How to find a woke doc?

Sara Grzybek über Queermed und die Vision einer diskriminierungsfreien Behandlung

Gesundheitsversorgung, in der jeder ohne Angst vor Diskriminierung Hilfe suchen kann – unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung oder äußerem Erscheinungsbild.
Im Podcast Heile Welt spricht Madeleine Sittner mit Sara Gryzbek, der Gründer*in von Queermed, über sensibilisierte Gesundheitsversorgung, diskriminierungsfreie Behandlungsräume und den Weg zu einer inklusiveren Zukunft.

Madeleine: Hi, willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Madeleine, ich bin Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur besser machen möchten, sondern das bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen.


Stellt euch heute mal eine Welt vor, in der alle Menschen ohne Angst vor Diskriminierung oder unsensibler Behandlung zu Ärzt:innen gehen können und es keinen Unterschied für ihre Gesundheit mehr macht, wie sie aussehen, welche Geschlechtsidentität sie haben oder was ihre sexuelle Orientierung ist. An dieser Vision arbeitet Sara Grzybek. Sara hat 2021 ‚Queermed Deutschland‘ gegründet.
Queermed ist ein deutschlandweites Verzeichnis von queerfreundlichen und sensibilisierten Ärzt:innen, Therapeut:innen und Praxen, in denen marginalisierte Personen Anlaufstellen finden können, um sich bei medizinischen Behandlungen sicherer zu fühlen. Sara veröffentlicht außerdem eigene Texte und bietet Vorträge sowie Workshops über sensibilisierte Gesundheitsversorgung und Empowerment an. Ich habe mich heute sehr gefreut, so lange mit Sara sprechen zu können, und das nicht nur über Queermed selbst, wie es entstanden ist und was sie genau machen, sondern auch, warum die Arbeit von Queermed so wichtig ist und wie wir nicht nur das Gesundheitspersonal erreichen können, das sich ohnehin schon für sensible ethische oder politische Themen interessiert.
Wir träumen in dieser Folge natürlich von einer Utopie, aber schlagen auch immer wieder die Brücke zur aktuellen Realität. Wir schauen immer wieder, wo wir gerade stehen und wie wir trotz bestehender Auflagen und Regularien in unserem doch eher altmodischen Gesundheitssystem den Weg zu einer sensibilisierteren Welt beginnen können.

 

Hi, guten Morgen und ein herzliches Willkommen an Dich im Heilewelt-Podcast.


Sara: Guten Morgen!

 

Madeleine: Unsere erste Frage ist immer, wie dein Tag bisher war. Jetzt ist es ja erst neun Uhr morgens, aber vielleicht hast Du trotzdem schon etwas erlebt?


Sara: Tatsächlich war ich schon trainieren. Also ich bin tatsächlich unter der Woche, gehe ich ins Fitnessstudio, von daher habe ich das auch schonmal für heute erledigt.

 

Madeleine: Wow, wann gehst Du da los? Bist Du wirklich so ein Mensch der früh um fünf im Fitnessstudio ist?

 

Sara: Ja, so früh machen die nicht auf, aber so viertel vor sechs aufstehen, dann fahre ich 20 Minuten hin mit dem Rad und dann ja so knapp 90 Minuten, je nachdem was für eine Einheit, wie schwer sie ist.


Madeleine: Ich habe mir vorher auch den Podcast mit Halbe Kartoffel angehört, dass Du Powerlifting machst, oder stimmt das? Stimm das noch?

Sara: Mh, nicht ganz- also wir haben tatsächlich über Gewichtheben gesprochen, weil Frank Joung gesehen hat, dass ich das ab und zu gerne mal poste – also speziell olympisches Gewichtheben. Mittlerweile bin ich aber so zeitlich, weil es ja sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, wenn man es so auf dem Niveau macht, wo ich es früher gemacht habe, also Richtung Wettkampfniveau – dauert dann gerne mal so eine Trainingseinheit drei bis vier Stunden.

 

Madeleine: Mhm. Und das morgens.

 

Sara: Ja. Das geht tatsächlich, irgendwann ist der Rhythmus drinne und der Körper gewöhnt sich ja an solche Belastungen, gerade auch zu so Uhrzeiten. Aber jetzt mit dem Vollzeitjob und Queermed war’s tatsächlich so - das zeitlich nicht mehr so greifbar. Und dann musste ich das Training so weitestgehend modifizieren, dass ich halt trotzdem halt irgendwie einen Fortschritt habe oder so ein Ziel vor mir habe, aber natürlich jetzt fernab von irgendwelchen Wettkampfambitionen. Dafür ist halt einfach keine Zeit da.

 

Für wen ist Queermed da?

Gesundheitsversorgung ohne Diskriminierung


Madeleine: Ja. Das kann ich gut verstehen. Damit sind wir auch eigentlich schon beim Thema Queermed: Du bist die Gründerin und Hauptperson Kraft hinter Queermed. Und vielleicht erklären wir am Anfang nochmal- oder erklärst du am Anfang nochmal ein bisschen, wen Queermed eigentlich alles ansprechen soll. Du hast mir im Vorgespräch erzählt, dass es nicht nur für queere Menschen gedacht ist.


Sara: Genau, das hast Du schon ganz gut umrissen. Auch wenn der Name so bisschen in eine bestimmte Richtung tendiert, ist der Hintergedanke von Queermed wie es funktioniert und für wen es da sein soll, intersektionaler gedacht. Es richtet sich an alle Menschen, die Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren. Aber halt auch eben, dass alle Dimensionen von Menschen mitgedacht werden. Das heißt, selbst bei queeren Menschen ist da halt nicht nur der Aspekt der Queerness mitgedacht, sondern auch alle anderen Lebensrealitäten, wodurch auch Diskriminierungserfahrungen entstehen können.

 

Madeleine: Was meinst Du damit genau?

 

Sara: Also was mir auch sehr häufig gefeedbacked wird – beispielsweise wenn es sich um mehrgewichtige oder dicke queere Menschen handelt, dass wir dann den Aspekt der Fettfeindlichkeit haben. Dazu kommen Rassismuserfahrungen, dass das dann oft nicht zusammen gesehen wird oder als ganzheitlich, Menschen die chronisch erkrankt sind, ne also das geht ja so ewig weiter. Auch der Klassismusaspekt, also gerade auch so die Zugänge zur Gesundheitsversorgung, gerade wenn wir uns TIN-Personen anschauen – also trans-, inter- und nicht-binäre Personen – und deren Zugänge zu Gesundheitsversorgung- welche Gesundheitsversorgung und welche Maßnahme wir denn von den Krankenkassen bezahlt und welche nicht. Jetzt nicht nur bei TIN-Personen sondern beispielsweise auch bei dem Thema Kinderwunsch und den Unterschieden zwischen heterosexuellen Paaren und gleichgeschlechtlichen Paaren, was da eben auch wieder von den Krankenkassen bezahlt wird und was nicht.


Madeleine: Ja okay, also ganz breit gefächert, ich glaube, das Stichwort "intersektional" ist da wichtig. Wir sind – oder du bist da quasi kurz reingegangen – ich wollte dich am Anfang auch fragen für- vor welchen Herausforderungen Menschen denn, mit Diskriminierungserfahrungen oder generell Menschen aus marginalisierten Gruppen konfrontiert sind, wenn sie medizinische Hilfe suchen. Ein paar hast du schon genannt, aber vielleicht nochmal zum Basic legen, was ist überhaupt der Gedanke hinter Queermed, wo ist da der Bedarf?

 

Sara: Also der Bedarf ist tatsächlich, als ich das Projekt gestartet hatte vor knapp drei Jahren, war es mir noch nicht so wirklich schwarz auf weiß bewusst, wie krass der Bedarf war von diesem Thema. Ich meine klar, es gibt Studien, sehr viele sogar, sei es von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als auch vom AFRO-Zensus, Positive Stimmen 2.0 von der Deutschen Aidshilfe, also da sieht man halt auch sehr viele Bereiche und wenn man sich dann halt auch die Studien gerade auch so aus den Communities selber anguckt, sieht man dann halt, wo Diskriminierung halt auch schon anfangen kann.

