Ist Amboss das bessere Google für Ärzt*innen, Sievert Weiss?

Wie könnte die Medizin der Zukunft aussehen, wenn digitale Innovationen den Alltag revolutionieren? In dieser Folge von Heilewelt spricht Madeleine Sittner mit Sievert Weiss, Co-Gründer von Amboss, über eine Welt, in der Medizinstudium und Arbeitsalltag nicht mehr vom klassischen Frontalunterricht und Papierkram geprägt sind, sondern von Kommunikation, Softskills und effizienter Technik. Sievert erklärt, wie Amboss das Lernen für Medizinerverändert hat und welche Visionen er für die digitale Zukunft im Gesundheitswesen hat.

Madeleine Hey und ein herzliches Willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Madeleine, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern das bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt unserer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen. 

Stellt euch eine Welt vor, in der die Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht mehr auf dem Stand Faxgerät ist und in der Innovation für das tägliche Arbeiten groß geschrieben wird. Stellt euch ein Medizinstudium vor, in dem weniger Wert auf Auswendiglernen und Frontalunterricht gelegt wird und mehr auf Kommunikation und Softskills. Und stellt euch vor, das könnte am Ende dazu führen, dass Ärzte und Ärztinnen mehr Zeit für ihre Patient:innen haben, weil sie innovative Technik haben, auf die sie zurückgreifen können, jederzeit mit wenigen Klicks nachschlagen können und sich somit auf das Wesentliche konzentrieren können. An dieser Vision arbeitet Sievert Weiss, Co-Gründer von Amboss. Amboss ist ein Online-Portal, das Gesundheitspersonal hochwertige und aktuelle medizinische Inhalte zur Verfügung stellt. Ich hab Amboss im Studium jeden Tag genutzt und auch im klinischen Alltag ist es als Nachschlagewerk nicht wegzudenken. Wenn noch vor nur zehn Jahren mit Büchern mit hunderten Seiten pro Fach gelernt wurde, fasst Amboss die wichtigsten und fürs Staatsexamen relevante Inhalte zusammen. Außerdem gibt’s einen Modus in dem alte Prüfungsfragen durchgekreuzt werden können. Amboss hat, meiner Meinung nach, das Leben und Lernen als Medizinerin jetzt schon revolutioniert, weshalb ich mich auch vor allem dafür interessiert habe, wohin der Weg noch gehen kann, wenn man an Innovation in der medizinischen Lehre und vielleicht generell in der Medizin denkt. Sieverts  Bild von den Ärzt:innen der Zukunft, das er uns schildert, hat mich in dieser Folge echt zum nachdenken gebracht, wie ich wohl in 30 Jahren arbeiten werde und wie Informationsvermittlung dann wohl funktioniert.

Ja, ein herzliches Willkommen. Guten Morgen, lieber Sievert. Und ja, schön, dass du heute bei uns im Podcast dabei bist. 

Sievert Guten Morgen, Madeleine. Ich freue mich sehr, hier sein zu dürfen und mit euch zu sprechen. Heute. 

Madeleine Sehr schön. Wie war dein Morgen bisher? Wie sieht so ein typischer Freitagmorgen bei Amboss aus? 

Sievert  Oh. Ob der jetzt repräsentativ für Amboss ist, das kann ich nicht sagen (Madeleine lacht). Mein Morgen, mein persönlicher Morgen ist bestimmt durch meine drei Kinder, die in Kita und Schule müssen. Und weil freitags auch der Tag ist, an dem ich sie aus den Institutionen wieder abhole, bleibe ich meist zu Hause im Homeoffice. Und so bin ich dann nach der Kita an den Schreibtisch gegangen. Und ja, ganz so lange sitze ich hier noch nicht ja (lacht). 

Madeleine Okay super. Ja, erzähl uns gerne zu Beginn erst mal, wie du eigentlich zu deinem Job gekommen bist. Wie bist du dazu gekommen, was du jetzt gerade machst? Du hast mir im Vorgespräch erzählt, dass du Amboss mal mit zwei Freunden schon im Studium oder direkt danach gegründet hast. Was war da die Motivation dahinter? 

Sievert Genau. Also ich bin einer der Gründer von Amboss und von Hause aus Arzt und bin im Prinzip 2010 mit zwei Freunden in einer Lerngruppe über das Problem gestolpert, in der Vorbereitung auf das Staatsexamen, damals Hammerexamen. Dass, diese Vorbereitung wir als sehr schlecht empfanden, sehr ineffizient, sehr unstrukturiert und und. Vor allem also mit den Möglichkeiten, die man so zur Vorbereitung hatten, sehr unzufrieden waren. Und darüber haben wir uns einfach so in unserer kleinen Lerngruppe ausgetauscht und gesagt "Mensch, Mann, das könnte man doch irgendwie einfach besser machen" und so und man könnte irgendwie das machen und das machen und so. Und das machen/ haben glaube ich viele gemacht, weil es ja nicht nur uns aufgefallen ist. (Madeleine lacht) Könnte ich mir vorstellen. Und wir haben dann aber, nachdem wir die Prüfung alle erfolgreich bestanden haben, uns weiter darüber ausgetauscht und irgendwann ein halbes Jahr später, ungefähr nachdem wir Examen- also so Mitte 2011- gesagt "Mensch, wollen wir nicht mal versuchen, was besseres für diese Vorbereitung zu erschaffen. Und das ist, war für uns kein ganz natürlicher Schritt oder so, es hat dann ein bisschen Überzeugungsarbeit gekostet, aber dann haben wir es gemacht und haben uns erst mal gesagt, 'okay, wir nehmen uns irgendwie zwei Jahre Zeit dafür, das auszuprobieren. Ob wir da irgendwie was Besseres schaffen können und haben in dieser Zeit dann tatsächlich die erste Version von Amboss zur Examensvorbereitung damals auf den Markt gebracht und ja- das war dann erfolgreicher als wir angenommen hatten (Madeleine lacht). Und so haben wir uns dann entschieden, auch da dran zu bleiben und weiterzumachen. Und so ist Amboss in den letzten zehn Jahren, hat sich deutlich weiter entwickelt, ist also nicht mehr nur Examensvorbereitung, sondern deckt im Prinzip das ganze Studium ab. Die ganze Zeit bis zum Facharzt und darüber hinaus für Fachrichtungen, die sich breiter klinisch interessieren. Und auch ist, dieses Konzept im Prinzip dieser, wenn man so will, lebenslangen Begleitung des Mediziners auch auf den englischsprachigen Raum mit Fokus auf die USA übertragen worden. Und ja, so sind wir in der Zeit recht gut gewachsen. Sind mittlerweile 500 Mitarbeiter:innen. Das Produkt wird in 170 Ländern genutzt. Wir haben vier Büros an verschiedenen Orten der Welt und ja, verfolgen immer noch mit voller Inbrunst die Vision medizinisches Wissen, was es schon gibt- ja, wir erfinden ja kein medizinisches Wissen- aber medizinisches Wissen, was es schon gibt, an sozusagen die Fingerspitzen des Arztes zu bringen und damit am Ende hoffentlich eine bessere Patientenversorgung irgendwie mit zu erwirken. 

