt habe, wie viel von diesen ganzen Narrativen, wo ich gar nicht auch verstanden habe, was alles an diesem Jungfernhäutchen mit dran hängt. Also musst du dir auch vorstellen, am Anfang war dieser Essay, der war ja auch vier, fünf Mal so lang.
Also es war auch wirklich ein Kampf, den so runter zu kürzen, weil der Verlag das so wollte, aber ich hätte ohne Probleme, hätte ich damals einen Buchvertrag gehabt, einfach irgendwie so hunderte Seiten darüber schreiben können. Weil auf einmal hing alles mit dran, so wie ich über Körper spreche, wie ich über Lust spreche, wie ich irgendwie über Reproduktion spreche, wie ich über Schmerzen spreche beim Sex. Also dieses ganze Narrativ, von ‚wem wird Sex zugesprochen, wem wird es abgesprochen‘, diese ganzen moralischen Sachen, das ganze Slut-Shaming. Also ich könnte so eine Stunde nur so Keywords runter predigen, weil das alles da mit dran hängt und ich erst so verstanden habe, ah okay, das hat damit auch was zu tun. Und wie gesagt, ich war auch über 30, als ich das das erste Mal erfahren habe und eigentlich ist es eher so, dass wenn Leute zu mir sagen, "Ja, ich weiß das", dann ist es eher so "Oh krass, woher weißt du das?" Ja, total. Weil die meisten Menschen, egal wie alt sie sind, ob es jetzt die Generation meiner Mutter ist, ich habe zum Beispiel dann noch angefangen, mit meiner Mutter darüber zu sprechen, meine Mutter klärt jetzt ihre Arbeitskolleg:innen darüber auf, dass es das nicht gibt. (beide lachen)
Madeleine: Wow, was für eine Errungenschaft auch. Und so viel zum Thema, das betrifft irgendwie nur die Jugend.
Oliwia: Nee, überhaupt nicht. Und worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist dass, als ich dann angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, habe ich gemerkt, wie voraussetzungsvoll es ist, an Informationen zu kommen - weil das meinte ich mit dem, ich bin ja natürlich nicht die erste Person, die sich damit beschäftigt und es gab schon einige Menschen, die sich davor damit beschäftigt haben, also jetzt nicht nur Aktivist:innen, aber auch Mediziner:innen, aber das ist halt einfach nicht zugänglich und im Mainstream. Und das ist was, was mich auf so einer zweiten Ebene noch so, ich würde mal sagen, fasziniert hat, um ehrlich zu sein, also wo ich auch verstanden habe, wie so patriarchale Strukturen funktionieren. Welche Themen bekommen eine Aufmerksamkeit, was wird als Fakt angenommen, was wird auch als OBJEKTIVE Wahrheit bezeichnet und was eben nicht. Und das war dann ein spannender Moment auch, wo ich dann auch eben in so kritische Wissenschaftsforschung eingetaucht bin, weil einfach so viel mit dranhängt an diesem Thema.
Also wenn jemand zuhört und Lust hat, eine Dissertation darüber zu schreiben, ich habe so viele Unterlagen, bitte einfach melden und unbedingt machen.
Madeleine: Ja, man merkt total deine Begeisterung für dieses Thema, die ist dir nicht abzusprechen und du sagst schon richtig, ich stimme dir total zu, es hängt so viel dran und ja, es hängt alles irgendwie zusammen. Aber vielleicht gehen wir nochmal so ganz, ganz basic rein.
Also kannst du uns nochmal erklären, wo ist der Unterschied zwischen dem, was man jetzt medizinisch weiß, von dem medizinischen Verständnis über das ‚Hymen‘ oder ‚Hymenalsaum‘, ich fange auch schon mal an, ein anderes Wort zu verwenden, und dem kulturellen Verständnis oder dem, was in der Gesellschaft so rumgeistert?
Oliwia: Also die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Also ich glaube, das werde ich sehr oft sagen (lacht), weil es leider nicht so einfach mit Ja/Nein und Schwarz/Weiß zu beantworten ist, wenn es um dieses Thema geht. Es ist erst mal wichtig, vorab zu sagen, dass es sehr komplex ist. Und warum ist diese Frage nicht einfach zu beantworten? Weil du ja schon in der Frage sowas drin hast wie, was ist so die medizinische Bezeichnung, also was drückt das aus? Versus so 'kulturfetisch', wie ich es nenne, also was wir damit machen. Und das Problem ist, dass die medizinischen Sachen, die ich mir angeschaut habe, die auch nicht alle übereinstimmen. Das heißt, ich habe nicht eine Definition von einem Satz, sondern ich habe unterschiedliche Informationen, die irreführend sind.
Also grundsätzlich, was mir begegnet ist, also Hymen ist auch ein anderer Begriff für Membran oder Haut, kommt aber auch aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive, kommt aber auch aus der Antike und ist eine Ableitung von Hymenaios, von dem Hochzeitsgott. Das heißt, es wurde auch schon aufgeladen zu diesem Narrativ von Hochzeitsnacht. Darüber können wir auch gleich sprechen.
Madeleine: Woow, okay, das wusste ich nicht.
Oliwia: Und genau, Hymen ist dann meistens in den medizinischen Fachbüchern oder in den Artikeln beschrieben und oft dann in Klammern, aber '= Jungfernhäutchen'. Das heißt, dieser Begriff wird auch genutzt und dann wird oft beschrieben, dass es da eben dieses Hymen gibt und dass das, wenn wir Glück haben, steht dran, 'in variabler Ausprägung vor oder hinter dem Vaginaleingang zu finden ist'. Und dann gibt es auch immer den Satz, dass es meist eine kleine Öffnung hat. Und dann gibt es immer noch den Satz ‚vor der Defloration‘. Und Defloration ist ein sehr alter Begriff für Entjungferung.
Es ist so eine sehr blumige Ausdrucksweise im wahrsten Sinne des Wortes, weil es heißt der Blume - genau, die Blume pflücken, (Madeleine: oh gott..) das ist ein sehr veralteter Begriff für eben Frauen, die entjungfert werden, dass sie dann verwelken und nicht mehr eine schöne junge Blüte sind. Und das allein finde ich eben schon schwierig, all diese Begriffe in einem medizinischen Kontext.
Es ist irgendwie eine Haut, es ist irgendwie vor oder irgendwo am Vaginaleingang oder Ausgang und es gibt ein ‚vor der Entjungferung‘. Genau, manchmal steht eben noch dabei, dass es irgendwie für Krankheitserregung schützen kann. Und dann gibt es tatsächlich auch noch so Informationen, wie dass es einreißen kann, auch schon vorher, vor der Defloration, beim Sport oder so, und dass es zu einer Blutung kommen kann, beim Einreißen.
Also das sind alles so Mixed Information, die man da bekommt. Und jetzt würde ich auch gerne auf den zweiten Teil deiner Frage antworten. Das, was wir in unserer Gesellschaft, was verbreitet ist, wenn wir über das Hymen sprechen, dann sprechen wir über das Jungfernhäutchen.