Das sind auch tatsächlich so Sachen, die ich angesprochen hatte und es fängt halt schon an mit so Fragen, wer hat überhaupt Zugang zu unserem Gesundheitssystem, das heißt, wer läuft denn über die gesetzlichen Krankenkassen, das heißt, wer hat überhaupt Zugang dazu, wer kann das in Anspruch nehmen und selbst wenn man theoretisch Zugang jetzt zu den gesetzlichen Krankenkassen hätte oder den Gesundheitsversorgungen, die darüber bezahlt werden, erfahren Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise Diskriminierung. Das kann halt eben anfangen, beispielsweise ein ganz typisches Beispiel bei TIN-Personen ist es, wenn sie eine Praxis aufsuchen und ein anderes Aussehen haben als mittlerweile auf der Krankenkassenkarte, das heißt, sie haben ein anderes Aussehen, weil sich das beispielsweise in der Transition verändert hat, also dieser Transition, ja dieser Schritt sozusagen, geschlechtsangleichende Maßnahmen durchzuführen, die ganz unterschiedlich aussehen können, hormonell, auch alleine die Kleidung, Frisur, aber auch natürlich auch operativ gibt es da verschiedene Möglichkeiten, wo natürlich auch wieder die Frage ist, was können sich die Leute davon leisten, weil es teilweise natürlich so richtig- wenn viel Geld da ist, was dann auch in den seltensten Fällen hier in Deutschland von den Krankenkassen bezahlt wird, Laser-Epilation, dass dann beispielsweise Bartschatten oder sowas verschwindet, bis hin zu sogenannter Feminisierung von Gesichtszügen, das heißt, dass dann halt chirurgisch im Gesicht dann der Schädel so ein bisschen angepasst wird, dass es dann halt nach außen hin eher weiblich konnotiert oder weiblich gelesen wird- aber dann mal zurück zum eigentlichen Thema, es gibt dann halt verschiedene Maßnahmen, die halt bezahlt werden und eben nicht, das ist ja auch wieder so ein klassistischer Aspekt, so wer hat überhaupt Zugänge und wer kann sich diese dann halt eigenständig verschaffen.

- und wir wissen aber auch gleichzeitig, dass Diskriminierung nicht nur in der Praxis stattfindet oder in der Klinik, sondern halt eben überall, das sind halt Menschen, die dann auch natürlich ständig unter diesem Minoritätenstress unterworfen sind, das heißt, sie erfahren ständig Diskriminierung, sind ständig in so einer gestressten Hab-Acht-Stellung, wo sie halt erwarten, „okay, was kann es sein?“ und wenn wir jetzt da ein bisschen weggehen und uns andere Gruppen anschauen, da gibt es auch sehr viele Erfahrungsberichte, beispielsweise schwarze Personen oder speziell schwarze Frauen, die in der Geburtenversorgung deutlich schlechter versorgt werden als weiße gebärende Personen, dass denen vergleichsweise deutlich weniger Schmerzmittel verabreicht wird, weil halt eben dieses Vorurteil herrscht, schwarze Menschen könnten Schmerzen besser aushalten. Da sehen wir aber auch eben durch Erfahrungsberichte oder eben auch durch Studien gerade in Amerika, dass dadurch unter anderem durch diese schlechtere Gesundheitsversorgung die Sterblichkeit bei Geburten deutlich höher ist bei schwarzen Gebärenden als bei weißen und das zieht sich dann eben durch.

Also da gibt es ansonsten, ich hatte vorhin dicke und mehrgewichtige Menschen angesprochen, da es ist ja auch - sehr viele Leute, die mit Gesundheitsproblemen die Praxis besuchen und kriegen häufig noch, bevor irgendwelche Diagnosen stattgefunden haben, den Kommentar vom medizinischen Fachpersonal „Nehmen sie einfach ab und dann hat sich das“. Und das kann halt auch eigentlich nicht sein, dass das studiertes Fachpersonal ohne eine Diagnose erstmal so einen Kommentar abgibt. Aber das ist natürlich sowas, womit sich dann diese Menschen halt tagtäglich befassen müssen. Und es ist nun mal so, dass Menschen das nicht gerne -also niemand möchte freiwillig diskriminiert werden, das ist ja selbstverständlich - aber natürlich ist es dann halt auch so, dass diese Menschen, die die Diskriminierungserfahrungen machen tagtäglich, dass sie dann halt auch sehr, sehr stark auswählen, in welcher Intensität kann man das ertragen. Und dann natürlich in gesundheitsversorgenden Maßnahmen ist es dann halt auch die Frage, so „okay, mache ich das oder zögere ich das hinaus“, bis es einfach gar nicht mehr geht. Und das ist auch der fahrlässige Aspekt, dass wir ein Gesundheitssystem haben, was natürlich sehr viel wirbt um Vorsorge, Vorsorgeuntersuchungen, regelmäßige Kontrollen. Aber dann gleichermaßen Menschen so viel Diskriminierung erfahren und wir haben das ja auch. Wir haben Studien, wir haben Erfahrungsberichte, wir haben so viel Information, dass das stattfindet, dass dann Leute auch sagen, „ich gehe lieber gar nicht hin, bevor ich mich diskriminieren lasse“. Ich kenne das halt auch aus dem privaten Bereich, dass so viele Leute dann halt mit riesigen Bauchschmerzen kommentieren, “ich muss in die Praxis und ich möchte einfach nicht“.

Es kann auch nicht sein, dass wir so ein System haben, wo Leute sich so vehement davor sträuben, dass sie eigentlich auch ihre Gesundheit in Gefahr bringen können, einfach nur um Diskriminierung nicht zu erfahren.

 

Madeleine: Ja, das ist schon krass, wenn man sich das überlegt. So eine Präventionsmaßnahme soll ja wirklich präventiv vor allem anderen irgendwie stattfinden und dass die Diskriminierungserfahrungen so viele sind, sich so angehäuft haben oder so intens sind für Menschen, dass sie  also nicht freiwillig, aber dass sie lieber das rauszögern, als diese Angebote wahrnehmen zu können, da muss man sich mal in die Schuhe versetzen und sich überlegen, was das eigentlich für eine krasse Abwägung ist.

Ein anderer Punkt, den wir noch nicht so genannt haben, sind ja wirklich Barrieren, also nicht nur diese Barrieren, die wir schon gesprochen haben, sondern richtig körperliche Barrieren, eine Treppe, die von behinderten Personen nicht überwunden werden kann. Wenn man da mal mit offenen Augen in eine Praxis geht oder sich auf den Weg dahin macht, wie schlecht manche Praxen und auch Krankenhäuser zu erreichen sind, ja wahrscheinlich mehr Praxen als Krankenhäuser, aber wie schwer das zu erreichen ist, was da alles im Weg steht, dass man diese Praxis ordentlich erreichen kann und wie man sich auch in der Praxis selbst bewegen kann, da fallen einem schon ganz schön abstruse Dinge manchmal auf.

 

Sara: Nicht nur. Also klar, das Thema Treppen oder Zugänge über Aufzüge, ob überhaupt Aufzüge groß genug sind für alle möglichen Rollstühle, weil es gibt ja elektrische Rollstühle, es gibt so viele verschiedene und ich höre auch dann von befreundeten Personen die abstrusesten Geschichten, sodass sie gerade so reingepasst haben und das dann halt auch so so, ja, okay, was passiert denn jetzt, wenn ich jetzt in einem Fahrstuhl stecken bleibe so- und ich kann mich halt gar nicht bewegen, weil der dann halt genau so breit ist, wie gerade so der Rollstuhl ist- aber auch solche Zugänge, so wie kann ich überhaupt einen Termin machen, muss ich anrufen und dann zu bestimmten Uhrzeiten, gibt es denn nicht vielleicht doch die Möglichkeit über E-Mail, das ist auch tatsächlich seltener und habe ich auch tatsächlich häufiger eher in Kliniken gesehen, die dann so Praxen haben oder halt eben Tools - um jetzt keine Werbung zu machen für bestimmte Anbieter, aber es gibt bestimmte Tools zur Terminierung, einfach online oder per Apps - weil natürlich auch viele, weil natürlich auch Leute vergessen werden, die beispielsweise soziale Phobien haben.

Oder halt eben auch den Stress haben, dass Deutsch nicht ihre erste Sprache ist.

 

Madeleine: Oder gehörlos sind.

 

Sara: Ja, das heißt, welche Informationen sind auf der Webseite, in welchen Sprachen, Thema leichte oder einfache Sprache, gibt es da überhaupt Informationen. Informationen nicht nur zu den Parkmöglichkeiten, was irgendwie sehr häufig auftaucht, aber auch Möglichkeit, solche Informationen so, wie viele Stockwerke ist es da hochzulaufen oder wenn es Stufen gibt, wie viele, wie hell ist das Licht im Wartebereich, also auch so Richtung neurodivergente Menschen. Das heißt, wie laut ist das, ist der Wartebereich irgendwie so nochmal mit einer Tür abgeschlossen, dass es dort ein bisschen ruhiger ist, vielleicht auch irgendwie so ein paar Vorhänge, dass es da halt nicht das grellendste, so typische Krankenhauslicht ist und was halt für viele auch natürlich so einen Stress hervorrufen kann oder halt wenn sehr viel Fluktuation ist und das kann man ja auch ewig weiterspannen, was es da halt noch so für Barrieren eben auch gibt.

 

Die Geschichte von Queermed:

Saras Grzybeks Weg zu inklusiverer Medizin

 

Madeleine: Ja, sehr gute Punkte. Also ich denke, der Bedarf ist klar geworden. Jetzt hast du vorhin, als du angefangen hast zu sprechen gesagt: dir ist das erst im Laufe der letzten drei Jahre überhaupt bewusst geworden, wie groß der Bedarf ist.