Madeleine  Hättest du dir das vorstellen können, als ihr damals angefangen habt aus so einer Lerngruppe? Vielleicht ja einfach, wahrscheinlich auch einfach totaler Frust, der da aufgekommen ist beim Lernen. Und dann habt ihr euch überlegt, jetzt versuchen wir es einfach mal und jetzt, zehn Jahre später, ist es so ein großes Ding geworden. 

Sievert Ja, natürlich nicht. Also (lacht) 

Madeleine (lacht) - so man kann sich das ja gar nicht erträumen eigentlich. 

Sievert Ne, genau. Wenn man, wenn man an diese Zeit zurückdenkt und das mit dem Stand heute vergleicht, dass es/ klingt dann es wirkt schon sehr surreal. Und heute laufen wie selbstverständlich alle diese Mitarbeiter täglich in die Büros oder setzen sich zu Hause an den Rechner und arbeiten für diese Idee. Die, die es einfach vor der Zeit einfach nicht gegeben hat. Also klar würde jeder heute irgendwie was anderes machen, aber so diese Selbstverständlichkeit in dieser Sache und auch die, natürlich die Energie und Motivation, mit der viele andere Menschen das verfolgen, was mal halt dann irgendwann in dieser Lerngruppe sozusagen seinen Ursprung genommen hat, das ist schon sehr beeindruckend und surreal und sehr, sehr schön am Ende für uns zu sehen. Aber das war natürlich damals nicht absehbar. Ja, wir haben schon theoretisch dieses Potenzial gesehen, dass es nicht darauf begrenzt sein muss und dass es andere Länder gibt, in denen es auch Multiple Choice gibt. Und so weiter. Aber das, dass es so erfolgreich sein könnte, das kann man natürlich nicht rechnen mit irgendwie. 

Madeleine Mir fällt auch diese Selbstverständlichkeit auf, von der du sprichst, auch im Studium von, als du das so erzählt hast, dass ihr da zum Hammerexamen zusammen der Lerngruppe wahrscheinlich an Büchern gelernt habt- das kann man sich ja heute fast gar nicht mehr vorstellen. Da sind Bücher eher immer noch so ein Add on, wenn man doch mal noch mal was nachlesen möchte oder so, aber ansonsten sind eigentlich alle an diese Onlineportale gewöhnt. Und das, obwohl es Amboss und andere Plattformen ja eigentlich noch gar nicht so lange gibt. Ich weiß noch, wie ich im Physikum, ich habe 2017 Physikum gemacht,  in meinem Bekanntenkreis eine der ersten war, die mit einem Onlineportal gearbeitet hat. Und die anderen haben noch diese Skripte verwendet und dann immer geguckt, wie kommen sie an die Reihe ran, die vielleicht nicht ganz die aktuellste ist, um bisschen Geld zu sparen, aber trotzdem die aktuellsten Informationen zu haben. Und wenn ich mir das so überlege das sind wenige Jahre zwischen 2017 und jetzt, was das für eine rasante Entwicklung ist. Und ich finde, das macht Amboss zu einem wahnsinnig innovativen Unternehmen und frag mich, wo die Reise da noch hingehen kann. Was, was denkst du, wie schafft ihr es auch in Zukunft weiter innovativ zu bleiben? 

Sievert Hm, ja, also letztlich- Danke (lacht). Letztlich ist, glaube ich, Innovation ist ja sozusagen kein Selbstzweck. Also wir, wir betreiben Innovation aus Sicht dessen, was wir als hilfreich für die Nutzer erachten ja. Und wir haben dabei die Medizinstudierenden, die Ärzte, auch weitere Gesundheitsberufe mehr und mehr im Blick. Und eben nicht nur, nicht nur in Deutschland, sondern eben auch in verschiedenen anderen Teilen der Welt. Und überlegen uns: Wie können wir noch besser auf der Basis dieses medizinischen Wissens, wie können wir noch besser den Bedürfnissen und Problemen, also den Bedürfnissen, gerecht werden und Probleme für unsere Nutzerschaft lösen und daher daher kommt sozusagen Innovation, wenn man so will. Und es kann mal größer und mal kleiner sein oder sich bedeutender oder unbedeutender anfühlen. Aber dieser Antrieb, der hört nicht auf. Das ist, was uns täglich irgendwie antreibt und jeden, jeden Teil der Firma irgendwie beschäftigt. Und überall, wo du hinschaust, arbeiten Leute daran, dass es immer besser wird. Es gibt beispielsweise das/ ein Team, das beschäftigt sich kontinuierlich nur mit der Frage 'Wie können wir die Suche verbessern?' ja. Also kann man sich irgendwie vorstellen, vielleicht wie bei Google, nur ein bisschen kleiner (lacht), aber die sitzen den ganzen Tag da dran und überlegen sich 'okay, wie können wir denn noch die, die Suchergebnisse noch relevanter machen? Wie können wir, können wir die Ärzte noch schneller zur Information bringen, die sie gerade benötigen?' Time to knowledge das ist für uns so ein 'KPI' (= key performance indicator) zum Beispiel, wo wir sagen so ähnlich wie 'Time to needle' oder so, ja, weil das eben entscheidend ist für Fragen, die ich zumindest am Point of Care treffen muss. Da will ich möglichst schnell an dieser Information dran sein. Und damit beschäftigen/ beschäftigt sich ein Team kontinuierlich, andere beschäftigen sich komplett mit dem Plattformdesign, wieder andere mit dem Fragendesign und den didaktischen Möglichkeiten da drin. Also das hört nicht auf und geht immer weiter. Ich glaube, wenn man überlegen will, wo/ was kann Amboss jetzt noch machen? In Deutschland ist es vielleicht schon relativ etabliert für das, was wir tun- Wissen vermitteln, irgendwie auf breiter Basis an Mediziner. Wir denken, dass nicht nur Ärzte davon profitieren können. Wir denken, dass weitere Berufsgruppen davon profitieren können und sehen das auch schon in der Nutzerschaft. Ja, es sind viele andere Gesundheitsberufe auf Amboss unterwegs, die auch von dieser Information profitieren und für die ja natürlich diese Information genauso wichtig ist. Die, die brauchen dann hier und da auch andere Informationen, aber die, die natürlich auch auf ein medizinisches Wissen irgendwie zurückgreifen müssen. Also wir sehen viele Pflegefachkräfte auf der Plattform, wir sehen Rettungssanitäter, Physiotherapeuten und das ist eine Ausbreitungsrichtung, die man sich noch weiter anschauen kann. Und was wir auch tun, wir haben jetzt kürzlich ein pflegespezifisches Produkt rausgebracht. Und natürlich auf globaler Ebene, wenn man sich das anschaut, dann sind wir ja noch nicht überall so weit, wie wir in Deutschland sind. Und das hat dann unterschiedliche Anforderungen in den unterschiedlichen Biografien. Am Ende ist unser Ziel, das eben evidenzbasiertes, medizinisches Wissen an die Anwender kommt, damit es dem Patienten zugutekommen kann ja. Und wenn man das auf globaler Ebene durchdeklinieren will, dann sind wir tatsächlich noch mehr so bei Tag eins, als am Ende. 