Und wie man ja irgendwie schon hört im Begriff, ist es was, was behauptet, dass es ein Häutchen ist, was nur Jungfrauen haben. Also da steckt auch ein vor der Defloration drin, also zu sagen, solange die Person noch ‚jungfräulich‘ ist und damit meinen wir wieder, also das meine ich mit Kulturfetisch auch, wir sprechen hier natürlich über Heteronormativität, wenn wir über Sexualität sprechen, also wir reduzieren es auf den Akt zwischen Penis und Vagina. Dass die Vagina penetriert wird, von dem Penis und dadurch geöffnet wird.
Also diese ganzen Bilder sind da, sie ist irgendwie wie verschlossen, sie ist sehr eng. Dann kommt dieser lebendige, magische Penis und öffnet diese Vagina. Dadurch wird die Jungfrau zur Frau.
Es gibt kein Zurück mehr, es ist irreversibel. Und im Narrativ ist es auch noch so, dass es mit Schmerzen einhergeht, weil ja dieses Häutchen sehr fest ist. Ich habe auch Sachen gelesen, dass es irgendwie ploppt oder so.
Und dann eben diese Blutung, diese Blutung durch diese Verletzung, durch diese Öffnung. Ja, und das wird uns sozusagen, also damit wachsen wir auf, ja mit diesem Narrativ. Und jetzt ist es für mich so ein bisschen, warum ist es für mich so schwierig, diese Frage so zu beantworten, weil wenn ich Workshops gebe für KritMedis, also für kritische Mediziner:innen, zum Beispiel oder für Hebammen, dann spreche ich ganz oft mit denen darüber, „Warum ist es eigentlich in der Medizin wichtig, darüber zu sprechen?“ Also über diese, wie ich es nenne, vaginale Schleimhautfalten, weil die haben keine nachgewiesene Funktion. Also sprich, warum in der Medizin, vielleicht kann sie irgendwie benennen, aber selbst in der Medizin, finde ich, die Informationen, die ich bekomme, sind sehr irreführend und gehen eher auf so ein moralisches Verständnis von Sexualität ein, also auch auf sowas wie ‚eine Jungfräulichkeit‘, ‚ein vor dem Sex oder nach dem Sex‘ und auch irgendwie so irreführend, man könnte dem was ansehen, also der Vagina ansehen, ob sie schon mal Sex hat oder nicht. Und da kommen wir natürlich auch in ganz gefährliche Gefilde, weil so wird halt eben auch dieser Kulturfetisch genutzt.
Das ist auch immer so diese Frage von, wer hat was, wenn wir über das Jungfernhäutchen sprechen? Wer hat was, wenn wir an diesen Mythos glauben? Also nicht die Person mit Vagina, sondern wahrscheinlich eine Person, die keine Vagina hat und die aber behauptet, dass man eben der Vagina das ansehen kann, ob sie schon mal Sex hatte oder nicht. Und dann befinden wir uns ja schon mal in einem ganz anderen Themenspektrum. Warum sollte überhaupt jemand einer Vagina ansehen, ob sie Sex hatte oder nicht? Wen geht das was an? Was spielt das für eine medizinische Rolle? Fragezeichen.
Madeleine: Und jetzt lass es uns doch einmal nochmal korrekt ausdrücken. Also wir wissen jetzt über ganz viele Dinge, die quasi nicht so sind. Lass uns einmal nochmal zusammen auf diesen Status Quo kommen.
Wie nennst du das, was andere Menschen ‚Jungfernhäutchen‘ nennen und warum? Also am liebsten würde ich es gar nicht nennen. (Madeleine lacht: Jaa, das glaube ich! Warum auch?)
Ja, genau, weil warum auch? Ich nenne es vaginale Schleimhautfalten und ich nenne es deshalb so, weil die Vagina, also dazu muss man ein bisschen was über Anatomie der Vagina und der Vulva wissen, weil die Vagina ausgekleidet ist mit Schleimhäuten. Und die Vagina ist deswegen ausgekleidet mit Schleimhäuten, weil es ein Muskelschlauch ist, weil sie sich extrem dehnen kann und damit sie eben nicht einreißt. Und manchmal, ich sage jetzt extra manchmal, weil JEDE Vagina, jede Vulva ist komplett unterschiedlich. Und ich finde, dass sehr viele Begriffe eine Normierung aufmachen und wir dann auch wieder uns ganz schwer tun von „ist das normal, ist das schön, ist das gesund?“ Und bei manchen, sozusagen Vulven, bei der Vaginalöffnung kann man diese Schleimhäute sehen und die sind unterschiedlich ausgeprägt. So manchmal sieht es aus wie eine Umrundung, manchmal sehen die aus wie so kleine Fetzen.
Manchmal haben die nur unten so was sichelförmiges, dickeres. Manchmal sieht man gar nichts. Manchmal hängt da wie so eine Zunge raus.
Wir haben dazu auch mal ein Fotoshooting gemacht und das war sehr, sehr spannend, mal sich Bilder anzuschauen von vaginalen Schleimhäuten am Eingang der Vagina, also an der vaginalen Öffnung.
Madeleine: Wow, total interessant.
Oliwia: Ja, es gibt nämlich viel zu wenig Material dazu tatsächlich.
Madeleine: Ich habe auch versucht zu recherchieren, nochmal zu ordentlichen Bildern. Aber es ist, ja, es ist frustran. Richtig gut, dass du die Möglichkeit hattest.
Oliwia: Ja, wir haben das mal im Rahmen von einem Workshop gemacht. Wir haben Theorie gemacht und dann haben wir Praxis gemacht. Und die Aufgabe war, „Suche deine eigenen vaginalen Schleimhäute“. Und dann haben wir die eben gesucht. Und dann war irgendwie so die Gruppe. Es war einfach so toll, dass wir uns die gegenseitig gezeigt haben. Und dann haben wir erst mal festgestellt, wie absurd eigentlich diese Annahme sein muss, dass jemand von außen meiner Vagina ansieht, ob ich ein 500 oder 5000 Mal irgendwie Penisbesuch hatte oder nicht, weil wirklich jede Öffnung UNTERSCHIEDLICHST aussah. Und genau deswegen sage ich einfach nur vaginale Schleimhautfalten dazu, auch um sie eben dieser Funktion zu entbinden. Und es sind Schleimhäute wie im Mundinnenraum, fertig.
Und genau, und das gibt es. Und weil wir ja natürlich auch hier einen Bildungsanspruch haben, ich vor allem, weil ich finde, wenn wir schon darüber sprechen sollten, wir über eine Sache sprechen, die enorm wichtig ist und die meiner Meinung nach eigentlich wirklich fast überhaupt nie in dem Kontext genannt wird. Ist nämlich, dass es tatsächlich Verwachsungen geben kann von diesen vaginalen Schleimhäuten.