Kannst du nochmal erzählen, so ein bisschen, wie dein Weg war, Queermed überhaupt zu gründen? Was hat dich da inspiriert und ja auch motiviert, das Ganze zu tun?

 

Sara: Das ist wahrscheinlich so die unspektakulärste Antwort (Madeleine lacht), weil natürlich dann halt immer so die Erwartungshaltung bei so einem Projekt wie Queermed ist. „Woah ich habe mich so inspiriert gefühlt durch irgendwas.“ Tatsächlich war es eher so was so mitten in Corona, in Lockdown-Zeiten, viele ehrenamtliche Tätigkeiten, die ich vorgemacht habe, sind halt weggefallen durch Kontaktsperre und solche Sachen. Und dann tatsächlich kam eine befreundete Person, die mir auf Instagram eine Story geteilt hatte und gefragt hatte so, „hey, sag mal, kennst du das überhaupt?“ Und da hatte eine Person von Queermed Österreich gesprochen. Und dann hat es irgendwie so Klick gemacht und ich dachte so, boah, voll cool. Warum haben wir das hier nicht? Und ich würde gerne mehr erfahren.

Und dann habe ich mich damals mit Julius, der Person, die Queermed Österreich ins Leben gerufen hat, ausgetauscht und gesagt, „Hier, zeig mir mal, wie das geht. Ich würde das gerne nach Deutschland bringen. Oder falls es das gibt, wie kann ich das unterstützen?“ Weil ich- also so ein kurzer Zwischencut zu, was ich eigentlich mache in der Vollzeitlohnarbeit - ich habe eigentlich einen Abschluss in Archäologie und Geschichte, habe da jahrelang gearbeitet, auch dann vor Corona ein paar Jahre zuvor ins Online-Marketing gewechselt.

 

Und ich dachte einfach so, „Hey, okay, wenn es niemand kennt, kann ich das ja vielleicht supporten, dass es einfach sichtbarer wird“. Das damals größte Projekt, was so äquivalent ähnlich war, war Gynformation, ein Kollektiv aus Hamburg, was sich vorwiegend auf gynäkologisch tätige Praxen fokussiert, auch sehr aktiv gegenüber der Entkriminalisierung von Abtreibung ist. Da habe ich mich mit denen ausgetauscht, habe gesagt, „Hey, voll cool, was ihr macht, aber ich möchte gerne was für ALLE Menschen und für alle Fachbereiche“.

Und dann haben sie gesagt, „Ja, hört sich cool an“, aber die wollen halt gerne so bei dem, was sie machen, bleiben. Aber beide Projekte, sowohl Gynformation als auch Queermed Österreich, haben gesagt, ja, sie supporten gerne. Und dann war es so, ich habe in eine Suchmaschine meiner Wahl eingegeben, „Wie baue ich eine Webseite“ und habe dann halt drei Monate lang dran gesessen neben der Arbeit, habe viel Feedback erhalten und viel Support von den beiden Projekten. Und dann nach so drei Monate habe ich dann gedacht, „okay, stellst du das mal live“. Und dann dachte ich, ja, gerade so in dem Online-Marketing-Bereich hat man noch sehr viel mit Leuten aus dem Web-Development zu tun. Und ich dachte, ja, die würden mir so auf die Schulter klopfen und sagen, „Ja, man sieht schon, dass es selbst gebaut ist, aber hast du es schön gemacht“

 

Madeleine: (lacht) Das erste Mal.

 

Sara: Ja, so. Und dann habe ich es halt auch auf Instagram gestellt und das ist halt extrem viral gegangen. Also für meine Verhältnisse war das dann halt schon so eine Reichweite, die mich erschrocken hatte. Ich habe dann auch relativ kurzfristig auch einen Instagram-Account für Queermed dann geschaffen und dann kam halt auch sehr viel.

Und ich habe am Anfang natürlich auch sehr viel nach Aussehen kommuniziert. Ich habe gefühlt irgendwie jeden AStA, jede Studierendenvertretung, jede queere Gruppe irgendwie angeschrieben, weil natürlich gerade in dieser Anfangsphase, wo Queermed sozusagen sich nur auf dieses Verzeichnis konzentriert hat, hätte das Verzeichnis nur Sinn gemacht, wenn Einträge da sind und wenn Leute es nutzen. Natürlich ist das Projekt mittlerweile deutlich größer geworden. Es ist mittlerweile auch gemeinnützig geworden. Es gibt irgendwie um die 1600 Empfehlungen deutschlandweit bei gleichzeitig irgendwie so im Schnitt 16.000 Nutzer:innen im Monat auf der Webseite. Und ja, Social Media brauche ich jetzt nicht erzählen, da ist auch was los.

Ja, und es hat sich halt schon krass gewandelt und vor allem halt auch, wie viele Leute einfach dann auch auf mich persönlich zugegangen sind und gesagt haben, „Boah, ich war jahrelang nicht in der Praxis oder ich war jahrelang, hätte ich eigentlich Therapie gebraucht, aber ich habe mich nicht getraut wegen schlechten Erfahrungen, weil ich Angst hatte“. Und ich kriege wöchentlich irgendwie so Nachrichten so, „Boah, ich habe endlich einen Endo gefunden, also eine endokrinologische Praxis. Oder ja, ich habe endlich mich getraut, eine Therapie anzufangen, weil ich jemanden gefunden habe“. Oder selbst solche Sachen so, „Aah, ich brauche eigentlich gar keinen. Gerade habe ich geguckt und meine Gynäkologin ist da. Und das ist voll schön so zu wissen, so hey, okay, sie ist auch so sensibilisiert für andere Menschen“.

Mittlerweile arbeiten noch mehrere Beratungsstellen mit mir zusammen, die dann halt für die Arbeit mit Klient:innen dann halt das Verzeichnis ausnutzen und selber füttern mit Empfehlungen. Und ja, was halt so nebenbei so passiert, sind Preise bekommen, Förderungen bekommen. So jetzt beispielsweise zuletzt von der Bundeszentrale für politische Bildung eine Förderung sozusagen erhalten- beziehungsweise Schrägstrich-Preisgeld.

Ja, und das so ganz kurz rekapituliert, wie die letzten drei Jahre gewesen sind.

 

Das Angebot von Queermed:

Was du wissen musst

 

Madeleine: Ja, Wahnsinn. Eigentlich reingerutscht und dann ist es ganz schön abgegangen.

Kannst du jetzt nochmal zusammenfassen, wo du gerade stehst? Ich mache das auch manchmal noch falsch, dass ich ihr sage im Sinne von das Team hinter Queermed, aber man muss schon sagen, dass das ja vor allem du bist. Was bietet Queermed aktuell alles an? Also Verzeichnis, klar, was noch?

 

Sara: Ja, neben dem Verzeichnis, was du schon angesprochen hast, wo ich auch gerne nochmal so reingrätschen möchte und sagen möchte, das ist ja ein Verzeichnis, was auf Patient:innen-Empfehlungen von den Communities, für die Communities basiert. Also Ärzt:nnen können sich da nicht selbst empfehlen.

Das ist auch immer wichtig zu sagen, weil es immer noch nach drei Jahren und nach einem FAQ und nach extra Infos auf dem Kontaktformular immer noch Leute dann kommen und sagen, „Hey, wir würden gerne auch das Verzeichnis, was muss man dafür machen?“ Das gibt es auf jeden Fall. Darüber hinaus immer mehr der Fokus auf Bildungsarbeit. Das heißt nicht nur, was online stattfindet, das heißt über den Blog, dass bestimmte Gruppen, bestimmte Themen sichtbarer gemacht werden, dass Selbstvertretende zu Wort kommen, gleichzeitig Stellungnahmen, alles Mögliche, was halt irgendwie so interessant sein könnte für Leute, sowohl im Blog, im Newsletter, als auch sehr viel auf Social Media.

Also da ist auch die Interaktion auf verschiedensten Kanälen sehr unterschiedlich und sehr spannend. Die Bildungsarbeit richtet sich aber auch immer mehr allgemein in diesen Formaten von Vorträgen und Workshops. Das heißt zum einen Patient:innen, die empowert werden sollen, die über ihre Rechte informiert werden sollen, dass Leute aber auch informiert werden, dass es Beschwerdestellen gibt, weil auch sehr, sehr viele Leute nicht wissen: ich kann mich bei den zuständigen Kammern beschweren, ich kann mich beim Gesundheitsamt beschweren, bei den Kassen, bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, genau. Es gibt diese Beschwerdestellen. Und das hat aber auch noch mal zuletzt diese Studie von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt, die jetzt in der ersten Jahreshälfte veröffentlicht worden ist, dass es diese Beschwerdestellen gibt, aber sehr viele Leute wissen gar nicht, wie die aussehen. Sie haben aber natürlich auch Angst, weil die Frage ist so, okay, wer ist bei diesen Beschwerdestellen? Sind es dann wieder diese weißen, cis, privilegierten, nichtbehinderten Menschen, die halt einfach nicht dieses Verständnis haben so wie Diskriminierung stattfinden kann oder halt auch eben sich auf die Seite der Patient:innen begeben, wenn halt Diskriminierung stattfindet?