Madeleine (lacht) Ja, total. Da sind wir auch so ein bisschen beim größeren Bild eigentlich schon angekommen. Da würde ich auch gern mal hin. Wenn man sich das mal so im größeren Bild anschaut. Was bedeutet Innovation in der medizinischen Lehre? Ich weiß, dass einer eurer, ich weiß nicht Leitsprüche oder die Mission auf Englisch drückt ihr aus mit "Empowering all doctors to provide the best possible care" Was bedeutet das für dich? Oder noch mal anders gefragt, was macht Innovation generell in der Medizin aus? 

Sievert Ja, also das sind doch vielleicht, also würde ich zumindest als zwei unterschiedliche Fragen sehen. Aber was verstehen wir darunter, wenn wir sagen, wir wollen sozusagen Ärzte empowern, die bestmögliche Sorge für Patienten zu tragen. Dann sind so ein paar Rahmenfaktoren da drin. Wichtig, zumindest aus der Sicht, aus der wir kommen, wenn man sich anschaut, dass irgendwie sich das medizinische Wissen alle 73 Tage angeblich verdoppelt. Das ist ein exponentieller Wissenszuwachs. Und wir wissen auch, dass davon natürlich jetzt -das ist, das ist die Anzahl der publizierten Studien- davon ist natürlich nicht alles am Ende unbedingt für jeden Arzt relevant, aber es wird immer schwieriger natürlich da durchzublicken und zu verstehen, was ist denn jetzt für mich relevant und was sollte ich anpassen? Und diese Erkenntnisse sind/ sind ja da, sind mehr und mehr da. Sie finden ihren Weg nicht in die Praxis. Also wenn da dann mal evidenzbasiertbasiertes Wissen drin ist in den Studien, wo es darum geht, dass das eine Protokoll besser funktioniert als das andere Protokoll oder irgendwie so was- dann dauert das immer noch über zehn Jahre, bis das in irgendwelchen Leitlinien landet. Und dann ist es ja auch nur in den Leitlinien und noch nicht sozusagen in der Anwendung. Und wenn man sich anschaut, wie dieser Weg funktioniert und versteht, dass auch für medizinische Gesellschaften Leitlinienadhärenz eines der wichtigsten und aber auch schwierigsten Themen ist, dann glauben wir, dass man da alleine da, auch wenn es so trivial klingt, irgendwie noch, man noch sehr, sehr viel machen kann und sehr viel auch Potenzial, also Luft nach oben hat, eben dieses Wissen wirklich in die Anwendung zu bringen. Und da sind natürlich viele Zwischenschritte auf dem Weg, die nicht nicht so leicht zu lösen sind. Aber wo wir glauben, in einer ganz guten Position zu sein, da helfen zu können. Das bedeutet für uns 'Empowering Clinicians'. Ein weiterer Bestandteil davon ist auch zu sagen, wir glauben eben an die Ärzte als, als einen wichtigen Akteur in diesem System. Es ist vielleicht auch ein bisschen ein Bias, weil wir nun selber auch aus dieser Richtung kommen. Aber wir glauben nicht zum Beispiel daran, dass AI die Ärzte ersetzen wird. Und dann diese, dieses/ diesen Akteur rausnimmt aus der Gleichung. Aber wir glauben schon daran, dass beispielsweise AI dem Arzt auch, wie andere Werkzeuge eben auch, ein Werkzeug sein kann, dabei zu helfen, bessere Versorgung zu leisten und also AI ist jetzt ja so ein Buzzword, ja vor allem. Aber und wir benutzen auch AI ja, heißt ja jetzt erstmal nur, dass irgendwie eine Maschine irgendwie vielleicht ein bisschen dazulernt oder ein Algorithmus dazulernt oder so was und eine eigene Art von Intelligenz da darstellen kann. Für mich ist das wie- Amboss ist, Amboss insgesamt und auch sozusagen AI als Kategorie innerhalb dessen- ist für mich wie so ein wie, wie das Röntgen oder auch das Thermometer. Ja, das wurde alles irgendwann mal erfunden, vor 200 Jahren oder auch 100 Jahren oder so was. Und den quasi den Ärzten zur Verfügung gestellt, bessere, einheitlichere, standardisiertere Diagnostik zu betreiben. Das hat auch ne ganze Weile gedauert, jeweils bis das dann wirklich auch genutzt wurde, weil es immer viel Skepsis und Ablehnung gab. Ja- (Madeleine: "So wie jetzt auch.), weil eben diese Geräte das nicht komplett abdecken, was dann irgendwie die Qualitäten des Fiebers ausmachen oder was irgendwie die Qualität eines Lungeninfektes oder irgendwie so ausmachen. Nein, natürlich nicht. Aber es ist, es ist anwenderunabhängig und es kann irgendwie zumindest ein, zwei Parameter relativ standardisiert erfassen. Und so sehen wir das mit medizinischem Wissen ein Stück weit auch. Also heute ist es, glaube ich, immer noch so, dass medizinisches Wissen zum Selbstverständnis des Arztes dazugehört. Das ist das, was was mich auszeichnet, irgendwie und was, was mich auch eine andere Position vielleicht gegenüber den Patienten einnehmen lässt irgendwie. Aber wenn man sich eben anschaut, was mit diesem exponentiellen Wachstum des Wissens passiert, dann muss ich mir eigentlich irgendwann eingestehen, dass die ein Stück weit die Grenzen meiner eigenen kognitiven Fähigkeiten als Mensch erreicht oder überschritten sind und ich mir auch da Hilfe holen kann und zurecht Hilfe holen sollte auch. Weil es für mich nicht mehr machbar ist und ich dann auf auf der Basis, wenn ich mir keine Hilfe hole, eben auch nicht mehr die besten Entscheidungen für den Patienten treffen kann. Und das ist, das ist sicherlich auch ein kultureller Wandel weg vom Halbgott in Weiß, hin zu vielleicht einem mehr partnerschaftlichen Ansatz und hat natürlich viele Implikationen auf Studium und Ausbildung usw.  Aber das, das sehen wir eben auch, dass das ein Teil ist, die Ärzte zu befähigen, wie, wie sie mit anderen Tools eben auch befähigt werden. Ja und was? Also dann hast du noch die Frage gestellt ‘Was bedeutet Innovation im Gesundheitssystem?' Da können und können wir glaube ich auch noch eine abendfüllende Diskussion zu führen. Aber vielleicht stoppe ich an dieser Stelle einmal. 