Und ganz wichtig, dass ist nicht zu verwechseln mit einem ‚Jungfernhäutchen‘. Also das ist sozusagen etwas, was ganz, ganz selten vorkommt. Es gibt unterschiedliche Studien dazu und wirklich Zahlen, die so eine Person von 3000 oder so aufweist.
Und das bedeutet, dass diese vaginalen Schleimhäute sich eben nicht während der Pubertät öffnen. Oft ist es ja, hat es auch etwas mit dem Hormon zu tun, mit dem Östrogen zu tun, dass es weicher wird, dass es sich öffnet, flexibler wird, sondern dass es eben permanent Verwachsungen gibt. Manchmal einfach nur so ein Strang, manchmal mehrere Stränge, manchmal sieht es aus wie so ein Sieb. Wie gesagt, gibt es auch unterschiedliche Formierungen, weil die Menschen ja unterschiedlich sind. Und zum Beispiel, weil wir darüber nicht sprechen, dass es das gibt und dass, wenn man so eine Verwachsung hat, dass man die ganz schnell und ganz einfach öffnen kann und bitte auch öffnen sollte, um eben auch Schmerzen zu umgehen. Wenn ich zum Beispiel einen Tampon, einen Menstruationscup einführen möchte oder wenn ich irgendeine Art von Penetrationssex haben möchte, damit ich das nicht verwechsle mit, „ah ja, ich habe doch da mal was gehört, das ist ein Jungfernhäutchen, ich muss da durch, das muss jetzt irgendwie durchstochen werden, das muss bluten, das muss aufreißen“.
Ich meine, das ist eine Horror-Story, ja (Madeleine: total), ganz ehrlich. Und ich finde, wenn wir darüber sprechen würden, wenn wir sagen würden, es kann diese Verwachsungen geben und deswegen ist es voll wichtig, auch gynäkologisch sich untersuchen zu lassen, deswegen ist es auch voll wichtig, vielleicht Menschen dazu zu empowern und sie dazu einzuladen, sich auch selbst anzuschauen. Ja, das ist eine Sache, die mir zum Beispiel noch nie in meinem Leben irgendjemand angeboten hat, dass ich mir meine Vulva doch einfach mal selber anschauen kann und die nicht immer in fremde Hände begeben muss, mich dafür.
Genau, dann würde ich ja sowas feststellen, aber da die meisten Leute das eben gar nicht wissen, wird das wieder in dieses Narrativ, so, „ah ja, das ist ja dieses Jungfernhäutchen“ und –
Madeleine: Das muss so sein...
Oliwia: Genau, genau. Und es ist sehr wichtig, da halt zu differenzieren, dass man das nicht verwechseln darf.
Und tatsächlich auch da bin ich sehr dankbar, dass die letzten drei Jahre so viele Menschen auch auf mich zugekommen sind und zum Beispiel über ihre Verwachsungen gesprochen haben und genau das, was ich jetzt erzählt habe, auch erlebt haben. Und es auch so Geschichten gibt, wie Tampon konnte eingeführt werden, konnte nicht mehr rausgeholt werden. Und dann irgendwie musste die Person in die Notaufnahme und dann musste das, dieses Häutchen aufgeschnitten werden, was wirklich, also was mir berichtet wurde, ich habe das selber nicht erlebt, aber irgendwie, man bekommt eine Spritze, man spürt nichts, das ist in einer Sekunde vorbei.
Und ich denke mir, das ist eine ganz andere Geschichte, als ich zu denken, „ich muss jetzt irgendwie so gewaltvoll meinen Körper aufreißen, weil das zum Sex dazu gehört“.
Madeleine: Ja, was ja, also das sind ja ganz andere Settings auch, ne? Also das eine ist irgendwie ein medizinischer, kurzer, kleiner Eingriff, der nötig wird bei, in einem SELTENEN Fall, wie du schon richtig gesagt hast, versus irgendwie erste Liebesbeziehung oder auch Nicht-Liebesbeziehung im Jugendalter oder wann auch immer.
Oliwia: Ich wollte nur eine Sache noch hinzufügen, weil in dem Moment, wo ich natürlich rausgehe und so gegen den Mythos wettere, ist es ja so viel komplexer Körper und Empfindungen rund um Körper. Und mir ist es einfach so wichtig, noch mal zu betonen, dass es selbstverständlicher sein kann, dass Menschen, sagen wir jetzt auch beim ersten Mal oder auch später, einfach Schmerzen beim Sex haben oder Blutungen beim Sex haben. Und das ist auch eine Sache, über die wir einfach viel zu wenig sprechen, dass das einfach, was ist, was nichts mit diesem angeblichen Jungfernhäutchen zu tun hat, sondern einfach Verspannungen. Ich will jetzt nicht so was sagen wie, „Oh, es hat was mit der Psyche zu tun, ich konnte mich nicht lösen“.
Aber natürlich, Stress und Druck und Beckenboden und Nerven, alles gehört zusammen. Aber manchmal ist es auch simpler. Manchmal ist es irgendwie, es fehlt die Feuchtigkeit.
Durch die Reibung entsteht irgendwie, die Haut wird porös und sie reißt auf und sie blutet. Ich denke mir so, wenn ich im Sexualaufklärungsunterricht, wenn man mir gesagt hätte, „hey, du kannst Gleitgel benutzen“. Und alles ist so viel leichter und es ist so simpel.
Aber stattdessen bekommen wir eben dieses Narrativ von, „Nee, es ist eh erstmal normal, wenn du eine Person bist mit Vulva und Vagina, ist es eh erstmal normal, dass du Schmerzen haben wirst“. Und ich finde, das ist eine Sache, die so viel über unsere Gesellschaft aussagt. Und dann eben nicht darüber informiert, dass wenn was weh tut, dass das eher ein Signal ist, um eben zum Beispiel mich dann in so ein medizinisches Setting, wie du das so schön gesagt hast, zu begeben und zu sagen, „Hey, vielleicht stimmt bei mir was nicht, weil ich habe Schmerzen“.
Und das ist für mich ein ganz anderer Umgang mit meinem Körper, um zu sagen, ich lerne auch irgendwie Nein zu sagen oder ich lerne auch auf meinen Körper zu hören oder auch selbst zu entscheiden, wann Sex für mich gut ist oder nicht.
Madeleine: Und das betrifft ja nicht nur die ersten Male, wenn man… (Oliwia: Absolut.) Also wenn irgendwie so Schmerz normalisiert wird oder dass man irgendwie, irgendwo durch muss, bis es vielleicht irgendwann mal schön wird.
Also ich glaube, das zieht sich wirklich durch und so richtig ernst genommen wird es vielleicht nicht immer, wenn man das erzählt. Ja, kannst du nochmal zusammenfassen? Wir haben schon total über mega viel gesprochen, aber was glaubst du so im Großen und Ganzen, was macht es mit uns als Gesellschaft, wie wir über Sex und Sexualität denken, wenn dieser Mythos weiterhin besteht?