Gleichermaßen, wenn wir jetzt sozusagen die andere Gruppe haben, die im Gesundheitswesen unterwegs ist, bei Ärzt:innen und Therapeut:innen, da halt richten Awareness-Arbeit, das heißt denen vermitteln so, ‚hey, wie kann diskriminierungssensibler Umgang mit PatientInnen anfangen‘? Das kann ganz niedrigschwellig anfangen mit Anamnesebögen und was sich für Fragen stellen, eben um eben Themen sichtbar zu machen und Menschen sichtbar zu machen. Deshalb gibt es auch seit Jahresanfang gerade nur für drei Fachbereiche- für die Allgemeinmedizin, die Verhaltenstherapie, in der Psychotherapie und die Gynäkologie - Anamnesebögen kostenlos zum Runterladen, zum Inspirieren lassen, zum Annehmen. Gleichermaßen seit Jahresanfang gibt es den Leitplan zum sensibilisierten Umgang mit Patient:innen in einer stark überarbeiteten Fassung. Es gab den halt auch schon vorher, denn die allererste Version hatte ich damals tatsächlich mit Julius von Queermed Österreich erstellt, aber dann halt immer häufiger den Need gesehen, okay, es fehlen aber Bereiche, es muss was noch dazukommen.

Jetzt ist tatsächlich so ein knapp - in PDF-Format- so ein knapp 40-seitiges PDF-Format, wo halt wirklich alles erklärt wird von, wie Diskriminierung stattfindet, was sind Diskriminierungsebenen, wie Intersektionalität funktioniert und wie halt Ärzt:innen anfangen können, sich damit zu befassen, wie sie sich weiterbilden können. Hier mal Patient:innen-Rechte, das sie natürlich auch darüber Bescheid wissen, was die Rechte von Patient:innen sind. Genau, also das ist halt auch tatsächlich das, was immer mehr und immer häufiger relevant ist für Queermed.

 

So funktioniert der Bewertungsprozess bei Queermed 

 

Madeleine: Mhm. Lass uns nochmal über das Bewertungen und Abgeben explizit sprechen. Wie funktioniert das genau? Wer kann da Empfehlungen abgeben? Wie funktioniert der Prozess dahinter? Findest du es – also ist es eine, ein gesetzter Punkt was unbedingt so sein sollte, dass man selbst von dieser marginalisierten Gruppe betroffen ist oder dieser Gruppe angehört, um eine Bewertung oder eine Empfehlung abgeben zu können? Gibt es dahinter irgendeine Art Filter, damit man feststellen kann oder die Leute rausfiltern kann, die sich vielleicht auch selber bewerten? Wie läuft der Prozess dahinter so ab?

 

Sara: Wie vorhin schon erwähnt, funktioniert das Verzeichnis von Patient:innen für Patient:innen? Das heißt, wenn Patient:innen eine positive Empfehlung haben, die sie gerne abgeben möchten, können sie das über einen anonymen Fragebogen auf der Webseite machen. Der ist aktuell in drei Hauptteile unterteilt.

Er beginnt mit den einfachen Kontaktdaten. Das heißt, wo ist die Praxis oder die Klinik? Wie kann ich sie erreichen? Wie werden Termine vereinbart? Welche Sprachen werden gesprochen? Irgendwelche ersten Auffälligkeiten, wo man sich noch gerade aus der Anamnese irgendwie erinnern kann. Das heißt, wie ist der Anamnesebogen aufgebaut? Wie ist der Kontakt mit dem Praxispersonal, falls es eins gibt? Dann fängt es auch so an mit dem Thema Barrierefreiheit. Das heißt, wie sind die Zugänge? Dass das angekreuzt werden kann. Es gibt aber immer die Möglichkeit, über Freitextfelder zusätzliche Informationen zu liefern, die vielleicht fehlen, die ergänzt werden können. Dann wird auch noch mal der Aspekt gefragt, wie war allgemein der Umgang mit der praktizierenden Person oder den Personen? Das heißt, wie sind sie auf Kritik eingegangen? Sind diskriminierende Aussagen gefallen? Einfach, um das nochmal abzufragen, dass sich die Leute damit beschäftigen.

Zu guter Letzt ist dann sozusagen dieser Punkt der Selbstvertretenden. Das heißt, so wie Queermed funktioniert, das ist natürlich mit einem großen Vertrauensvorschuss. Dadurch, dass die Empfehlungen anonym passieren, sollen die Leute angeben, wen sie selbst repräsentieren und für wen sie die Empfehlung aussprechen möchten.

Das heißt, es gibt mittlerweile um die knapp 30 Kategorien, die in der Mehrfachauswahl angekreuzt werden können, von eben trans-, inter-, nonbinär, schwarze, indigene Personen, Personen mit chronischen Erkrankungen, neurodivergente Menschen, Menschen mit Erfahrung sexualisierter Gewalt. Die Leute kreuzen das eben an, was für sie zutrifft und wo sie die Empfehlung aussprechen möchten. Sie können am Ende aber auch immer noch auf der gleichen Seite die Empfehlung einschränken und sagen können, beispielsweise, was immer mal wieder auftaucht, das Thema Hormontherapie bei Transpersonen.

Dass es dann einige Ärzt:innen gibt, die da ein bisschen ein Problem damit haben, wenn Transpersonen keine Hormontherapie machen möchten. Also die haben ein Problem damit, wenn Transpersonen selber sagen, „Ne, ich brauche die Hormontherapie für mich nicht oder ich brauche geschlechtsangleichende Operationen - brauche ich nicht“, entweder das eine oder das andere. Aber dass das eine gute Information ist für Leute, dass sie sich darauf einstellen können, dass das ein Thema sein kann.

Oder das Thema binäre Transpersonen/ nonbinäre Transpersonen. Oder das Thema Fettfeindlichkeit, wie da Ärzt:innen darauf reagieren. Das kann man halt immer noch einschränken.

Es gibt dann immer auch die Möglichkeit, das war tatsächlich auch so durch Feedback durch Leute, dass sie gerne für Fragen zur Verfügung stehen möchten im Rückgang. Das heißt, es gibt auch die Möglichkeit, eine E-Mail-Adresse zu hinterlegen. Das ist natürlich alles ein bisschen de-anonymisiert.

Aber ansonsten ist halt alles freiwillig, bis auf eben die Kontaktdaten. Weil ich muss- und dann kommen wir zu diesem prüfenden Aspekt. Ich muss sozusagen eine Suche imitieren und herausfinden, kann ich diese Informationen irgendwie wiederfinden? Kann ich sie irgendwie ergänzen durch eine Internetsuche? Vieles kann ich natürlich halt nicht so eindeutig überprüfen, weil ich bin nicht vor Ort, ich bin nicht in der Praxis.

Und es ist natürlich ein immenser Vertrauensvorschuss, den ich dann natürlich den Leuten gebe. Gleichermaßen weiß ich aber, dass hier Leute sehr, sehr aktiv und sehr, sehr schnell reagieren, wenn ihnen irgendwas auffällt. Also ich habe auch sehr, sehr viele, sehr häufig E-Mails von Sachen so, „Hey, ich möchte irgendwie meine Empfehlung zurücknehmen“.

„Hey, ich habe gesehen, dass diese jene Person da ist“. Also es ist tatsächlich so ein System, was sich die ganze Zeit selber kontrolliert, was ich sehr erstaunlich finde und auch sehr schön finde. Gleichermaßen melden sich aber auch Leute, „Ärzt:in ist verstorben, Ärzt:in ist umgezogen“.