Madeleine (lacht) Ja, du hast ganz viel angesprochen, das sich ständig verdoppelnde Wissen, dadurch quasi erst mal eine Software, dass dieses Wissen irgendwie durchsortiert und vielleicht auch nach Wichtigkeit sortiert. Ich finde es auch einfach irgendwie eine Art 'Rücken freihalten' den Menschen, die in der Klinik, am Patienten, an der Patientin arbeiten. Aber auch gut, dass du künstliche Intelligenz ansprichst und auch quasi die Qualität der Information. Du sagst richtig, nicht jede Studie bringt das allerkrasseste neue Wissen oder ist wirklich methodisch so gut konstruiert, dass man sagen kann, jetzt muss man alles, was man sonst weiß, über den Haufen werfen. Das führt mich so ein bisschen zu der Frage: Was macht eigentlich glaubwürdige Informationen aus? Es gab ja auch schon vor Amboss andere Internetseiten, die mehr oder weniger evidenzbasierte Informationen bereitgestellt haben. Und ich sehe auch immer wieder, auch jetzt noch ärztliche Kolleg:innen den Dr. Google nach Informationen durchforsten und die landen dann bei Netdoktor oder Dr. Gumpert oder so. Was ist dein Standpunkt? Wie steuert ihr da dagegen und was macht deiner Meinung nach denn eine glaubwürdige Information aus? 

Sievert Ja, das ist eine sehr gute Frage. Also unserer Auffassung nach, bedeutet glaubwürdige Information natürlich eine gut recherchierte Information, aber auch eine gut verfasste Information. Und zu beiden dieser Teilen gehört sehr viel. Wir haben als Antwort darauf eine hauseigene Redaktion aus über 100 Ärzt:innen, Ärzten und Ärztinnen, die tagtäglich genau diese Arbeit machen, also die Inhalte recherchieren und natürlich anhand der Qualität dieser Inhalte auch irgendwie bewerten. Und da gibt es natürlich unterschiedliche Qualitätsniveaus und die werden ja auch indiziert und referenziert. Und wir bewegen uns da in der Regel auf eben Leitlinienniveau. Und da hast du dann also natürlich genau diese, diese Gütekriterien auch irgendwie angegeben. Und auch, bewegen uns auch oft in verschiedenen anderen solcher Quellen. Und dann kommt irgendwo der Übersetzungsteil, also natürlich einmal, was davon ist jetzt relevant und WIE stellen wir das dar? Und ich glaube, ich weiß nicht, ob das ein deutsches Phänomen ist, aber mir ging das während des Studiums immer so, dass ich jetzt es nicht unbedingt sehr eingängig zu lesen fand, was so über, ja also jeder/ jegliche Art von medizinischer Information im Prinzip eigentlich wie die verfasst wurde- 

Madeleine Sicherlich auch, also war das auch so in den vor allem in älteren Büchern, um auch dieses Bild, des Halbgottes in weiß, aufrecht zu erhalten und nur wenn man das versteht- Ich erinnere mich sehr gut an Teile meines Studiums, wo ich dachte 'Mein Gott, das kann man doch wirklich jetzt ein bisschen leichter ausdrücken' warum- 

Sievert Genau. Also so- und das sind so- also ich denke, auch hier gilt für uns das Mantra sozusagen, wir haben den, wir wollen den Nutzer im Blick haben und und und unsere Mission. Also ist es für uns eigentlich total wichtig. Also nicht nur eigentlich. Es ist für uns total wichtig, dass jeder Satz und jede Information so GUT verständlich ist wie möglich. Und das bedeutet erst mal: wie, im Prinzip, wie einfach können wir etwas ausdrücken, ohne dabei irgendwie ungenau zu werden und trotzdem sozusagen die wesentliche Information rüberzubringen? Aber das ist, das ist für sich schon eine Kunst. Dafür haben wir einen eigenen Teil der Redaktion, der sich nur damit beschäftigt, der nur darauf achtet. Können wir, können wir das einfacher formulieren? Können wir hier Schachtelsätze rausnehmen, wo man dann nicht versteht, auf worauf sich was bezieht? Können wir irgendwie Fachtermini durch einfachere Wörter ersetzen und usw und so fort? Denn am Ende ist ja das Ziel, dass man so viel wie möglich von der gelesenen Information mitnimmt und dann natürlich anwendet. (Madeleine lacht: Ja.) Und das ist ja sozusagen für den Arzt selbst so, dass ist dann später auch noch einmal für den Patienten so ja, wenn man dem  Patienten begegnet mit irgendwie lauter Fachtermini, dann wissen wir auch, was da passiert. Und selbst, wenn man die nicht verwendet, nimmt der arme Patient am Ende eines Gesprächs nicht unbedingt so viel mit. Aber wenn man sich dann auch und vor allem in Latein ausdrückt oder irgendwie so, dann, dann wird es natürlich noch schwieriger. Und das, also das kann nicht Sinn und Zweck der Sache von Wissensvermittlung sein für uns und insofern macht Qualität- um auf deine Frage- Eingangsfrage zurück zu kehren- macht macht Qualität für uns aus, dass man natürlich irgendwie die richtigen Informationen aus diesem ganzen Wust an Informationen herausfiltert und die in etwas runterbricht, was für den Arzt wesentlich ist und anwendbar ist und. Und dieses Anwendbare wiederum wird dann durch viele, viele Faktoren entschieden, so was wie eben Verständlichkeit der Information, Auffindbarkeit der Information, Zeit, in der ich an die richtige Information gelange usw und so fort. 

Madeleine Ich habe mich vorhin als wir- als du kurz künstliche Intelligenz angesprochen hast, auch noch gefragt, ob nicht bald, vielleicht auch heute schon, eine Maschine, eine künstliche Intelligenz, diesen Job, das Vorsortieren von Studienergebnissen, die Zusammenfassungen, schneller und vielleicht auch besser- übernehmen kann als Menschen. Und ich finde auch, da kommt ja dann so die Frage: Wie kann man, wenn das passiert, langfristig Informationen noch glauben? Was ist deine Stellung dazu oder wo siehst du, dass man künstliche Intelligenz in diesem- für eure Motivation, sage ich mal, verwenden kann, ohne dass es unglaubwürdig wird. 

Sievert Also. Wir schauen uns das natürlich auch an, wir sind jetzt nicht betriebsblind. 

Madeleine (lacht) Das wäre auch nicht mehr so innovativ. 

Sievert (lacht) Am Ende schauen wir uns dabei natürlich genau diese Faktoren an, die ich beschrieben habe. Und bisher können wir nicht sagen, dass uns das ersetzen würde oder dass das das ersetzen würde, wie wir arbeiten. Das kann hier und da Dinge manchmal beschleunigen. Aber wir würden nie, sozusagen ungesehen Informationen aus so einer Maschine weiterreichen an die Nutzer. Dafür ist es, dafür passiert zu viel Unsinn da. Und ich glaube, es wird interessanter, wenn man in diese Richtung schaut, wo man denn, was weiß ich, ein Large language Model feintunen kann mit medizinischen Daten oder irgendwie so was. 

Madeleine Das musst du mir noch mal genau erklären. Das habe ich nicht ganz verstanden. 