Oliwia: Also zuerst mal gibt es ein Ungleichgewicht. Also es gibt, na ja zuerst einmal ist es so, dass wir sowieso total vereinfacht und binär sprechen.
Also ich finde, das ist auch schon mal so eine Sache, wenn wir über Körper sprechen, so wem sprechen wir Sexualität zu und wem sprechen wir sie ab? Also wir sagen ja so dieses Skript ist ganz einfach. Die Person mit Vulva und Vagina ist eine Frau, Mädchen eine Frau und die Person mit Penis ist ein Mann und die beiden haben Sex. Also dadurch passiert schon ganz viel Diskriminierung und auch ganz viel einfach auch transfeindliches in der Sprache und ausschließendes, wen ich überhaupt mitmeine oder mit einlade, um auch Wissen zu vermitteln.
So das ist das eine, dieses eine bestimmte Bild von Geschlechtsidentität und Sexualität. Und dann, ist eben so dieses „Ja, also die Vagina ist irgendwie verschlossen, die muss geöffnet werden“. Man spricht auch in dem Kontext, ich schaue mir ja bis heute Biologiebücher an.
Meistens ist es sogar eher so, dass mir wütende Mütter fotografieren, was ihre Kinder mit nach Hause bringen und man sich so denkt, okay Freiburg 2023, was geht da ab so? Ja steht im Biobuch, ich meine, was hat das mit/ im Biobuch zu suchen? Sowas wie, ‚Ja, in manchen Kulturkreisen wird es in der vage auch noch ausgedrückt, also wo man auch noch eine rassistische Komponente mitdenken muss. In manchen Kulturkreisen ist es dann so, dass man Jungfrau sein muss in der Hochzeitsnacht und das Jungfernhäutchen wird dafür als Beweis genutzt.
Also es gibt überall, das schwirrt die ganze Zeit um uns rum. Und mir war es total wichtig, zu zeigen, was wird denn in unseren, ich betone es extra, deutschen Schulbüchern, deutschen Anatomiebüchern eigentlich heute im Unterricht in den Aufklärungsbroschüren vermittelt. Und das ist eben einmal genau dieses Bild, dass es da eben um Schmerzen geht und eher um lustfeinliche oder ich würde auch sagen sexnegative Beschreibungen, wenn es um die Person mit Vulva und Vagina geht.
Aber ich will auch sagen, die Person mit Penis leidet auch total darunter, weil in dem Skript ist das ja auch die Person, die quasi diesen gewaltvollen, nenne ich es extra so, ich bin jetzt auch sozusagen sehr explizit in meiner Sprache, gewaltvollen Akt ausführen muss. Also ich finde, das ist für keine Person eine Win-Win-Situation, weil wir ganz klar in Stereotypen denken. Wer hat Lust auf Sex, wer hat Lust auf Masturbation, wer ist quasi anatomisch schon so irgendwie ‚natürlich‘ in Anführungszeichen hergestellt, dass Sexualität klappt.
So warum hat zum Beispiel der Penis kein Jungfernhäutchen, frage ich mich immer –
Madeleine: (lacht) Was ist SEINE Barriere, also was ist die Barriere des Penis?
Oliwia: Total, total. Oder schmirgelt der sich nicht eigentlich ab, umso mehr Sex er hat? (beide lachen) Ja, also aber daran merkt man, was wir so normalisiert haben in unseren Gesprächen über Sex und wem wir was zuschreiben und absprechen.
Und in dem Moment, wo ich mich ja darauf fokussiere, spreche ich ja zum Beispiel nicht über anatomische Gegebenheiten, also ich spreche zum Beispiel ja nicht über, wie toll eigentlich die Vagina ist, wie krass die sich dehnen kann und wieder zurückziehen kann. Und übrigens, es gibt schon sehr viele Studien dazu, also Studien, die auch mit Sexarbeiterinnen gemacht wurden, Studien, die mit Personen gemacht wurden, die vaginale Geburten hinter sich haben und die einfach zeigen, man kann an der Vagina, an den vaginalen Schleimhäuten einfach nichts ablesen. Also von dem her, genau, also in unserer Gesellschaft ist, finde ich, ist da eine Schieflage, unter der irgendwie alle Menschen leiden.
Und es zeigt aber immer noch krass, dass wir, also wenn ich jetzt ein Gedankenexperiment mache, in was für einer Gesellschaft würden wir denn leben, wenn es diesen Mythos nicht gäbe, dann würden wir wahrscheinlich viel freier und offener über Sex sprechen und über Lust. Vielleicht würden wir über die Klitoris sprechen, also über Organe, die es tatsächlich gibt. (Madeleine: Ja, stimmt.)
Aber sprechen nicht über das, was es tatsächlich gibt. Genau, also solche Sachen. Und wir hätten dann ja viel mehr Raum für andere Themen, zum Beispiel, was mache ich, wenn ich Schmerzen habe, wie achte ich auf meine Grenzen oder wie bezeichne ich überhaupt meine Vulva? Weil wir das Ganze am Anfang hatten mit den Basics. Sehr oft steht einfach nur Scheide. Also das komplette Genital wird einfach in den Büchern reduziert auf ‚die Scheide‘. Und dann gibt es nichts.
Es gibt keine Vulva, es gibt keine Vulvalysm. Es gibt keine Klitoris als kompletten Schwellkörper. Und es gibt einen ‚Schambereich‘.
Also das macht ja auch super viel mit unserer Gesellschaft. Also ein Schambereich. Ich will jetzt gar nicht sagen, dass wir alle einen Freudenbereich brauchen, weil ich finde, wir brauchen nicht immer das andere Extreme. Es kann einfach nur ein anatomisch korrekter Begriff sein, darf einfach nur eine Vulva sein, darf einfach auch nur eine Vagina sein. Irgendwas wie ein Knie (Madeleine lacht), was ich mir gerne anschaue, wo ich auch gerne irgendwie anfasse, mal überprüfe, ob da alles in Ordnung ist so, auch also außerhalb von irgendwelchen Sexkontexten und ich finde, das ist immer noch so tabuisiert und so schambehaftet durch die Sprache, dadurch dass wir entweder gar keine Begriffe haben. Und das fällt mir übrigens aber auch auf, selbst wenn ich zu zur Gyn gehe ja, dass irgendwie kein Wortschatz genutzt wird. Der, den ich gerne hätte für meinen Körper, so dass irgendwie so rumgedruckst wird oder so -.
Madeleine Selbst in so einem Setting meinst du -
Oliwia Ja, genau. Also selbst in einem Setting, wo ich das Gefühl habe, die Person beschäftigt sich doch den ganzen Tag mit irgendwie Vulva und Vagina. Und selbst da merke ich, dass es so ein irgendwie, ja. Sowas mitschwingt. Ja, genau.