Manchmal melden sich auch Ärzt:innen selber so, „Hey, ich wollte nur meine Kontaktdaten ändern“, was fein ist, was auch sehr hilfsbereit ist, wenn die sich selber melden. Weil ich habe bei so vielen Empfehlungen auch nicht den Überblick, was bei denen allen passiert. Wie man jetzt Selbstempfehlungen herausfindet? Also man muss sagen, sehr viele machen es sich sehr einfach und denken so, „Hey, wenn ich einfach alle 30 Kategorien am Ende ankreuze, dann passt es schon“. (Madeleine lacht) Also wenn das eine Empfehlung ist von einer Einzelperson, ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr gering, dass die alle mit - also wenn man sich die Filter anguckt, das ist ja alles. Oder halt, wenn dann so ein krass werbender Eindruck entsteht -ich finde da nichts Gutes dran, aber - ist jetzt auf dieser ‚Fokus-Ärzt:innen-Liste‘ oder irgendwie sowas. Oder hat diese oder jene Preise gewonnen. Oder ist Speaker bei dies und jenes? Und dann denke ich mir so, welche Patient:innen schauen da drauf, ob der jetzt irgendwie Speaker bei XY war oder so? (Madeleine lacht „Jaa“) Oder halt solche sehr verallgemeinernde Aussagen, also dass dann Leute dann auch sagen - und das ist natürlich dann halt so sehr schwammig, weil ich mir auch vorstellen kann, dass sehr viele aus Patient:innen-Sicht denken oder meinen, sie können für alle Menschen sprechen, wenn sie sagen, „Hier fühlen sich alle Leute wohl, egal welche Hautfarbe und sowas“ und das dann so -also ich kann das nicht sagen und ich finde das schwierig, das da so dahin zu stellen, weil ich glaube nicht, dass ich halt eine Empfehlung aussprechen könnte für BIPOC-Menschen, also für Black Indigene - für Schwarze Indigene und People of Color, könnte ich nicht sagen - weil ich repräsentiere die Lebensrealität nicht, ich habe nicht deren Erfahrungen, ich kann das nicht sagen (Madeleine: Genau) und das sind halt solche Sachen so, wo ich dann halt kategorisch ausschließe und sage so, „Nee“. Und um das jetzt nochmal dieses Thema und deine Frage so abzuschließen, es muss halt geguckt werden, dass halt irgendwie gepasst wird, dass das irgendwie alles passt, dass in sich schlüssig ist, dass es keine Widersprüche gibt in dieser Empfehlung, wenn es keine gibt, wird das halt alles ins Englische nochmal übersetzt, damit Bilingual funktioniert und dann wird das online gesetzt und dann können Leute auf der anderen Stelle auf der Webseite eigenständig halt filtern, so für welche Stadt, für welchen Fachbereich, welche Barrieren sollen da sozusagen nicht vorhanden sein- das heißt es sollte ein Aufzug da sein oder ein Begleithund ist erlaubt und welche Personengruppen - und das können die Leute halt frei wählen und dann, wenn sie Glück haben, dann taucht da halt eben was auf und dann können sie sich das nochmal in Ruhe angucken, können anschauen, wann die Empfehlung das letzte Mal geupdatet wurde, das heißt, das ist halt für viele auch wichtig, dass so, okay ist da jetzt nach zwei Jahren irgendwie noch irgendwas passiert oder gab es eine neue Empfehlung und das ist auch sehr wichtig für viele Leute, dass sie sehen können, ob die Person oder die Klinik, die da empfohlen worden ist, ob das nur eine Person war oder ob das mehrere sind und es gibt bereits halt schon einige Praktizierende, die dann so drei, vier, fünf Mal empfohlen worden sind, wo man weiß, da scheint wirklich was zu sein, wo die Leute sich wohlfühlen, wo sehr viele Leute hingehen, genau.

 

Madeleine: Okay, also das bedeutet eigentlich diese 1.600 Empfehlungen, die es da jetzt schon gibt, jede von denen hast du durchgeschaut, dir ganz genau überlegt, ist die echt, kann ich die da draufsetzen- ja wahnsinnige Arbeit, die da dahinter steckt und ich finde auch sehr inspirierend, wie gut es mit der Community funktioniert, dass man wirklich sagen kann, okay, das ist von Patient:innen, für Patient:innen und wenn da irgendjemand Mist hinschreibt oder das gar nicht so zutrifft, dass es auch einfach auffällt. Also das ist ja die beste Selbstkontrolle.

 

Sara: Definitiv und wie gesagt, ich habe absoluten Respekt davor, wie viel Vertrauen mir gegeben wird, weil ich kommuniziere das ja transparent so, es gibt kein richtiges Team, aber es gibt dann beispielsweise die Buchhalter:in, aber die hat jetzt keinen - also sie ist nicht in diesem „Tagesgeschäft“ sozusagen in Anführungsstrichen beschäftigt, sondern alles, was halt auf der Webseite passiert, bin halt ich - und natürlich hat es, Leute halt auch verstehen, wie dieses Verzeichnis funktioniert, dass es halt nur funktioniert, indem Leute reagieren, indem Leute Feedback geben. Und das sage ich denen halt auch regelmäßig oder kommuniziere das auch über Social Media, „Wenn ihr irgendwas seht, was halt nicht passt, kommuniziert das bitte“, damit halt andere Leute keine schlechten Erfahrungen machen und das merke ich halt auch so, wie wichtig es den Leuten auch ist, dass die Empfehlung so hilfreich wie möglich ist.

 

Was macht eine sensibilisierte Ärzt:in aus?

Madeleine: Du hattest vorhin schon gesagt, es gibt so ein paar Empfehlungen, die dann super suspicious einfach rüberkommen, wo alle 30 Kategorien ankreuzen und so generell die Frage, die dahinter steckt, ist ja - was macht eine sensibilisierte Ärzt:in, einen sensibilisierten Arzt aus und ab wann in Anführungsstrichen ist man das? Es ist ja auf jeden Fall so oder so niemand perfekt und aber insbesondere auch niemand frei von implizitem Bias. Wir haben alle eine Sozialisierung durchgemacht, in der Rassismus eine Rolle gespielt hat. Was ist denn dein Take daran, ab wann ist man sensibilisiert genug, um eigentlich empfohlen zu werden oder auch selber sagen zu können, „Ja jetzt empfinde ich mich selbst als sensibilisierte Ärztin“?

 

Sara: Das ist natürlich so eine sehr schwierige Frage.

 

Madeleine: Das ist eigentlich philosophisch.

 

Sara: Ja, aber ich finde es auch eine gute Frage, weil ich finde, das wird zu wenig gefragt.

Es fängt an mal runter zu zählen, so was habe ich eigentlich für Privilegien? War es ein sehr großes finanzielles Problem, überhaupt dieses Studium, das Medizin- oder Therapiestudium durchzuführen oder nicht? Oder konnten mir das meine Eltern bezahlen? Auch so dieses Thema Rassismus, bin ich davon betroffen überhaupt? Und wenn nicht, was kann ich dann in meiner Praxis tun? Also erkenne ich die Strukturen beispielsweise, wir hatten das mit der Versorgung von Schwarzen Gebärenden, hatte ich vorhin angesprochen. Aber es gibt auch so viele andere Sachen. Also weiß ich beispielsweise, dass diese Sauerstoffmessgeräte bei schwarzer Haut deutlich schlechter funktionieren als bei weißer Haut.

Und wie kann ich da, also bin ich aufmerksam und bin ich aware, dass es diese Probleme gibt? Auch in den Messgeräten, die im Gesundheitswesen benutzt werden.

 

Madeleine: Oder in Formeln, die man also nutzen muss, mhm.

 

Sara: Bin ich mir bewusst, in meiner Ausbildung halt auch, also welche Körper wurden dargestellt, wie werden Studien gemacht? Also welche Leute nehmen hauptsächlich an Studien teil? Sind es halt meistens nur weiße, nichtbehinderte Cis-Männer, die dann natürlich halt auch zeigen - okay, aber was ist mit allen anderen? Also klar, das Thema Gendermedizin taucht immer häufiger auf, aber wie befasse ich mich selber damit? Weil natürlich in Deutschland alle Ärzt:innen und Therapeut:innen, die verkammert sind, müssen ja übers Jahr hinaus Punkte sammeln, damit sie ihre Approbation weiterhin behalten und brauchen Akkreditierungspunkte.

Das heißt, suche ich mir da was aus, was sozusagen meine eigenen Biases abbauen kann. Es gibt viele Weiterbildungen, Fortbildungen aus den Communities selber, also beispielsweise ‚Akademie Waldschlösschen‘ in Göttingen, die ganz viele Sachen anbieten, beispielsweise Stimmtherapie für Transpersonen. Es gibt auch mittlerweile ganz bestimmte Systeme.

Also ich weiß beispielsweise gerade für Transpersonen diese LaKru-Methode, die dann halt auch so sehr signalisiert, okay, die Logopäd:innen kennen sich mit dem Thema aus. Also Stimmen, Feminisierung, in die Richtung. Das heißt, es gibt diese Weiterbildungsmaßnahmen.

Es gibt dann halt auch überall lokale Vereine, die sich darum kümmern, die sich damit beschäftigen. Es gibt Kollektive, die schwerpunktmäßig zu bestimmten Themen halt Ausbildung geben. Das heißt, damit sich befassen, so okay, was kann ich besser machen? Und natürlich halt auch in der Praxis, also beispielsweise im Leitplan von Queermed zum sensibilisierten Umgang von Patient:innen gibt es auch eine kleine Checkliste, die dann fragt so, ist meine Webseite nur auf Deutsch verfügbar? Ja, nein, warum nicht? In welchen Sprachen biete ich Informationen zu den Barrieren in der Praxis an? Wie stelle ich meine Leute ein, mein Praxispersonal ein? Achte ich da halt auch auf die Biases, die halt natürlich im Hiringprozess da sein können, die halt überall sind? Und es kann einfach so vieles sein, wo Leute halt anfangen können, aber ich glaube nicht - und deshalb habe ich mich bisher auch immer so davor vehement gewehrt, solche Zertifizierungsworkshops zu geben, was es halt auch in bestimmten Bereichen gibt. Das gibt es halt auch außerhalb des Gesundheitsbereiches, die dann sagen so, hey, okay, die sind jetzt auf irgendwie einer Liste oder die können jetzt sagen, so hier, die sind jetzt, weiß ich nicht, wie so ein Regenbogensticker vom Supermarkt. So, was heißt es dann halt am Ende? Weil natürlich halt in Praxen gibt es Fluktuationen, in Kliniken gibt es Fluktuationen.