Sievert Ja, also wahrscheinlich ist Chat GPT das prominenteste Beispiel, was jetzt jeder irgendwie kennt. Ja, und was sehr einfach zu benutzen ist. Und ChatGPT ist ja im Prinzip eine Ausgabeseite von einem Large Language Model, also einem/ einer großen Datensammlung an- im Prinzip Sprache aus dem Internet. Und auf der Basis erstellt ChatGPT sozusagen seinen Output. Wenn ich eine Frage da reinwerfe, dann schaut ChatGPT durch den, durch quasi ein sehr komplexen und ständig dazu lernenden Algorithmus: was passt jetzt zu dem, was ich hier an Wörtern bekomme vielleicht als Antwort. Und konstruiert auf der Basis sozusagen dann durch Ähnlichkeiten von Mustern, die, die es eben so abgespeichert hat, dann eine Antwort, die aber nicht sozusagen wo/ also der Maschine das Verständnis fehlt für das, was jetzt wirklich da gefragt wurde natürlich. Und auch das Verständnis dafür, was/ was gibt es jetzt da als Output? Und das ist, also ist eine Antwort auf Ähnlichkeitsbasis, wenn man so will. Bei ChatGPT oder Open AI ist das auf, ich weiß nicht, wie viel Billionen Parametern aus dem Gesamtnetz entstanden. Das heißt also, da ist eben alles drin, was man so im Netz findet. Also auch, wie du vorhin sagtest Netdoktor.de und Dr. Gumpert und soweiter. Das ist Teil der Basis, auf die sich dann so ein ChatGPT beruft sozusagen. Bis hin dazu, dass es irgendwie Dinge erfindet. Wissen wir ja auch, diese bekannten Halluzinationen sozusagen, wo man nach, auch nach den Quellen fragt und dann denkt sich das irgendwas aus ja. (beide lachen) Und das sieht aus wie ein Paper. Gibt es aber nicht. 

Madeleine Nur das könnte natürlich noch, also ich denke schon, dass das in Zukunft irgendwie noch besser wird, wenn man jetzt noch mal zehn Jahre in die Zukunft schaut. Klar sind wir jetzt an diesem Punkt noch nicht, aber wir haben ja gesehen, was in zehn Jahren sonst so geht. 

Sievert Genau. Ja, auf jeden Fall. Also die Entwicklungsgeschwindigkeit da ist ja sehr hoch, das auf jeden Fall. Und das ist auch denkbar, dass sich das so, dass sich Modelle auf Medizin mehr und mehr spezialisieren und also auf- und das ist das, was ich meinte. Also wenn ich jetzt sozusagen ein, gibt ja verschiedene Large Language Models, nicht nur von Open AI, sondern auch andere, wenn ich die sozusagen zusätzlich trainiere mit einer Wissensdatenbank wie unserer oder einer anderen oder irgendwie so was. Ja dann, dann kann ich natürlich sagen, die Informationen, die es ausgibt, werden verlässlicher dadurch, weil die Datenbasis sich verändert hat. Und dann kann man, dann kommt man dem glaube ich schon näher, dass man sagt irgendwie "aha, da kommen interessante Ergebnisse raus und damit kann ich irgendwie auch was anfangen". Und dann wird es letztlich wie eine Art Interface oder Schnittstelle zu medizinischem Wissen. Und ich weiß sozusagen, welches medizinische Wissen drin ist. Das ist, glaube ich, das glaube ich, interessant. So was schauen wir uns selber auch an, damit arbeiten wir auch. Aber am Ende ist es für uns immer NATÜRLICH unerlässlich, dass Information von einem Arzt gesehen wird ja. Und ja, vielleicht, wie gesagt, kann man dadurch manche Schritte irgendwie ein stückweit effizienter machen. Aber je nachdem wo wir uns befinden, in- in all dem was sozusagen Amboss macht. Also würden wir das nicht ungesehen sozusagen durchschieben. 

Madeleine Und das, was du vorhin auch erzählt hast, ist natürlich, also selbstverständlich muss das jemand gesehen haben, aber die andere Leistung ist ja das Aufbereiten dieser Informationen. Und zumindest so wie man jetzt künstliche Intelligenz nutzen kann, hab ich das Gefühl, es klingt alles noch mal extra gestelzt, als es vorher schon klang. Und das fand ich auch einen total wichtigen Punkt, sich genau zu überlegen. Und das wird vielleicht auch in Zukunft nur ein Mensch machen können. Ist dieses Wissen so anwendbar für die Praxis? Bringt das den- also bringt es wirklich diesen Mehrwert, des 'Rücken freihaltens'? Oder generiere ich damit einfach noch mehr leere Worte? 

Sievert Ja. Es ist ja auch so, ich meine, wie gesagt, wir haben über 100 Leute in der Redaktion, die sind ja nicht. Das sind ja sozusagen keine reinen Theoretiker, also das sind keine Wissensroboter oder so und wir nehmen die nur für ihr Wissen. Sondern da sind eben Leute, die waren vorher leitender Oberarzt irgendwo, die 20, 25 Jahre klinische Erfahrung haben, die sie dann auch einfließen lassen in diesem Prozess, in das sozusagen. Was ist denn jetzt wichtig und was muss ich dabei beachten? Das ist dann auch nicht mehr zwangsläufig sozusagen nur Leitlinienableitung, sondern dann eben auch tatsächlich, wie du sagst so, wie kann ich das denn übersetzen in der Praxis? Wie mache ich das denn jetzt wirklich? Da weiß ich nicht, ob das so schnell, der Teil auch irgendwie zu ersetzen ist. 

Madeleine Sich verändern kann ja. Ich meine, das ist ja eine ganz schöne Power, die man damit auch hat. Als Informationsportal. Fast eine Art Informationshoheit, würde ich sagen. Was macht dieser Gedanke mit dir oder vielleicht auch mit euch als Lerngruppe damals, als ihr so neu angefangen habt, als die Gründer von Amboss? Wenn man weiß, so viele Leute nutzen das, lesen die Artikel verlassen sich darauf. Macht das auch manchmal Angst oder Druck? 

Sievert Also ja, wir haben wirklich eine hohe Reichweite. Es ist im Prinzip jeder Studierende in Deutschland und knapp ein Drittel der deutschen Ärzteschaft plus alle die, die wir nicht zählen, die auf Amboss stoßen durch Googlesuche ja. 

Madeleine Stimmt. 

Sievert Das sind schon das, das ist natürlich irgendwie auf den deutschsprachigen Raum ein sehr großer Impact. Und das ist ja, wenn man so will, ist das ja auch unsere Absicht. 

Madeleine Natürlich, ja. 