Madeleine Ja total, ja. Und also was ja auch ganz spannend ist, diese Codewörter, die man eigentlich immer verwendet, also vor allem in der Kindheit mit, na ja, 'untenrum' sagt man vielleicht später aber 'Mumu' oder 'Schnecki' oder weiß nicht, was es noch alles gibt. Und ich glaube, bei vielen Menschen gibt es danach diesen Schritt nicht, diesen expliziten, nochmal ein anderes Wort zu lernen. Wie siehst du das? Glaubst du, das können wir, können wir das ändern? Glaubst du, das ändert sich auch? Vielleicht mit jetzigen Generationen schon, jüngeren Menschen?
Oliwia Ja. Also auf der einen Seite sehe ich ja natürlich, seit wie vielen Jahrzehnten schon Arbeit dazu gemacht wird, also wie viele Menschen, Aktivist:innen, dazu schon geschrieben haben, sich schon in den Gruppen getroffen haben, ausgetauscht haben und auch schon diese Wörter benutzt haben. Und gleichzeitig aber sehe ich natürlich auch, dass wir ja das Internet haben und sich auch sehr viel vervielfältigt und auch nicht mehr einfach in so eine Nische abgetan werden kann und das auch glaube ich, viel mehr in den Mainstreammedien ankommt. Also auf jeden Fall bin ich da optimistisch und denke mir so "Ja, auf jeden Fall verändert sich ganz viel". Aber ich sehe schon auch, dass es natürlich viel leichter fällt, wenn wir von Anfang an, von Kind an diese Begriffe lernen. Also ich sehe es jetzt zum Beispiel bei meinem Patenkind oder bei Kindern von Freund:innen, wo es so selbstverständlich ist, dass die Kinder 'Vulvina' sagen. Und es hat ja auch einen präventiven Charakter. Also ich glaube, das darf man nicht vergessen, weil sehr oft gibt es ja diesen Backlash von der rechten, von der konservativen Seite, dass behauptet wird, wenn wir ja auf einmal Vulva sagen, dass das total die Kinder verstören würde. Und ich finde, das ist natürlich absolut absurd. Aber es ist auch gefährlich, weil ich merke jetzt zum Beispiel bei diesen Kindern, die ihren Körper benennen können, die können zum Beispiel sagen wo Dinge wehtun, was juckt. Also die können es ganz genau benennen, die sagen nicht irgendwie zu allem 'Popo' oder 'Mumu', sondern sie sagen tatsächlich so "Ja, unter meiner Lippe" oder irgendwie so "meine Vulvina da innen drin". Also die können irgendwie so richtig auch schon so benennen, ihren eigenen Körper. Und das empfinde ich als sehr, sehr, sehr wertvoll. Und ich glaube, das darf man nicht vergessen, gerade als Eltern oder im pädagogischen Bereich, dass das eine Selbstermächtigung ist und dass es ganz wichtig ist, für unsere Gesellschaft. Also das ist so der eine Teil aber der andere ist. Ich habe es auch erst super spät gelernt, meinen Körper so zu bezeichnen und es war am Anfang auch nicht einfach. Also das ist auch so dieses, zwischen Theorie und Praxis, so ist es in meinem Kopf, aber ist es dann wirklich in meinem Körper und wie fühle ich mich damit, wenn ich so über meinen Körper spreche? Aber andererseits merke ich, ich kann auch nicht mehr zurück. Also. Wenn plötzlich meine Gyn zu mir sagt so irgendwie: "ich steck Ihnen das in die Scheide", dann durchfährt es mich durch den ganzen Körper und dann denke ich mir. "Oh mein Gott, welcher Mensch benutzt diesen Begriff noch" und - ja. (beide lachen)
Madeleine Das teile ich auch, dieses Gefühl. Man kann nicht mehr zurück. Wenn man einmal was gelernt hat und einen Blick geschärft hat, für ein Thema, dann fällt es einem auch überall auf. Was glaubst du? Das ist eigentlich so die wichtigste Frage: Wie bringen wir noch mehr Menschen genau dahin, dass sie nicht mehr zurückkommen? Also sowohl Kinder als auch Leute in unserem Alter, als auch die Generation obendrüber. Du sagst irgendwie die Arbeitskolleg:innen von deiner Mama und natürlich auch Gesundheitspersonal, weil da stellt sich für mich natürlich schon auch die große Frage oder fällt mir total auf: eigentlich haben die ja eine mega große Verantwortung, also glaube ich zumindest so, mit einem bestimmten Beispiel voranzugehen?
Oliwia Ja, also die Verantwortung ist die eine Sache. Ich sage auch immer total gerne so, dass die auch einen krassen Status haben und auch sehr viele Privilegien haben und das auch nutzen können.
Madeleine ..genau die Verantwortung, von der ich spreche, mit der das eigentlich einhergeht, ne?
Oliwia Ja genau. Also das ist nämlich ich meine, das beste Beispiel ist ja bei mir, wenn ich als Kulturwissenschaftlerin in dem Fall oder als Aktivistin, als feministische Aktivistin darüber spreche, dann nehmen das natürlich nicht so viele Menschen ernst, als wenn eine Gynäkologin da steht. Und das ist natürlich auch das Erste, was mir angekreidet wird, dass gesagt wird "Ja, aber du hast ja gar keine Medizin studiert".
Madeleine Merkst du das persönlich? Sagen das Leute zu dir?
Oliwia Ja, ich würde sagen, vor allem am Anfang war das so ein Ding und vor allem jetzt, wenn jetzt irgendwie Interviews in Zeitungen oder so, ja rauskamen, dass dann die Leute, so der erste Kommentar irgendwie war "Ja, aber wollen wir dazu nicht auch mal eine Ärztin hören?" (Madeleine: Mh. Mhm.) Das ist spannend. Und ich meine, auf der einen Seite natürlich, absolut. Aber es ist halt für mich, in dem Moment hat es eine Ambivalenz, weil ich mir denke, wenn ich Workshops gebe für kritische Mediziner:innen, und die mir sagen, "das ist kein Teil unserer Ausbildung, weder in dieser Sprache nicht, wir bekommen irgendwie Informationen, die wir selber nicht zuordnen können". Plus, uns ist allen klar, dass ein Medizinstudium oder ein Arbeiten in der Medizin, ein Teil der patriarchalen Strukturen ist. Das heißt, es gibt nicht sowas wie eine 'objektive Wissenschaft' und es gibt auch nicht so was wie eine Objektive so, "ich gehe mal kurz raus aus meinen moralischen, religiösen oder sonstigen auch stereotypen Klischees und beides, die ich in meinem Kopf hab und dann bin ich kurz Mediziner:in. Und dann gehe ich wieder zurück in die alte Welt". So funktioniert das ja nicht. Und erstmal, wenn man auch so versteht, dass so wie über den Körper in der Medizin gesprochen wird, ist es ja, ne, man spricht ja von einem weißen cis-Mann. Und das viele Themen, die einfach Menschen die nicht weiß und cis-männlich gele- also in dem Fall, cis-männlich sind, gar nicht so viel Aufmerksamkeit, diese ganzen Themen bekommen. Dann versteht man ja auch, warum zum Beispiel das im Unterricht oder in den Büchern auch gar nicht so explizit ausgearbeitet wird. Also das ist so die eine Sache, wo ich mir denke, die Gesellschaft funktioniert aber so, da ist eine Person aus der Medizin, die hat erst mal recht und das ist eben diese große Verantwortung, -
Madeleine Der 'Weißkittel-Effekt'.