Ich kann natürlich auch nicht über alle Diskriminierungsebenen sprechen, so wie es beispielsweise eine selbstvertretende Person tun kann. Das heißt, wo hole ich mir Wissen? Und deshalb finde ich es halt so schwierig, irgendwie davon zu sprechen, zu sagen, so hey, okay, die Person ist sozusagen komplett diskriminierungssensibel, weil das spricht doch so ein bisschen dagegen, was halt…

 

Madeleine: Das gibt es eigentlich nicht.

 

Sara: Nee. Also klar, es wird dann, also was oft dann halt immer gesagt wird, so hier ‚Safe Spaces‘ oder ‚Safer Spaces‘. Queermed arbeitet mit so Safer Spaces, mit dem Aspekt, die sind sicherer als andere, weil wir uns halt klar vor Augen machen müssen, so, es gibt keinen diskriminierungsfreien Raum. Also da geht auch tatsächlich eher so diese Argumentation immer häufiger in diesen Braver Spaces, dass man offen ist, selbstreflektiert zu handeln und selbstreflektiert darauf einzugehen, wenn Leute einem sagen, so „Hey, das, was du gerade gesagt hast, das war voll diskriminierend und das war nicht in Ordnung“, dass die Leute dann halt diese Selbstreflektion haben und sagen, „Okay, das war mein Fehler, es tut mir leid, was kann ich besser machen“ so. Und dass natürlich halt in diesen Braver Space Räumen diese Argumentation auf Augenhöhe stattfindet, dass man halt sagt, hey, man ist offen gegenüber Aussagen, wenn einem gesagt wird, so „Hey, du warst diskriminierend oder du hast dich diskriminierend verhalten“, gleichermaßen, dass es halt diesen Raum gibt, so darüber halt zu sprechen zu können.

Und ich finde, es ist halt so eine tägliche Aufgabe oder wie beispielsweise Tupoka Ogette

sagt: es ist halt wie so ein Muskel im Hirn, den man trainieren muss täglich, damit der halt sozusagen aktiv ist, damit er stark genug ist, damit er reagieren kann auf alle diese Sachen. Und das sehe ich halt ähnlich. Also da kann ich halt sehr mit resonieren, dass es halt ein tagtäglicher Prozess ist, mit dem man sich beschäftigen muss, damit man dann halt auch natürlich Sachen, die jahrhundertelang in der Medizin beigebracht worden sind, die Jahrzehnte einem im Studium, in der Ausbildung beigebracht worden sind, mit denen man sozialisiert worden ist, gerade halt in westlichen Ländern, dass man halt das Stück für Stück abbaut.

Und natürlich kann es sein, gerade so beim Thema inklusives Gendern, dass es mal rausrutscht, aber dann halt zu sagen, „Sorry“ und dann halt einfach weiter, dass man das halt anerkennt, so hey, okay, es ist ein Prozess, ich lerne es und es wird halt immer besser. Und rückblickend auf ein halbes Jahr, auf ein Jahr kann man dann halt schon sagen, so „Hey, okay, das habe ich besser gemacht“. Aber es muss dann halt jede Person, jede Praxis, jede Klinik für sich selber entscheiden, so okay, was ist halt, wohin wollen wir uns bewegen und wie wollen wir mit unseren Patient:innen in Zukunft umgehen?

 

Strukturelle Hindernisse in der Gesundheitsversorgung

wie Queermed sie überwindet

 

Madeleine: Ich sehe bei dem, was du sagst oder auf dem Leitfaden steht, ein großes Praxisproblem. Die ganze Ausbildung ist ja sehr oder dieser Weg zu mehr Sensibilisierung ist ja sehr auf das Individuum bezogen. Und manchmal habe ich das Gefühl in der Praxis, gerade in dieser Zeit, in der ich mich gerade befinde, zwischen Studium, in der ich mich sehr viel beschäftigt habe mit diesen Themen und alle freiwilligen oder Zusatzangebote wahrgenommen habe im Übergang jetzt zur Arbeitswelt. Manchmal habe ich das Gefühl, okay, cool, man hat ganz viel Wissen angesammelt und dann in der Praxis ist man so vielen Regularien unterlegen und arbeitet ja auch im Team und Krankenhaus ist ein extrem hierarchisches Konstrukt oder da wird sehr hierarchisch gearbeitet.

Manchmal habe ich das Gefühl, ‚there is only so much you can do‘, auch wenn ich dafür sensibilisiert bin. Aber ich weiß ganz genau, mein Chefarzt scheißt mich gleich an, wenn ich gendere oder wenn ich, was weiß ich, sage, dann mache ich es halt nicht. Oder Thema Personalsuche hast du vorhin auch angesprochen. Klar wäre es super, super schön, wenn ich ein diverses Team in meiner Praxis aufbauen kann, damit nicht nur nach außen hin, sondern auch wir im Team unterschiedliche Stimmen drin haben und so besser zusammenarbeiten können und sensibilisierter zusammenarbeiten können. Aber die Realität ist einfach, ich finde sowieso oder nicht sowieso niemanden, aber es ist einfach sehr schwierig, überhaupt Personal zu finden. Oder ich kaufe einen Kassensitz, der ist halt da und der ist im dritten Stock in irgendeinem Wohnhaus. Ich kann dann nicht selber entscheiden, dass ich einen Fahrstuhl reinbaue. Weißt du so ein bisschen, was ich meine? Wie kommen wir mit diesen Praxisproblemen weiter?

 

Sara: Ja, da sprichst du halt was sehr Gutes an, was halt auch der Leitfaden jetzt irgendwie nicht von der Welt schaffen kann. Aber alleine diese Erkenntnis, dass Diskriminierung kein individuelles Problem ist, sondern eben auf Strukturen, ja auf Strukturen basiert, die teilweise seit Jahrhunderten bestehen. Also das Rassismus, Patriarchat, seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden bestehen. Und dass diese natürlich halt einen Effekt haben, dass erst seit wenigen Jahren überhaupt bedacht wird, dass bei bestimmten Gebäuden mit bestimmten Stockwerkanzahlen, dass da verpflichtend ist, dass da ein Aufzug da ist. Dass das halt bei vielen anderen Gebäuden nicht der Fall ist.

Und wie du das auch gerade ansprichst mit diesen Hierarchien, dass natürlich dann halt die Intention oder die Hoffnung dahinter ist, dass es genug Leute gibt, die dann halt eben dem Chefarzt Parole bieten können und sagen so, „Hey, so geht's nicht“. Oder dass vielleicht nicht mal, dass es halt darum geht, ihm direkt progressiv Parole zu bieten, dass vielleicht auch der Chefarzt oder die Chefärzt:in dann selber erkennt, so „Hey, okay, da haben wir irgendwas“. Dass es selber dann von leitenden Personen in Kliniken die Intention gibt, so hey, okay, wir brauchen diese Fortbildungen und wir laden uns Expertise ein.

Oder es gibt beispielsweise unter anderem von der Charité diese Gruppe oder diese Aktionsgruppe ‚Empowerment durch Diversität‘, die denn jetzt auch in verschiedenen Kliniken unterwegs war, hat sich bei Social Media gesehen, auch einen eigenen Podcast hat, die halt auch zu diesem Thema Selbstvertretende sprechen lässt und auch Fachpersonal sprechen lässt. Und das ist natürlich so ein Aspekt, dass man halt anerkennt, okay, es ist ein strukturelles Problem. Es ist ein Versagen des ganzen Gesundheitssystems, also wie Leute ausgebildet werden, wie es finanziert werden soll, wie Kliniken aufgebaut sind, was es für Regularien gibt und warum gibt es sie überhaupt und das halt alles zu hinterfragen.

Und es ist auch leider keine Sache, die man einfach so in einem Tag oder in einer Woche oder in einem Jahr lösen könnte. Aber das anzuerkennen, gerade auch an den Stellschrauben, wo das Problem ist, das heißt - natürlich ganz oben können die entscheiden, was passieren wird. Aber durch große Gruppen, die gemeinsam laut sind und stark sind und sagen, okay, das geht so nicht weiter, sei es jetzt eben wie selber Ärzt:innen oder wie Studierende im praktischen Jahr, das hatte ich auch sehr viel mitbekommen, wie sie bezahlt werden, dass sie bezahlt werden, dass sie nicht alle irgendwie direkt in den Burnout reinreiten, wie sie ausgebildet werden.