Sievert Also wir wollen sozusagen diesen Impact haben, um eben das Wissen an den Mann zu bringen und und damit weiterzubringen. Natürlich ist das auch eine Verantwortung ja klar. Das ist sehr schwerwiegende Verantwortung für uns. Aber wenn ich mir anschaue, was wir, was wir an Leuten haben, was wir an Prozessen haben, wie wir vorgehen, um dieses Wissen abzubilden, dann stimmt mich das sehr, sehr zuversichtlich für das, was wir da anbieten. Ja, und das ist, das sind Leute und Prozesse und auch Qualitätssicherungsprozesse, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass jede andere Informationsquelle das in diesem Maße genau so abbildet, wie wir das tun. Das schließt natürlich nicht aus, dass theoretisch auch mal irgendwie etwas, irgendwas ungenau sein kann oder so was. Aber es ist ja. Es ist kein- Wir sind ja eben gerade nicht ein Buch, wo dann so was drinsteht und dann- 

Madeleine Für immer gedruckt ist. 

Sievert Man das dann erst mal fünf Jahre lang nicht mehr verändern kann. (Madeleine: Das stimmt) - oder noch so ein Erratum da rein kleben muss (Anmerkung Bedeutung: Korrektur eines bereits publizierten Textes) oder irgendwie sowas, sondern das kann bei uns am nächsten Tag geändert werden. Und wir haben/ das ist eben ein lebendiges Informationsportal. Jeder 'Rote Hand Brief' kann am nächsten Tag sozusagen aktualisiert in den Inhalten stehen und was wir sehen, also bei uns kann man ja an jeder Stelle Feedback hinterlassen und auch das wird immer gescreent, das landet sofort in der Redaktion, wird angeschaut. Da wo sich Feedback häuft, da sind wir natürlich besonders aufmerksam. Es erreicht uns viel Feedback wo steht, 'in dem Buch steht aber/ in meinem Buch steht aber das und das', wo man dann halt sagen muss: Ja, stimmt, aber das ist halt dein Buch. Und das ist halt leider nicht so aktuell, wie andere digitale Informationsquellen sein können ja. Und insofern denke ich also in dem Vergleich, da müssen wir uns nicht scheuen. Ich glaube, das ist das allem nach, was ich gesehen habe, ohne uns jetzt selber auf die Schulter klopfen zu wollen, ist es die höchste Informationsqualität, die man finden kann. 


Madeleine Ja, und ich glaube auch genau deshalb, weil es so schnell veränderbar ist. Und also ich glaube, communitybased ist nochmal nicht das richtige Wort, aber es sitzen einfach sehr viele Menschen dahinter, die die Expertise haben und das so schnell anpassen können. Ich glaube, genau deshalb können sich auch so viele junge Menschen darauf verlassen, weil man viel mehr an solche Konzepte auch gewöhnt ist. Also das hat vielleicht mal angefangen mit Wikipedia, da sitzen auch ganz viele Leute dahinter. Und ja, ich glaube, das ist ein großer Faktor, warum man sich, warum es auch ein gutes Gefühl macht, sich darauf verlassen zu können. Du hast vorhin noch von Verantwortung gesprochen. Das fand ich auch noch mal ein gutes Stichwort. Mir ist in den letzten Jahren nämlich auch aufgefallen. Natürlich erlebt man so ein bisschen mit, wie sich dieses Programm auch verändert als Nutzer:innen. Und mir ist aufgefallen, dass ihr nach und nach auch auf die Darstellung unterschiedlichster Menschen geachtet habt und das immer mehr habt mit einfließen lassen. Für mich ist die große Frage, die habe ich mir auch schon häufig im Studium gestellt und im Studium in der Lehre wurde es auf jeden Fall nicht geschafft. Wie geht es, dass wir medizinischen Informationen diese Diversität zukommen lassen, die sie auch braucht und dann eben nicht nur mit europäischen weißen Augen auf Krankheit schauen? 

Sievert Ja. Das finde ich eine total gute Frage. Auch ich glaube, das ist letztlich. So, wie wir das erleben, ist es natürlich ein vielschichtiges Thema. Also es gibt, wie du sagst, die Abbildung. Wir haben seit ich weiß nicht genau, seit wann. Ich meine, wir haben, wir haben ein professionelles medizinisches Illustrationsteam, die- ich ich meine tatsächlich, dass die so relativ von Anfang an gesagt haben "Hey, wir müssen eigentlich sowohl anatomische Verhältnisse als auch pathologische Verhältnisse auf allen Hauttypen, auf allen Konstitutionstypen zeigen. Der Kranke darf nicht immer nur SO aussehen, sondern er muss auch mal anders aussehen dürfen". Das ist sozusagen Diversität an sich in der Darstellung auch kein, kein ganz einfaches Thema. Es ist natürlich auch klar, wenn wir uns jetzt sozusagen Hautbefunde anschauen, dann sehen die auf unterschiedlichen Hauttypen einfach auch unterschiedlich aus oder sind teilweise total schwer zu erkennen vielleicht ja. Aber es geht ja noch darüber hinaus, dass also auch ein großer Teil der wissenschaftlichen Erkenntnisse häufig nur aus einer gewissen Population stammt und sich in anderen Ethnizitäten die Krankheiten auch anders darstellen können oder auch einfach im anderen Geschlecht. Soweit ich weiß, basiert auch ein großer Teil medizinischer Erkenntnisse vor allem auf dem, dem weißen Mann, weil der eben nun mal in solchen Studien inkludiert ist und weil daher die Studien kommen. 

Madeleine Ja ich wollte dich gerade fragen, ob ihr da nicht auch irgendwann an Grenzen stoßt, weil wenn man selber das Selbstverständnis hat, Informationen divers darzustellen, aber dann ja trotzdem nur auf die Studienergebnisse zugreifen kann, die eben so und so arbeiten. 

Sievert Ja, natürlich. Also wir stoßen natürlich an die Grenzen dessen, was eben durch die Forschung schon bekannt ist. Und natürlich können wir hier und da auf die Erfahrungen unserer Ärzte zurückgreifen, die im klinischen Alltag dann irgendwie auch schon andere Dinge gesehen haben. Es gibt auf jeden Fall meinem/ meiner Wahrnehmung nach mehr Bewusstsein dafür im angloamerikanischen Raum. Da kommt auf jeden Fall mehr daher und auch zunehmend mehr Studienerkenntnisse sozusagen mit solchen Hintergründen. Das sind wir glaube ich einfach auch aufgrund der Populationszusammensetzung vielleicht in Deutschland noch nicht so weit wie in den USA oder so was. Ja, das sieht man auf jeden Fall als Trend. Und je mehr natürlich Amboss irgendwie auch sozusagen einen globalen Anspruch hat und und global genutzt wird, umso mehr wollen wir das abbilden, umso mehr kommt das in die Plattformen, umso mehr kann man tatsächlich auch über Geografien hinweg Vergleiche anstellen und, und schauen, was sich verändert und und was unterschiedlich ist. Aber ja, das ist ein das ist ein Prozess, ist ein vielschichtiger Prozess. Und wir, wir haben den auf jeden Fall für uns begonnen, aber den können wir auch nicht ganz alleine leisten. Aber wir versuchen den natürlich irgendwie abzubilden. 