Oliwia Genau. Und gleichzeitig aber ist natürlich dieses Problem da, wenn Menschen das ja nicht im Studium lernen. Das, was ich ganz am Anfang meinte so, das ist nicht dein individuelles Verschulden, weil wir alle sind in der patriarchalen Gesellschaft groß geworden. Wir alle lernen eine Sprache, die sexistisch ist, die rassistisch ist, etc. pp. ja. Und dann müssen wir uns individuell darum kümmern, um da wieder rauszukommen. Und das ist halt, um da vielleicht auch jetzt so einen Lösungsansatz dafür zu geben. Also ich finde absolut, das darf ja keine - nur eine feministische Praxis sein, dass Menschen, die sich eh schon mit ihrem Körper beschäftigen und dann sagen "Oh, ich geh da in ein feministisches Zentrum und da ist ja die Oliwia und dann lasse ich mir was über die Vulva erzählen“, das ist ja total traurig so. Also das ist ja, das sollte ja was sein was A auf jeden Fall mit Kindern anfängt, weil es dann auch SO einfach ist und weil einfach die Dinge so aufgesaugt werden. Und es gibt so unendlich viele, tolle Bücher schon darüber, wie Vulva, Vulvina benannt werden kann und auch eine transinklusive Sprache, also eine queere Sprache. Es gibt schon ganz viel dazu und zum Beispiel ein Teil meiner Arbeit ist, was ich sehr, sehr gerne mache, ist Multiplikator:innen Seminare geben. Das heißt es kommen Menschen, die eben aus dem pädagogischen Bereich sind, soziale Arbeit, eben aus dem medizinischen Bereich, und die erstmal so die Theorie wollen und die dann aber auch üben. Und das ist das, das finde ich am tollsten an diesem Seminar, die auch gemeinsam quasi in Rollenspielen üben, wie sie das Wissen ANWENDEN können. Weil das kenne ich auch von mir, diesen Effekt. Also das ist alles im Kopf, im Kopf, im Kopf und dann aber muss es ja irgendwie in den Körper gelangen und es muss ja auch sozusagen in die Kommunikation gelangen. Es muss in den Alltag gelangen und oft ist da ja diese Hürde auch krass, gerade, zum Beispiel spreche auch mit Leuten, die Praktisches Jahr zum Beispiel jetzt machen in deinem Studium und die dann sagen "Ja, dann lerne ich das und weiß das alles über die Vulva und mit das Jungfernhäutchen und dann ist dann halt eben da so die Chefärztin und dann sagt die so, fragt die die Patientin, ob die schon mal Geschlechtsverkehr hatte und dann sagt die "Nein" und dann wird die zum Beispiel nicht vaginal untersucht. Und dann fragt die Person dann „Warum wird die nicht vaginal untersucht? Was hat das für medizinischen Grund?“ Und dann ist die Antwort "Ist halt so", ist halt so, weil die Person -
Madeleine Weil die Chefärztin sagt das ja.
Oliwia Genau und „die ist noch Jungfrau und dann untersucht man nicht vaginal“ und klammer auf, wenn wir zum Beispiel vaginal untersucht werden würden - und das kriege ich auch immer rückgemeldet von Leuten, die das auch so erlebt haben, dann würde man zum Beispiel die Verwachsungen sehen, man würde/ könnte einen Ultraschall über die Vagina machen, könnte andere Dinge zum Beispiel erkennen. Also absolut, weil ich finde, natürlich sollen Menschen immer gefragt werden, ob sie vaginal untersucht werden wollen oder nicht, unabhängig davon, ob sie schon mal Sex hatten oder nicht. Aber das ist zum Beispiel ja so ein Beispiel, das mir dann so gesagt wird "Ja, ich habe jetzt dieses Wissen und dann ist aber diese Chefärztin und wer bin denn ich, dass ich die Chefärztin korrigiere" zum Beispiel. Also es sind ja auch immer wieder Hierarchien und eingespielte Sachen, die halt einfach so sind.
Madeleine Und das übt ihr in Rollenspielen, wie man darauf reagieren kann?
Oliwia Genau. Und das üben wir, wir üben mit Argumenten. Es gibt ganz viel an Handouts, es gibt ganz viel an Studien, also auch, dass man eine eigene - ich glaube, im Endeffekt geht es vor allem erstmal darum, klar, das zu lernen, aber erst mal eine eigene Haltung zu entwickeln. Und erstmal eine Haltung zu haben mit 'wie und wo kann ich das in meinen Alltag mitnehmen'. So na also. Und WARUM ist es wichtig, dass ich zum Beispiel Menschen darüber informiere? Warum ist es wichtig, dass ich Vulva sag und erkläre "das ist übrigens die Vulva, nicht die Scheide" zum Beispiel, so Kleinigkeiten. Und, und das finde ich zum Beispiel ganz großartig. Also diese Art von Gesprächen, so wie kann ich auch, na ja in dem Moment, wo ich ja über Körper/ ich meine, das Ding ist bei Vulva und Vagina und Mythos Jungfernhäutchen, hat ja sofort etwas mit Sex zu tun, also schwingt immer mit und sobald ich darüber spreche, bin ich automatisch konfrontiert irgendwie mit meiner eigenen Art, wie ich über Sexualität mit meinen Körper spreche. Also es ist sozusagen, es hat auch sehr viel mit der eigenen Arbeit an mir selber zu tun und das meine ich auch mit Haltung. Also sich wirklich zu überlegen, so 'womit fühl ich mich auch wohl?', obwohl dieses Thema so wichtig ist und. Ja, genau.
Madeleine Und ich glaube, das ist wirklich etwas, was explizit geschehen muss, wozu es explizite Räume geben sollte, wo so ein Diskurs aufgemacht wird oder wo ja man selber anfängt darüber nachzudenken, weil sonst tut man es nicht und vor allem, wenn man irgendwie schon erwachsen ist, oder? Ja, sonst läuft alles irgendwie so weiter, wie es wahrscheinlich vorher lief.