Und gleichermaßen, ich versuche gerade zurückzukommen zu was du noch erwähnt hattest als einer der Aspekte (…) der Hiring-Prozess. Ich kenne auch aus der Community so viele Leute, die geflüchtet hierhergekommen sind, auch als Ärzt:innen und denen dann im deutschen Staat gesagt wird, nee, erkennen wir nicht an. Es ist alles egal, was sie jahrelang zuvor gemacht haben, selbst wenn sie, keine Ahnung, schon zehn Jahre als Ärzt:in in ihrem Land gearbeitet haben - erkennen wir nicht an, fangen Sie von null an. Und das ist dann halt auch so, hä?

 

Madeleine: Klar, aber dann kann, also dem bin ich einfach total unterlegen, weil auch wenn ich super gerne dann jemanden selber in meiner Praxis anstellen würde - ich kann es nicht, weil dann, also die Person kann nicht abrechnen, die hat keine Anerkennung und so weiter.

 

Sara: Also ja, also kurzum, dass man in erster Linie auch erkennt, ja, okay, neben diesen individuellen Situationen, die wir alle erleben, ist es ein ganzes systematisches Problem.

Und wir müssen auch aktiv daran arbeiten, dass dieses System sich ändert.

 

Madeleine: Hast du so ein paar konkrete Steps, wo du sagst, das könnten erste Schritte sein auf dem Weg zu einer sensibilisierten Praxis in dem System, in dem wir leben und mit den Regularen, in denen wir unterworfen sind?

 

Sara: Also jetzt nur auf die Einheit einer Praxis.

 

Madeleine: Ich glaube, Praxis ist vielleicht das beste Beispiel, weil Klinik ist einfach ein großer Laden und wie gesagt sehr hierarchisch, aber Praxis ist ja vielleicht so ein bisschen kleinerer- weil wir haben schon viel darüber gesprochen als Individuum okay, was kann ich tun, ich kann mich bilden, ich kann mich weiterbilden, ich kann mich mit anderen austauschen - versuchen wir es mal mit der Praxis.

 

Sara: Ja, erste Schritte. Beispielsweise, ich gehe mal von außen gut - alle Praxen haben eine Webseite oder eine Internetpräsenz, sich hinterfragen, was gibt es da für Informationen? Wie sind die Informationen aufgebaut? Welche Sprachen werden angeboten? Leichte Sprache, einfache Sprache? Wie wird Patient:innen vermittelt wie es in der Praxis aussieht? Klar, viele investieren dann so viel Geld in schöne Praxisbilder, aber halt worauf können sich Patient:innen gefasst machen? Was gibt es für Informationen? Wie werden Termine vereinbart? Diese Infos, so hey, okay, es gibt irgendwie E-Mail, irgendein Tool, irgendwie sonst was, worüber auch Patient:innen Termine machen können. Das sind so die ersten Sachen, die man machen kann, dann natürlich auch bei der Anamnese. Also da einfach hinterfragen, was werden die für Sachen gefragt und welche nicht? Mit dem Praxispersonal sprechen, wie Patient:innen gerne aufgerufen werden möchten. Da gibt es auch tausende Möglichkeiten von Vornahme, Nachnahme, von Fragen, wie sie es machen möchten. Es gibt auch Vorschläge, das einfach mit einem Nummersystem zu machen, auch Thema Datenschutz - bei dem ganzen Aufrufen von Namen. Das halt zu hinterfragen, wie die Interaktion mit Patient:innen verläuft.

Selbst wenn es dann Barrieren gibt, selbst wenn es jetzt irgendwie ein Kassensitz ist in einem Gebäude im dritten Stock oder sowas, informieren, dass es das gibt. Oder hinterfragen so, hey, wie schwer ist es, Videosprechstunden anzubieten für bestimmte Sachen? Klar, für bestimmte Sachen ist es einfacher als für andere. Wenn ich jetzt keine körperliche Untersuchung machen muss, dann klar. Aber dann beispielsweise Hausbesuche. Oder gibt es irgendwie eine Möglichkeit, irgendwie zusammenzuarbeiten mit Praxen in der Nähe oder sowas, dass man irgendwie vermitteln kann und sagen kann so, hey, leider, wir sind gar nicht barrierefrei oder haben halt diese Barrieren. Aber wir können da irgendwie halt auch Patient:innen informieren, dass es das gibt.

Das sind halt die ersten Sachen, die mir halt schon auffallen, wo ich mir denken könnte, so eigentlich kann das jede Praxis machen.

 

Sensibilisierung im Gesundheitswesen:

Mehr als nur eine Verpflichtung

Madeleine: Das kann wirklich jede, ja. Also so dieses Hinterfragen und nach außen transparent kommunizieren, finde ich einen super wichtigen Punkt und es nicht einfach nur hinzunehmen. Und ja, so ist es halt, können wir jetzt auch nichts machen. Ich wollte noch ein Thema so anschneiden. Wir haben auch schon darüber gesprochen, dass viele Bildungsangebote einfach noch freiwillig sind oder so Zusatzweiterbildungen sind oder auch im Studium dann von Studierenden angefragt werden. Und dann sind das häufig so Zusatzvorlesungen. Aber daraus hat sich auch Heilewelt mal gegründet. Fest in der Lehre finden solche Themen meistens und an den meisten Orten keinen Platz.

Wie schaffen wir es, dass Sensibilisierung zum Pflichtprogramm wird und nicht nur für die da ist, die sich damit beschäftigen wollen und damit schon mal irgendwie Berührungspunkte hatten oder vielleicht auch selber betroffen sind, sondern tatsächlich für alle?

 

Sara: Das ist so ein bisschen, finde ich, so eine zweiseitige, also wie so eine Medaille. Klar, es gibt die Leute, die sich von sich aus interessieren dafür. An anderer Stelle finde ich es halt schwierig, so wie das ankommt bei Leuten, wenn du mit so einem erhobenen Zeigefinger auf diese gehst und sagst, du musst das jetzt machen.

Und da, ich glaube, da sprechen wir viele so Sachen, zu denen man gezwungen wird, ist halt immer so eine Sache, so wie man das machen möchte.

 

Madeleine: Na gut, aber ich muss ja auch über Herzinfarkt lernen und ich muss auch über Schlaganfall lernen. Warum muss ich dann nicht auch über Rassismus in der Medizin lernen?

 

Sara: Ja, ja, absolut. Absolut. Absolut. Das ist halt auch so diese Hinterfragung.

Ich spreche darüber, dass es halt auch die Diskussion gibt, verpflichtende Veranstaltungen zu machen, beispielsweise in der Ausbildung. Was ich aber, glaube ich, wichtiger fände, wäre der Aspekt in der fiktiven Welt, wo alles halt so einfach möglich wäre, dass man wirklich dieses ganze Studium noch mal hinterfragt und halt erklärt, halt auch so gerade dieser medizinhistorische Aspekt so, hey, okay, worauf haben wir uns ja jahrelang, jahrzehntelang fokussiert? An welchen Körpern und was sind die Folgen davon? Und halt auch nicht nur medizinhistorisch, sondern auch ein bisschen medizinethisch so. Warum mache ich diesen Beruf? Und dass ich anerkennen muss, so hey, okay, es gibt sowas wie Minoritätenstress. Es gibt sowas wie Mikroaggression, wie Makroaggression. Das heißt, es gibt diskriminierendes Verhalten, was halt bei abschätzigen, abwürdigen Blicken beginnen kann, was Kommentare sein kann, die nicht direkt auf Diskriminierung schließen können. Aber es gibt dann halt auch so diese direkten Diskriminierungsformen wie Gesundheitsleistungen werden verweigert, weil die Person HIV-positiv ist.

Der Person wird irgendwas gegenüber ihrer Hautfarbe geäußert oder halt eben fettfeindliche Kommentare, queerfeindliche Kommentare - dass man da noch mal hinterfragt, welche Aspekte sollten mit reinkommen, damit halt auch eher ein Verständnis daherkommt, so hey, das ist wichtig, weil.

Weil gerade diese Beispiele, die du nennst, also für mich wäre es absolut verständlich, dass ich lernen würde, wie ein Herzinfarkt aussehen kann und gerade auch unter diesem Aspekt, wie unterschiedlich er sich ausprägen kann, dass halt natürlich nicht alle die gleichen Symptomatiken entwickeln, dass es nicht bei allen gleich aussieht, dass man halt auch Menschen ganzheitlicher sieht, dass man sie, dass man sagen kann, so hey, wir wissen, Menschen, die tagtäglich Diskriminierung erfahren, die haben eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen zu erkranken, deutlich häufiger die Wahrscheinlichkeit, Schlafstörungen zu erleiden, weil dieser ganze Stress, die haben diese jene, also dass man halt wirklich erkennt, okay, Stress, Diskriminierung, das kann psychsomatische Folgen haben, das kann zu allen möglichen Sachen führen.

Dass man da halt wirklich mehr denkt, so was kann alles Menschen halt beeinflussen?