Madeleine Und würdest du sagen, das war von Anfang an auch ein Punkt. Oder ist euch das irgendwie später bewusster geworden? Wo kommt diese Motivation her? War das auch für euch ein Prozess oder- 

Sievert Ja, das wäre, also das wäre jetzt natürlich- es wäre schön, wenn wir alles im Vorfeld gewusst hätten, was wir so machen können und wollen und so, aber natürlich sind viele Dinge bei uns ein Prozess, natürlich. Ein Bewusstwerdungsprozess, ein Entstehungsprozess, irgendwie auch ein Übersetzungsprozess. Das gilt für dieses Thema, das gilt für andere Themen auch. Genauso fließen immer mehr Informationen zu Planetary Health im Gesundheitssystem sozusagen auch in die Plattform ein. Das sind irgendwie ja auch wichtige Gedanken. Die ist, glaube ich, auch so ein Wandel des Zeitgeistes. In manchen Dingen sind wir vielleicht der Zeit auch voraus. In manchen Dingen die, die haben sich damals, so sage ich mal, aus deutscher Studierendenperspektive nicht sofort aufgedrängt oder so. Und die kommen natürlich dadurch, dass wir dann viel mehr Perspektiven aufnehmen in das, was wir so machen. Und diese Vielfältigkeit der Perspektiven, die ist eben natürlich total bereichernd für die Gesamtplattform. 

Madeleine Ich könnte mir auch vorstellen, dass ihr auch als ihr angefangen habt, wieder in andere Länder- in anderen Ländern euer Produkt anzubieten, dass ihr einfach anderes Feedback bekommen habt aus anderen Ländern, oder? 

Sievert Ja klar. Also prinzipiell meistens erst mal positives Feedback. Und ja, wir sind die ganze Internationalisierung angegangen, weil wir gesehen haben, dass Leute aus aller Herren Länder ja das deutsche Amboss nutzen und sich per Google Translate in ihre Heimatsprache übersetzen, in Schwedisch und keine Ahnung was. Aber ja klar, es kommt natürlich auch, es kommen, es gibt auch andere Einflüsse, andere Blickwinkel auf Inhalte. Es ist ja auch, muss man ja ehrlicherweise sagen, nicht überall in der Welt möglich, nach deutschen oder US Standards zu handeln. (Madeleine: Ganz genau.) Das wissen wir ja auch. Das ist ja sozusagen, also das eine ist es, denke ich, erst mal diese Standards aufzuzeigen. Und das ist ein Teil der Rechnung. Aber es gibt natürlich auch den: was mache ich denn jetzt daraus, wenn ich hier in Tansania stehe und nicht diese Mittel zur Verfügung habe? 

Madeleine Das ist ein total wichtiger Punkt, das habe ich mir nämlich vorhin gedacht bei der Anwendbarkeit der Informationen. So wie die Praxis aussieht, das kann man nicht von Deutschland, das kann man nicht mal nach Schweden vergleichen, geschweige denn- also ich habe/ ich kenne das Gesundheitssystem in Mexiko ganz gut und wenn ich mir da überlege, was da anwendbar ist, das ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem deutschen System. Habt ihr da schon Gedanken, wie ihr das angehen könnt? Also so als Beispiel, in einem Krankenhaus, in dem ich gearbeitet habe, gibt es als einziges Antibiotikum zu dieser Zeit Amoxicillin. Und dann brauche ich halt nicht die Abwägung zu machen, welches ich jetzt nehme. 

Sievert Ja.

Madeleine Und diese Information, diese Anwendbarkeit der Information ist eine ganz andere. 

Sievert Ja, also schwieriger Punkt. Vollkommen richtig. Das ist natürlich total schwierig. Ich glaube, erst mal können wir vor allem sozusagen diesen Teil der Gleichung erfüllen, wo wir sagen 'okay, das wäre jetzt das, was sozusagen der STANDARD wäre, der der LOKALE Standard dessen, was irgendwie möglich ist, der kann natürlich davon abweichen. Ich glaube, es ist trotzdem gut zu wissen sozusagen, zu verstehen, was wir hier tun. Aber klar, wenn ich jetzt nur ein Antibiotikum habe, keine Reserveantibiotika oder irgendwie so was, dann ist natürlich ein Teil der Umsetzung, ist natürlich stark erschwert. Was man- das werden wir nicht, werden WIR nicht auf lokaler Ebene für alle lösen können. Das ist selbst in Deutschland sozusagen sind die Standards auf - selbst wenn man sich auf die gleiche Leitlinie be (Madeleine: Stimmt ja.) zieht, sind die Standards in den Krankenhäusern unterschiedlich. Von den Medikamenten, die zur Verfügung stehen, den Antibiotikaresistenzen, die es lokal gibt und so und das ist, denke ich, etwas, wo man sozusagen, glaube ich, perspektivisch mehr und mehr mit einer Art auch so SOPs arbeiten muss, die dann aber aus dem lokalen Raum irgendwie kommen. Also wo man sagt so 'Hey, diesen Teil der Information, dem muss dann entweder das Krankenhaus oder oder auch das Land oder wie auch immer selber leisten können diese Übersetzungsleistung, weil das. Das sprengt natürlich den Rahmen dessen, was wir irgendwie sinnvoll leisten können und uns auch aktuell halten können'. Aber das ist durchaus etwas, was wir sehen. Und ich glaube, wenn man so will, ist ja Amboss ein Netzwerk aus, ich glaube fast 3 Millionen Medizinern, die auf dieser Plattform unterwegs sind, die alle auf diesen Content zugreifen und mit uns interagieren und wo man sich überlegen kann, wie/ wie lenkt man vielleicht diese Interaktion noch in andere Bahnen? Die, die vielleicht so einen Communityaspekt oder etwas in der Art haben? 

Madeleine Ich würde gern so zum Ende unseres Interviews noch mal einmal vielleicht ein größeres Bild zeichnen. Wir haben jetzt viel über Innovation und Glaubwürdigkeit von Informationen gesprochen und auch Diversität, Verantwortung. Was würdest du sagen, wenn man das alles mitdenkt, verbessern kann, was zeichnet in Zukunft Ärzte und Ärztinnen aus? Oder was zeichnet die Ärzt:innen DER Zukunft aus? 