Oliwia Ja, genau. Oder wenn man auch denkt, 'ich bin eigentlich selber davon gar nicht betroffen oder mir ist es jetzt egal, ob das Vulva oder untenrum heißt'. Und dann ist es so ein Moment von 'Warum soll ich das jetzt verändern? Ist das so wichtig, wir haben doch viel wichtigere Probleme' (Oliwia lacht, Madeleine: ja..). Und dann würde ich gerne eben so meine ganzen Notizen rausholen und eben zeigen, was alles an diesem Mythos mit dranhängt. Ich meine, wir sprechen ja jetzt über so einen Tropfen, aber es gibt ja wirklich noch ganz viele unterschiedliche Dinge, die also unterschiedliche Menschen ganz unterschiedlich eben betreffen, wenn es darum geht, wer entscheidet über meinen Körper ja so oder -
Madeleine Was glaubst du denn, wie schaffen wir es, dass wir da wirklich ALLE Menschen mit ins Boot holen? Weil ich überlege jetzt auch gerade so, auch was gerade das Beibringen dieser Begrifflichkeiten an eine neue Generation an Kinder angeht. Ja, welche Kinder kriegen das gelernt? Wahrscheinlich nur die, deren Eltern es selber wissen. Das sind vielleicht Eltern, die in irgendeiner Art und Weise auch das Privileg hatten, sich damit auseinanderzusetzen, diesen Raum genießen konnten, in dem sie eine eigene Haltung genossen haben. Aber es ist ja total wichtig, alle mitzunehmen, alle in dieses Boot zu holen. Was, was hast du für eine Idee? Wie schaffen wir das?
Oliwia Genau, damit das eben nicht wieder abgewälzt wird auf die individuelle Verantwortung. Das hast du nämlich sehr gut gerade zusammengefasst. Es gibt ja Aufklärungsbroschüren, die werden ja von der Bundesregierung bezahlt (beide lachen). Und ich mein, es gibt diese Biologiebücher. Ja, und es gibt den Aufklärungsunterricht. Und es gibt Vereine, die auch von außen an die Schulen kommen. Also es müssen nicht immer nur Biolehrer:innen machen. Es gibt schon ALL diese Menschen und es gibt auch eine Infrastruktur dafür. Das bedeutet, das muss einfach auch politisch unterstützt werden, also das ist ja ganz klar. Natürlich ist es schön, dass wir Aktivist:innen, die ganze Zeit diese unbezahlte Arbeit machen und diese emotionale Arbeit und uns irgendwie da auch manchmal sehr im Kreis drehen und -. Aber das ist ja irgendwie nicht die Lösung. Genau das, was ich meinte. So es ist auch, es darf dann, also es muss einfach im- oder anders: warum ist es eigentlich nicht verboten, dass dieser Müll in diesen Biobüchern steht? Eine ganz einfache Frage so, warum? Also ich meine, das ist einfach. Das stimmt nicht und es ist so einfach, die können mir das geben, ich kann's korrigieren. Ich kenn zehn andere Menschen oder 20 andere Menschen, die können es auch korrigieren. Fertig. So what? Also es ist auch ein bisschen so, dieses auch Prioritäten zu setzen. Aber das ist ja eine Struktur, die aufeinander aufbaut. Eine ganz kleine Anekdote: Ich habe bei dem Wikipediaeintrag über die Vagina mitgeschrieben und wir konnten Dinge nicht verändern, weil es in bestimmten Medizinlexikons so stand. Und Wikipedia ist ja sozusagen eine Plattform, die nur, ich nenne es jetzt mal so 'ernst zu nehmende' Quellen zitiert. Ja, und da dann aber diese Sache dann so drin stand
Madeleine - es reproduziert sich einfach die ganze Zeit. Das ist eine ewige Schleife (Oliwia: genau, genau), die sich dann-. Okay, gott sei Dank schreibst du ein Buch gerade (lacht), das wir dann zitieren können und damit hoffentlich den Wikipediaeintrag und viele andere Dinge revolutionieren können.
Oliwia Ja also damit wollte ich eigentlich sagen, dass es deswegen auch so wichtig ist, dass Menschen auf unserer Seite sind, so wie ich es ja nennen, die eben.
Madeleine Ja. Total.
Oliwia Die eben im Verlag arbeiten ne, die irgendwie im Gesundheitswesen, auf einer ganz anderen politischen Ebene arbeiten, die einfach mitentscheiden, welche Inhalte gefördert werden sollen. Das brauchen wir, also so wir brauchen einfach ja, diverse Menschen in Führungspositionen, die einfach über diverse Themen mitbestimmen. Das muss einfach aufhören. Das halt nur diese Themen, die vielleicht ein Minianteil der Weltbevölkerung betrifft und es immer wieder sich darum dreht, werden. Ja.
Madeleine Richtig, richtig gut gesagt, finde ich, richtig schön. Vielleicht noch einmal so, wenn man das jetzt hört und man denkt sich okay, wo kann ich denn jetzt besser nachlesen? Oder welche Quellen kann ich denn besser teilen, wenn es schon Wikipedia nicht ist? Und die BZGA anscheinend auch nicht. Hast du was, was du uns aus dem Effeff teilen kannst, so sagen kannst? Okay, da gibt es gute Informationen.
Oliwia Also die BZGA wurde übrigens überarbeitet.
Madeleine: Gut, okay.
Oliwia: Genau. Es gab eine Petition und das wurde sie bearbeitet. Und jetzt kann man das auf jeden Fall teilen. Ja, also ich freue mich natürlich, wenn Menschen mein breitbeiniges Heft lesen und ‚Das Jungfernhäutchen gibt es nicht‘ heißt es. Es auf jeden Fall von Mithu Sanyal ‚Vulva‘. Ich finde da steht eigentlich eh schon alles drin (lacht), es ist ja auch schon über zehn Jahre alt, dieses Buch! Also das sind auf jeden Fall so anatomische Sachen. Ich finde aber auch ‚Frauenkörper neu gesehen‘ na - also, da ist sozusagen das auch wieder sehr binär, weil es auch als Frauenkörper gilt - aber das sind auch Sachen, die aus der Frauengesundheitsbewegung, sozusagen aus der Geschichte schon von den 70er Jahren mit aufgearbeitet werden. Das finde ich einfach so, so basic, ich glaub, alle anderen Bücher, die jetzt danach kommen zitieren ja sowieso alle auch aus diesen Büchern über... Genau.
Madeleine Schön, okay, cool.
Oliwia Und aber ein ganz-, aber doch ein ganz tolles Buch würde ich gerne empfehlen, weil das ist ganz neu. Das ist eben ein Kinderbuch eben für Kinder mit Vulva und Vagina. Und es heißt ‚Untenrum und wie sagst du?‘.
Madeleine Schön. Okay. Auch richtig gut, quasi auch nochmal ein Kinderbuch zu empfehlen. Vielen lieben Dank dafür. Ich habe eine letzte Frage so zum, zum Abschluss, die das Ganze vielleicht noch ein bisschen zusammenfasst und uns hoffentlich auch ein bisschen ins Träumen bringt. Was ist deine Utopie, deine Zukunftsvision, für eine heilere Welt in der Medizin?