 

Madeleine: Ja, total. Wenn man nicht über eine Pflicht gehen will, also du hast jetzt wie über so die grundsätzliche Überarbeitung der Lehre- da gehe ich hundertprozentig mit - gesprochen, wenn man halt nicht über so eine Pflicht gehen will, dann muss man ja irgendwie Anreize schaffen, also gerade auch für die, die halt jetzt vor 20 Jahren studiert haben und das nicht nochmal machen werden und aber noch eine ganze Weile praktizieren werden. Wir haben uns auch gefragt, wie man dieses Interesse schaffen kann oder die Notwendigkeit für alle Ärzte und Ärzt:innen aufbauen kann, weil jetzt mal überspitzt gesagt, wenn ich damit noch nie Berührungspunkte hatte, ich habe eine normale Praxis im - egal ob städtischer oder ländlicher Bereich- die meisten Praxen haben mittlerweile Aufnahmestopp, die können gar keine neuen Patienten und Patient:innen annehmen, weil die ultra überlastet sind.

Überspitzt gesagt, warum sollten die sich dann jetzt noch mit Themen der Sensibilisierung auseinandersetzen? Weil eigentlich haben sie den Need ja gar nicht. Ich glaube, das ist echt ein sehr praxisrelevantes Problem. Wie schaffen wir es, diese Leute zu erreichen oder dieses Problem anzugehen? Vielleicht gibt es auch keine Antwort drauf. Das ist einfach nur so ein Gedanke, den wir einfach hatten in der Vorbereitung.

 

Sara: Also was ich mir natürlich vorstellen könnte, was so ein bisschen, boah, ich weiß auch gar nicht mehr, wie dieses Sprichwort richtig geht - aber das Pferd von der anderen Seite aufzusatteln, und ich mir denken könnte, wenn aber Patientinnen...

 

Madeleine: Ich glaub so geht es nicht (lacht).

 

Sara: Ja, es ist egal, aber du verstehst und ich hoffe, die, die zuhören, verstehen, wie es geht. Sprichwort, das ist sowieso - noch mal ein anderes Topic.

Aber wenn wir wissen, dass Patient:innen immer weiter empowert werden, dass sie empowert werden, so „Hey, ich weiß, wo ich mich beschweren kann, wenn was scheiße läuft“. Also ich weiß jetzt nicht, wie viele Ärzt:innen gerne von der Kammer den Bescheid kriegen, so „Hey, wir haben Beschwerden über Sie mitbekommen“. Es ist kein perfekter Ansatz, aber ich denke, es ist auch etwas, wo ich mir vorstellen könnte, dass das eine immense Kraft hätte und dass es immens hinterfragen würde, nicht nur die Ärzt:innen, über die sich beschwert wird, sondern halt auch die Institutionen jeweils, die Kammern, die Gesundheitsämter, die Krankenkassen, dass sie dann auch hinterfragen würden, so hey, irgendwas läuft hier falsch.

Weil ich meine, Studien sind so eine Sache und was dann aus diesen Studien passiert, ist halt was anderes. Aber es muss halt dieser aktive Ansatz werden, so da müssen Konsequenzen folgen.

 

Madeleine: Und die Konsequenzen dürfen sich auch nicht Jahre ziehen. Und der Prozess des Beschwerens und Stellungnahmen und so weiter, da darf man keine Angst vorhaben, dass sich das dann ewig zieht und dass man immer wieder die Situationen schildern muss. Ja finde ich einen total guten Punkt. Menschen müssen einmal davon wissen, welche Stellen gibt es da? Die Stellen müssen niedrigschwellig erreichbar sein. Der Prozess danach muss niedrigschwellig sein und es müssen halt auch tatsächlich relevante Folgen, muss es geben, für die Behandelnden, dass wenn sich da die Beschwerden häufen, dass es eine für sie relevante Folge hat. Wir müssen so ganz, oder wir müssen nicht, aber vielleicht kommen wir so ganz langsam zum Ende. Wir stellen am Ende immer noch mal die Frage, so zum Zusammenfassen und so ein bisschen träumen, was ist deine Utopie und deine Zukunftsvision für die Medizin der Zukunft? Du kannst so viel träumen, wie du möchtest.

 

Saras Utopie:

Eine inklusive Gesundheitsversorgung für die Zukunft

 

Sara: Also sonst wird immer die Frage gestellt, was ist so meine Utopie für Queermed?

 

Madeleine: Ja, nee, wir waren -

 

Sara: Ja, klar. Ja, klar. Nee, wo ich dann halt immer sage, eigentlich aber das passt so ein bisschen zu dieser Utopie, die ich mir vorstelle. Das ist halt sowas wie Queermed oder andere Sachen, die ähnlich funktionieren, gar nicht bräuchte, weil eigentlich jede Person einfach eine Praxis aufsuchen kann und sagen kann, sie hier, ich möchte gerne aufgenommen werden. Ich habe diese Anliegen, können Sie mir helfen? Und das dann an der anderen Stelle gesagt wird so, „Hey, wir haben freien Termin, also freien Terminkalender. Sie können zu uns kommen. Wir helfen Ihnen ganz gleich, was Sie haben.

Wenn wir es nicht weiter wissen, wir kennen Kolleg:innen, also diese Kritikfähigkeit, diese Fehlerkultur, dass sie da ist in einem genügenden Maß natürlich im Gesundheitswesen - dass Leute nicht Angst haben müssen in diesem Gesundheitssystem, dass natürlich das Gesundheitssystem als sich dann noch mal viel mehr in, viel mehr sozialstaatmäßig wird, also dass dann auch komplett hinterfragt wird, so hey, okay, alle zahlen für alle ein. Und das wirkt sich tatsächlich auch so aus, dass dann halt auch ganz gleich, ob ich jetzt irgendwie ein gleichgeschlechtliches oder nicht-gleichgeschlechtliches Paar habe, wenn die einen Kinderwunsch haben, dann wird das System das auffangen und das unterstützen. Ganz egal, ganz gleich welcher Geldbeutel, wenn Menschen Hormontherapien oder geschlechtsangleichende Operationen machen möchten, dann ist es, dann wird es einfach gemacht ohne diskriminierendes System und einen diskriminierenden Fragebogen, der da abgefragt wird, dass es wirklich so ein ganzheitliches System ist, was halt dafür da ist, Menschen bestmöglich zu unterstützen zu ihrem Gesundungsweg, wie auch immer der halt, also das auch komplett individualisierte, wie auch immer der halt aussehen mag.

Das wäre so diese krasse Utopie.

 

Madeleine: Im Intro habe ich gesagt, es soll keinen Unterschied mehr machen für die eigene Gesundheit, wie man aussieht, welche Geschlechtsidentität man hat, wie die eigene sexuelle Orientierung ist, was auch immer es ist, sollte einfach keinen Unterschied machen. Ja, cool. Hast du noch was hinzuzufügen? Irgendwas, worüber wir noch nicht gesprochen haben, was fehlt?

 

Sara: Ich überlege gerade, aber eigentlich haben wir sehr viel gesprochen, über alles Mögliche. Also von meiner Seite aus, wenn du keine Fragen mehr hast, ich habe auch nichts mehr.

 

Madeleine: Naja, Fragen hätte ich noch viele, wir können auch gerne noch zwei oder drei oder noch mehr Podcasts aufnehmen. Ich glaube, da gibt es noch ganz viel zu sprechen. Ich denke, für heute können wir es erst mal so stehen lassen. Ganz, ganz lieben Dank fürs Mitmachen, fürs Sprechen, fürs Teilen deiner Erfahrungen und ja, generell auch für deine Arbeit mit Queermed.

 

Sara: Danke dir auf jeden Fall für die Einladung und für den Raum.

 

Madeleine: Super, super gerne. Dann war es das mit unserem heutigen Podcast.

Ich kann euch natürlich nur raten, empfehlen, mal bei Queermed vorbeizuschauen. Vielleicht, wenn ihr so zugehört habt, habt ihr auch selber reflektiert, wen ihr so kennt an behandelnden Personen. Vielleicht habt ihr auch selber eine Erfahrung oder wollt selber mal beim Queermed-Blog vorbeikommen, der auch richtig coole Denkanstöße nochmal gibt.

Erzählt es weiter. Ich denke, alle diese Plattformen können nur davon leben, wenn Menschen Bescheid wissen darüber.

Und ja, wenn wir euch ein bisschen inspirieren konnten mit unserem Podcast heute, dann freuen wir uns wie immer über eine Bewertung in eurer Podcast-App.

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Dann bis ganz bald. In diesem Sinne bleibt gesund, neugierig und optimistisch.

 

Outro Musik wird beginnt und wird langsam lauter

 

Das war Heilewelt, der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Lieben Dank an euch fürs Zuhören. Wenn wir euch heute ein bisschen inspirieren konnten, freuen wir uns über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Website oder über eine Bewertung auf eurer Lieblings-Podcast-Plattform. Abonniert auch gerne unsere Newsletter oder folgt uns auf Instagram, wenn ihr keine Folge mehr verpassen wollt.

In diesem Sinne bleibt gesund, neugierig und optimistisch. Bis ganz bald.