Sievert Ja, mein- also mein und unser Bild von Ärzten in der Zukunft ist glaube ich, wie vorhin schon so teilweise angedeutet, etwas, ein Bild, was weniger sozusagen dieser Halbgott in Weiß ist, der so von oben herab mit dem Patienten irgendwie redet und der Patient nicht so richtig weiß, woran er ist eigentlich. Das ist ja auch schon etwas, was sich im Wandel befindet. Aber das sozusagen weiter zu unterstützen und hin zu einem Modell, denke ich, wo man sagt, ich werde als Arzt mehr und mehr irgendwie wie so eine Art, zu so einer Art Gesundheitsmanager für den Patienten. Also ich begleite den Patienten auf diesem Weg, der ja nicht einfach ist. Ich bin irgendwie ein Fachmann auf der einen Seite, aber ich bin auch sozusagen Ansprechpartner und Betreuer auf diesem, diesem Weg, der dem Patienten dabei hilft, die verschiedenen Optionen zu verstehen, die bestmögliche in Anbetracht der/ aller möglichen Faktoren irgendwie auszuwählen. Gemeinsam mit dem Patienten, dem Patienten, was weiß ich, die Daten zu erklären,  die Laborwerte zu erklären, die, die Bilder zu erklären und dann zu sagen 'So, und jetzt können wir das machen, ist es/ passt das? Gehst du da mit? Sozusagen. Und auch nicht nur in der einzelnen Erkrankung sozusagen zu begleiten, sondern im Prinzip eigentlich so im -mehr und mehr auch im Lebensweg oder im Weg durch dieses Gesundheitssystem zu begleiten. Und wenn wir uns auch überlegen, das natürlich eigentlich, wir beschäftigen uns vor allem mit Kranken und das ist ja auch gut, also weil die sind nun mal krank und brauchen irgendwie Linderung, aber. Gibt es nicht auch eine Möglichkeit, wie wir uns mehr mit gesunden Menschen beschäftigen und vielleicht da ansetzen, dass wir gar nicht erst hinkommen zur Krankheit. Und da, da muss ich glaub ich, so ein bisschen was im- sowohl im Mindset so der der Krankenhäuser, der der der Ärzte usw tun, muss sich sicherlich auch einiges zu tun in den/ in der Intensivierung dieses Systems was- wofür wird bezahlt und wofür nicht. Und, und so weiter. Also ich glaube, da spielen wir einen Teil so als, als Werkzeug in dieser, in diesem Bereich, weil wir dem Arzt, wie du sagst, diese Rückendeckung geben können, mit der er sich dann vielleicht nicht mehr in der gleichen Intensität beschäftigen muss, wo es natürlich total wichtig ist, dass alle, alle Grundlagen beherrscht werden, dass es ein Grundverständnis gibt davon, wie der Körper funktioniert, was bei Krankheiten passiert usw. Aber eben diese ganzen Fakten sowohl im Studium als dann vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr in der Intensität immer präsent sein müssen im Kopf des Arztes und dafür dann aber vielleicht Raum für was anderes geschaffen werden kann, wo es um menschlichen Umgang miteinander geht, wo es um Kommunikation miteinander geht, wo es um, irgendwie wie nehme ich den Patienten jetzt richtig mit? Dass wir- weil einfach nur die Fakten hin knallen, führt wahrscheinlich NICHT dazu, dass das dann so umgesetzt wird. Ja, das ist natürlich, klingt jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch, wenn man sich manche Krankheitsbilder auch anschaut. Natürlich wird es immer akute Krankheiten geben usw und es wird nicht alles in diese Richtung gehen. Aber ich glaube, das Bild des Arztes in der Zukunft für uns ist jemand, der sich mithilfe von Technologie tatsächlich immer mehr DOCH wieder dem Menschen widmen kann und und somit sozusagen durch Digitalisierung oder so wie man so will, Medizin insgesamt menschlicher wird. 

Madeleine Ich wollte eigentlich noch fragen, wenn du mal träumen könntest, was wäre deine Utopie für die Medizin der Zukunft? War das schon die Antwort darauf? Oder gibt es noch was hinzuzufügen? 

Sievert Ja, das ist auf jeden Fall/ wäre ein großer Teil dieser (lacht) vielleicht-Utopie. Aber es gibt Unterteile davon, die ich vielleicht noch hinzufügen würde. Ich, ich glaube, es gibt, meiner Meinung nach macht es keinen Sinn und ich habe keine Antwort darauf, wie es jetzt, wie, wie es, sozusagen, wie, wie man dieses Ergebnis besser herbeiführen kann. Aber es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, dass sozusagen wir Gesundheit als ein Wirtschaftssystem verstehen, in dem es um Produktivität geht und um Gewinne geht. Und die Gesundheit, die Gesundheit unserer Bevölkerung sozusagen, das ist ein ein Gut, was sich nicht durch 'schneller, weiter' und so, so stark beeinflussen lässt, dass ist- in meinem Gefühl fällt Gesundheit und Gesundheitsversorgung in einen Bereich, der ist eher so, funktioniert eher so wie Bildung, Ausbildung und auch vielleicht ein stückweit wie Kunst, wenn man so will, ja. Auch keine Ahnung, ein Streichquartett spielt ja ein Lied von- oder ein Lied/ also ein Stück- von 1700 oder so (Madeleine lacht) jetzt heute auch nicht dreimal so schnell und so. Und Sie sehen auch nicht nur zwei Geiger, sondern es sind immer noch vier. Also, und manche Dinge brauchen einfach Zeit. Also auch- 

Madeleine Ja. Gesundheit braucht Zeit. 

Sievert Ausbildung, unsere Kinderbetreuung, unsere Kinder, das braucht Zeit. Es gibt leider einen starken, eine starke Diskrepanz zwischen SOZIAL wichtigen Berufen und dem was, was sozusagen die Möglichkeiten für diese Menschen sind. Also da. Ja, das ist eben nicht so einfach zu lösen, glaube ich. 

Madeleine Dafür, darf es ja auch erst mal träumen sein und Utopie. 

Sievert Genau das ist ja die Utopie. Ja, genau. 

Madeleine Und diese Utopie teilen wir vom Heilewelt Podcast auch auf jeden Fall. 

Sievert Ja. (lacht)

Madeleine Das wäre auch Teil unserer heileren Welt. Ja, lieber Sievert, vielen lieben Dank für dieses super interessante Interview. 

Sievert Danke dir. 

Madeleine Hast du noch Abschlussworte, die du gerne hinzufügen, zufügen möchtest? Oder glaubst du, wir haben ein rundes Bild geschaffen? 

Sievert (lacht) Ich glaube, wir haben schon ein rundes Bild geschaffen. Wenn ich noch eine Sache sagen würde-dürfte, dann wäre es die, dass ich glaube, es gibt so viele Probleme in diesem Gesundheitssystem, dass ich nur dazu ermutigen kann, jeden, der/ den es irgendwie, der so ein Problem identifiziert- vielleicht auch mal zu schauen, ob man dieses Problem irgendwie lösen kann oder ob es dafür einen Weg gibt. Vielleicht auch manche der, der die sehr ausgetretenen Wege in diesem Gesundheitssystem verlässt. Für einen unberechenbaren, anderen, neuen Weg. Dann kann ich dazu nur ermuntern. 

Madeleine Empowern. Richtig schön. Vielen Dank für diese Abschlussworte und vielen lieben Dank für das Interview. 

Sievert Sehr gerne. 

Madeleine: Das war Heilewelt, der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Lieben Dank an euch fürs Zuhören. Wenn wir euch heute ein bisschen inspirieren konnten, freuen wir uns über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Website, oder über eine Bewertung auf eurer Lieblingspodcastplattform. Abonniert auch gerne unseren Newsletter oder folgt uns auf Instagram, wenn ihr keine Folge mehr verpassen wollt.

In diesem Sinne, bleibt gesund, neugierig und optimistisch und bis ganz bald.