Oliwia Das ist eine sehr schöne Frage. Ich werde das jetzt natürlich total reduzieren auf mein Thema.
Madeleine Unbedingt!
Oliwia Nein, weil ich mir so denke, für eine heilere Welt da kommt mir einfach so viel in den Sinn, was SO wichtig ist. Aber auf mein Thema reduziert, fände ich es einfach schon sehr schön, wenn… mir viel mehr Fragen gestellt werden. Wie ich eigentlich zum Beispiel meinen Körper benennen möchte, wie ich mir wünsche, wie mein Körper auch benannt wird von Mediziner:innen wie... Ja, was ich eigentlich brauche. Also ich glaub es ist so ein Mix aus, ich würde mir schon wünschen, wenn ich auch so an mein 14 jähriges Ich zurückdenke. Ich hätte mir damals auf jeden Fall gewünscht, eine Gyn-Untersuchung, die ich so bis heute noch nie hatte, in der die Person sich einfach Zeit nimmt und mit mir zum Beispiel einfach die Vulva benennt, mich dann auch dazu einlädt, mich zu Hause einfach mit meiner Vulva zu beschäftigen. Also das finde ich schön, so eine sehr niederschwellige, schamfreie Betrachtung des Körpers, so wie es mein Orthopäde auch mit meinen, mit meinen Nacken macht, oder ja, mit meinem Knie. So hätte ich es mir gewünscht. Und auf der anderen Seite eben jetzt als die Person, die ich jetzt bin, würde ich mir sehr oft wünschen, einfach auch ernst genommen zu werden. Genau das meinte ich eben auch mit den Fragen über das, was ich eigentlich brauche. Ob ich mich wohl fühle mit mit den Bezeichnungen, die da gerade verwendet werden oder den Untersuchungen. Weil selbst ich als irgendwie Person über 30 sollte entscheiden dürfen, ob ich zum Beispiel vaginal untersucht werden will oder nicht. Ja, also -
Madeleine Total. Und du kannst trotzdem auch ohne diese Untersuchungen machen zu wollen, oder ja genau machen zu wollen, trotzdem einen Gyn-Termin wahrnehmen.
Oliwia Ja, aber das muss man auch alles erst wissen.
Madeleine Ja, total. (Oliwia lacht) Ich dachte gerade noch, vielleicht wäre es sinnvoll, diese Dinge, also das erste, was du gesagt hast - dieses auch eine gewisse Aufklärung da zu erfahren oder zu sagen, das sind die, das sind die korrekten Begriffe, die Einladung. Vielleicht muss das oder sollte das gar nicht im Gesundheitssystem stattfinden, weil eigentlich ist unser Gesundheitssystem irgendwie ein - also wir behandeln ja Krankheiten, es ist ja nicht das GESUNDHEITSsystem und. Ja, vielleicht sind wir sowieso viel zu sehr mit Pathologisieren beschäftigt. Vielleicht müssen wir das einfach ausgliedern in unserer Heilen Welt. Dass es irgendwo eine andere Stelle gibt, in der man dieses Wissen erlangt und diese Einladung bekommt.
Oliwia Es ist sehr schön, dass du das gerade noch mal gesagt hast, weil ich dann auch gemerkt habe, dass, dass ich das auch sehr ausklammere. Diesen Aspekt von ‚gesund‘ oder auch, ich würde auch mal sagen ‚pleasure‘. Ich weiß nicht, ob du davon zum Beispiel auch mal gehört hast, aber es gibt sowas das nennt sich ‚Sexological Body Work‘. Und das ist zum Beispiel was, wo man sich sehr viel mit seinem Körper beschäftigen kann, auch mit Vulva und Co in Bezug auf ‚pleasure‘. Aber es ist nicht automatisch ‚Sex‘. Und das ist sehr, sehr spannend und ich glaube das sind- so die Lücke, die mir immer fehlt, wenn ich zur Gyn gehe.
Madeleine Ja, total. Ja, Ja. Wie ich schon gesagt hab, vielleicht ist es, ja diese Lücke muss vielleicht gar nicht eine Gynäkologin, ein Gynäkologe füllen. Vielleicht ist das einfach die falsche Stelle. Aber wir brauchen eine andere Stelle, die das, die das machen kann. Weil es ist sehr, sehr nötig, wie wir rausgefunden haben in diesem Gespräch. Oliwia, hast du noch irgendwas, das du hinzufügen möchtest?
Oliwia Ja, ich find es einfach großartig, wenn Menschen sich trauen, über dieses Thema zu sprechen und auch wenn sie erst mal skeptisch sind und denken „Ach, das hat mit mir nichts zu tun, weil ich bin schon so alt. Es ist nicht mein Thema“. Ja, dass sie sich trotzdem dafür einsetzen. Und vielleicht gerade wenn es mich nicht so sehr betrifft und ich davon nicht sehr emotional eingenommen bin, vielleicht fällt es mir dann ja auch leichter, darüber zu sprechen und einfach anatomisch korrekte Begriffe zu nutzen für Vulva und für Vagina.
Madeleine Ja. Lass uns einfach mehr reden. Ich glaube mit diesem Podcast, hoffe, dass wir einen Grundstein dafür gelegt haben. Und ich habe es ja auch schon gemerkt. Also selbst in meinem Freund:innenkreis haben wir zumindest in Vorbereitung auf dieses Gespräch schon einmal mehr über Vulva, Vagina, Mythen die so in unserem Kopf rum geisterten und immer noch geistern gesprochen. Und auch das war schon total bereichernd. Und ja, ich fand auch unser Gespräch super, super bereichernd und dank Dir da ganz, ganz herzlich dafür.
Oliwia Ich fande es auch ganz großartig. Vielen Dank dir für das Gespräch. Aber natürlich auch Danke an alle, die ich jetzt hier nicht sehe, die auch die ganze unsichtbare Arbeit machen, weil es ist so wichtig. Diese Schnittstelle ist großartig.
Madeleine Ganz lieb, dass du das sagst.
Hey ihr Lieben, die ihr da heute zugehört habt. Wenn ihr heute was gelernt habt in dieser Folge, dann tragt es doch super gerne weiter und fragt mal in eurem Bekanntenkreis, wie da so die Erfahrungen waren und sind, mit dem ‚Mythos Jungfernhäutchen‘. Da entstehen auf jeden Fall coole Gespräche, wenn man einfach mal so ein bisschen rum fragt. Dann war‘s das heute auch schon wieder mit dieser Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Vielen Dank an euch fürs Einschalten und Zuhören. Wenn wir euch ein bisschen inspirieren konnten, dann freuen wir uns auch über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Webseite oder über eine Bewertung in eurer App. Abonniert auch super gerne unseren Newsletter oder folgt uns auf Instagram, wenn ihr keine Folge mehr verpassen möchtet.
In diesem Sinne, bleibt gesund, neugierig und optimistisch. Bis auf ganz bald. (Outro-Musik läuft aus)